Die erste Frauengruppe der Neuen Frauenbewegung in Köln – der AK Frau und Gesellschaft im Republikanischen Club Köln e.V.
Die Republikanischen Clubs als Teil der Außerparlamentarischen Opposition (APO)
1967 entstand außerhalb des parlamentarischen Repräsentativ- und Parteiensystems ein neuer Typus von Organisation: die Republikanischen Clubs (RCs). Sie bildeten sich zunächst in den Universitätsstädten. In Köln war der Anlass hierfür die Tötung des Berliner ‚Mitstreiters‘ Benno Ohnesorg durch einen Staatsbediensteten.1
Der Republikanische Club Köln (RCK) verstand sich als „Treffpunkt für alle, die die Entwicklung der Demokratie in der Bundesrepublik mit besorgter Wachsamkeit verfolgen“2 und sich kritisch an der politischen Meinungs- und Willensbildung beteiligen wollten. Laut Einschätzung eines Aktivisten wurde der RCK „eine der prägenden Organisationen der APO in Köln“3. Zu den Kölner GründerInnen gehörten WissenschaftlerInnen und GewerkschafterInnen, viele Hörfunk-JournalistInnen (Köln war Standort des WDR, des Deutschlandfunks und der Deutschen Welle), jedoch nur wenige Arbeiter und Arbeiterinnen.
Frauen im RCK
Frauen waren zwar aus dem RCK nicht direkt ausgeschlossen, aber aufgrund des überlieferten Rollenbildes blieben sie häufig in der zweiten bis dritten Reihe. Aufschluss gibt das Foto einer Fotografin der Kölner Lokalpresse, auf dem vier Frauen ‚versteckt‘ und erst auf den zweiten Blick erkennbar sind4
Bei der Gründung 1967 wurde nur eine einzige Frau, die Ökonomin Dr. Carola Möller, in den erweiterten Vorstand gewählt.5 Erst Monate bzw. Jahre später stiegen die Journalistinnen Roshan Dhunjibhoy (1969)6 und Ute Remus (1972) in den engeren Vorstand auf.
Das langjährige RCK-Mitglied (und der spätere DKP-Vorsitzende in Köln) Steffen Lehndorff vermutet im Rückblick: „[...] die APO generell und der RC in Köln sowieso waren männerdominiert, und das wurde – anders als zum Beispiel in Frankfurt oder Berlin – lange Zeit von niemandem problematisiert. […] Die, die das nicht wollten oder konnten, fanden sich von vornherein mit einem Platz in der zweiten Reihe ab. Vielleicht waren sie unzufrieden, aber so naive Leute wie ich hätten das nicht bemerkt.“7 Solche Unzufriedene gab es durchaus! Durch Nachfragen bei älteren RCK-Frauen am Telefon und per Mail war zu hören und zu lesen: „Frauen waren nicht willkommen.“ (a) „Wir durften immer putzen, das hat uns geärgert.“ (b)8
Dr. Carola Möller und Petra H. gründeten aus diesen Erfahrungen heraus im Sommer 1968 die erste Kölner ‚feministische‘ Gruppe.9 Ein Arbeitskreis nur FÜR Frauen wurde vom Herausgeber des Hausblättchens abgelehnt: „Da die Schwierigkeiten in weiten Bereichen Männer und Frauen gleichermaßen treffen, müßte es selbstverständlich sein, daß auch die männlichen Republikaner ihre Ideen, ihre Vorstellungen, ihre Aktionsbereitschaft in den Arbeitskreis einbringen.“10 Und tatsächlich war der AK zunächst durchaus auch für beide Geschlechter geplant: Alle interessierten Mitglieder des RC waren eingeladen, Themen für die Referat-Abende vorzuschlagen. Der AK veränderte sich jedoch rasch und wurde zu einer reinen Frauengruppe. Die Aktivistinnen wandten sich den Themen zu, die der Parole ‚Das Persönliche ist politisch‘ entsprachen, unter anderem der „Entwicklung von Gegenmodellen zur gängigen Kindererziehung und Familienstruktur.“11 Den beiden Gründungsfrauen ging es um die Rollenbilder in der Gesellschaft und um die Verteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern.12 Die Autorinnen sahen individuelle Probleme als gesellschaftliche an, da sie diese aus „der Struktur der Gesamtgesellschaft“13 heraus erklärten. Sie blickten zudem kritisch auf die eigene Situation als Linke im RCK: „Ist es in unserem Club nicht ähnlich organisiert? Wer von den Republikanern glaubt, daß gerade hier die Frau ‚könne, wenn sie nur wolle’, der übersieht die Erziehungswirklichkeit, übersieht die internalisierten Normen. Die, die durch Bewußtmachung unterdrückender Strukturen befreien wollen, zeigen sich hier nicht als Helfer einer unterdrückten Minderheit, sondern, welche Schizophrenie, als deren Ausbeuter.“14
Sie politisierten die Selbstbestimmung über eine Schwangerschaft, begriffen Sexualität und Kindererziehung als zu verhandelnde Realitäten. Ihr Ziel war es, die kleinbürgerliche Familie, die sie als Repressionszusammenhang bewerteten, durch kollektive Erziehung zu ersetzen. Sie organisierten eine Flugblattaktion gegen die Enzyklika Humane Vitae. Über die Weitergabe des Lebens des amtierenden Papstes Paul VI. vom 25. Juli 1968, nach der weiterhin jeder (eheliche) Geschlechtsakt auf die Erzeugung menschlichen Lebens hinzielen sollte.15 Wie schon die Kölner Sexualberatungsstelle der 1930er-Jahre schuf der AK Frau und Gesellschaft eine ‚Beratungsstelle für Fragen der Geburtenkontrolle‘, die jeden Mittwoch um 20 Uhr Beratungszeiten anbot, letztlich ein Vorläufer der sogenannten Aktion 218, die 1971 begründet wurde.16
Die AktivistInnen des RCK organisierten einen Vortragsabend mit der in Berlin lebenden Journalistin Ulrike Meinhof. Diese hatte im September 1968 in der Zeitschrift konkret zum provokativen Tomatenwurf einer Studentin gegen chauvinistische Genossen solidarische Stellung bezogen.17 Im Kölner RC referierte die Journalistin über das Thema ‚Die Ausbeutung der Frau in unserer Gesellschaft‘ (siehe Ankündigung).18 Noch war Ulrike Meinhof die anerkannte Pressefrau, nicht der „Racheengel deutscher Geschichte“ (Halina Bendkowski19) oder einfach ‚die Terroristin’.
Der Begriff Feminismus kam in den Statements des AK Frau und Gesellschaft nicht vor, obwohl er bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland eingeführt war.20 Vermutlich lag es den Gründerinnen sogar fern, sich als Teil einer Frauenbewegung zu sehen.
Erinnerungen an den AK Frau und Gesellschaft sind nur wenige dokumentiert. Die Mitgründerin Carola Möller – langjährige Gewerkschafterin und daher überwiegend im AK Betrieb und Gewerkschaften aktiv – beschrieb den Diskussionszirkel später eher negativ: „Frauenpolitische Aspekte […] waren – ehrlich gesagt – nicht mein allererstes Interesse. [...] Im Club gab es auch einen Frauen-Arbeitskreis. Die Frauen tauschten sich eher über das machohafte Verhalten ihrer linken Männer und Freunde aus, als daß sie nach außen hin politisch aktiv waren.“21 Erst 1975 wurde Carola Möller frauenpolitisch aktiv.
Viele RCK-Arbeitskreise zerfielen schnell. Auch der AK Frau und Gesellschaft war kurzlebig; er verschwand Ende 1968 fast spurlos aus der RC-Geschichte.22 Zu dieser Zeit wurden die Auseinandersetzungen unter den Linken (Männern) aggressiver, es kam zur politischen Parzellierung in kleinste Organisationen und Parteien, der RCK verlor seinen Charakter als integrierendes Sammelbecken. Dennoch ist der AK Frau und Gesellschaft ein Zeichen für erste Aufbrüche Richtung Frauenbefreiung. In den von den Mitgliedern initiierten Organisationen der Beratungsstelle sowie eines Kinderladens manifestierten sich Alternativen zu von Männern dominierten theoretischen Gesprächskreisen und Straßenkampf-Aktionen.
In der Spätphase des RCK nutzten zwei Frauengruppen – in loser Anbindung – die attraktiven kneipenartigen Clubräume: Zwischen Herbst 1971 und Herbst 1972 tagte dort die Aktion 218 Köln, die lokale Gruppe der bundesweit agierenden Aktion 218.23 Ab circa August 1971 kam dienstags das sozialliberale Frauenforum Köln zusammen, in dem bürgerliche Frauen unter anderem für die Wahl von Willy Brandt kämpften.24
Diese Frauen erlangten im RCK Kenntnisse über Organisationsstrukturen, die an die Räte-Ideen von 1918/19 angelehnt waren, und implementierten diese in den Aufbau der radikalfeministischen Frauenbefreiungsaktion (FBA) von 1973, in der circa 200 Frauen organisiert waren, und in die des zweiten Kölner Frauenzentrums im Stadtteil Ehrenfeld. Der Name Ko-Rat geht auf die Rätebewegung von 1918/19 zurück, die Bilder, von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die die Räume des RC zierten, waren nicht nur Dekoration geblieben.
Fußnoten
- 1 von Schwind, Pui: Ein 60er-Jahre-Motor für die politischen 70er: der Republikanische Club Köln (RCK), in: Reiner Schmidt et al. (Hg.): Die Stadt, das Land, die Welt verändern!, Köln 2014, S. 33–36, hier S. 34; vgl. Schmidt, Reiner: republikanisch-widerständig-basiskirchlich-sozialliberal. Ausserparlamentarische Opposition (APO) und 68er Bewegung an der Schwelle der 70er, in: Schmidt, Reiner et al. (Hg.): Die Stadt, das Land, die Welt verändern!, Köln 2014, S. 31 f.
- 2 Satzung vom 13.10.1967, Archiv Kölner Frauengeschichtsverein (im Folgenden Köfge), Bestand 94 Mappe 1, Kopie.
- 3 von Schwind: Ein 60er-Jahre-Motor für die politischen 70er, S. 33.
- 4 Wiederabdruck in Holl, Kurt / Glunz, Claudia: 1968 am Rhein. Satisfaction und Ruhender Verkehr, Köln 1998, S. 193. Für eine weitere Abbildung der Räume vgl. Brügge, Peter, 23.12.1968: Auf dem Wartebänkchen der Revolution, in: Der Spiegel, 1968, H. 52, Zugriff am 23.11.2017 unter http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/45865042.
- 5 Leider konnte der im KölnArchiv befindliche und mit dem Historischen Archiv der Stadt Köln abgestürzte Teilbestand des KölnArchiv Slg. Holl-Glunz/Carola Möller: Ztg. Frauen 1968-1970 nicht hinzugezogen werden.
- 6 Vgl. informationen des RCK, Nr. 13 vom 1.4.1969.
- 7 Lehndorff, Steffen: Email an die Verfasserin vom 7.6 2017 (=Email 1).
- 8 (a) Email einer späteren Professorin liegt vor. (b) Gesprächsnotiz des Telefonats mit E.K. vom Juni 1017 – ohne weiteren Kontaktwunsch.
- 9 Vgl. pop: Betr. Arbeitskreise Woche vom 1. bis zum 7. Juli 1968“, in: informationen des RCK; vgl. Mitglieder Rundbrief August vom 27.7.1968; vgl. Informationen-Sonderdienst Veranstaltungskalender Juli 1968, in: Archiv Köfge, Bestand 94 Mappe 1, Bl. 30 und 31 (Kopie); Vgl. Beilage des Arbeitskreises Frau und Gesellschaft, in Archiv Köfge, Bestand 94 Mappe 1. Vgl. von Schwind: Ein 60er-Jahre-Motor für die politischen 70er, S. 34; vgl. Holl / Glunz: 1968 am Rhein, S. 174, vgl. informationen des RCK, Nr. 6 vom 18.10.1968, Bl. 1.
- 10 Ebenda.
- 11 N.N.: Arbeitskreis Frau und Gesellschaft, in: informationen des RCK, Nr. 4 vom 9.9.1968, S. 4.
- 12 Selbstdarstellung des AK Frau und Gesellschaft, Kopie, in: Archiv Köfge, Bestand 94, Mappe 1, Bl. 25 und 26, hier Bl. 25. Die Selbstdarstellung war dem Newsletter beigefügt. Ein Original ist aufgrund des Einsturzes des Stadtarchivs nicht bekannt.
- 13 Ebenda.
- 14 Ebenda.
- 15 N.N.: Arbeitskreis Frau und Gesellschaft, in: informationen des RCK, Nr. 4 vom 9.9.1968, S. 4.
- 16 Laut Steffen Lehndorff gab es schon 1968 beim AStA Köln eine Adressliste mit Abtreibungsmöglichkeiten im Ausland, mdl. Information vom 12.1.2018.
- 17 Meinhof, Ulrike: Die Frauen im SDS oder in eigener Sache, in: Konkret, 1968, H. 12, wieder abgedruckt in Courage, 1976, H. 0, S. 23 f, hier S. 24 und auf Berlin 1992 – 2018, Zugriff am 23.11.2017 unter http://www.glasnost.de/hist/apo/weiber2.html.
- 18 informationen des RCK, Nr. 11, S. 3, 1969.
- 19 Bendkowski, Halina: Einleitung. Wie weit flog die Tomate? 1968-1998 – auf den Spuren der 1968erinnen, in: Heinrich-Böll-Stiftung / Feministisches Institut (Hg.): Wie weit flog die Tomate? Eine 68erinnen-Gala der Reflexion, Berlin 1999, S. 11-22, hier S. 11.
- 20 Gerhard, Ute: Frauenbewegung, in: Roth, Roland; Rucht, Dieter (Hg.): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945. Ein Handbuch, Frankfurt/New York 2008, S. 187–217, hier S. 189.
- 21 Böttger, Barbara / Fröse, Marlies W.: Wissenschaft und Politik – die Geschichte einer fruchtbaren Beziehung. Interview mit Carola Möller (Frühjahr 1999), in: Fröse, Marlies W. et al.: Ökonomie und Arbeit. Frauenansichten. Neue Arbeitsformen und neue Widerstandsformen. Festschrift für Carola Möller zum 70. Geburtstag, Frankfurt a. M. 1999, S. 17–43, hier S. 32.
- 22 Seit den informationen des RCK, Nr. 10, 20.12.1968 fehlt der AK in der Auflistung.
- 23 Die Gründung war im Mai 1971 erfolgt; vgl. Jüssen, Anne: ‚Liane’. Sechs Monate Frauen-WG. in: Schmidt, Reiner et al. (Hg.): Die Stadt, das Land, die Welt verändern!, Köln 2014, S. 115-117.
- 24 Erwähnt in den Terminkalendern des RCK August 1971, Frühjahr 1972.
Ausgewählte Publikationen
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Böttger, Barbara / Fröse, Marlies W.: Wissenschaft und Politik – die Geschichte einer fruchtbaren Beziehung. Interview mit Carola Möller. (Frühjahr 1999), in: von Marlies W. Fröse, et al. (Hg.): Ökonomie und Arbeit. Frauenansichten. Neue Arbeitsformen und neue Widerstandsformen. Festschrift für Carola Möller zum 70. Geburtstag, Frankfurt a. M. 1999, S. 17-43.
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von Schwind, Pui: Ein 60er-Jahre-Motor für die politischen 70er: der Republikanische Club Köln (RCK), in: Reiner Schmidt et al. (Hg.): Die Stadt, das Land, die Welt verändern!, Köln 2014, S. 33-36.
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von Schwind, Pui: Das sozialistische Kinderkollektiv Köln. Die Kinderläden und ihr Zentralrat, in: Schmidt, Reiner et al. (Hg.): Die Stadt, das Land, die Welt verändern! Köln 2014, S. 288-291.
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Schmidt, Reiner: republikanisch-widerständig-basiskirchlich-sozialliberal. Ausserparlamentarische Opposition (APO) und 68er Bewegung an der Schwelle der 70er, in: Schmidt, Reiner et al. (Hg.): Die Stadt, das Land, die Welt verändern!, Köln 2014, S. 31-32.
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Negt, Oskar: Politik als Protest. Reden und Aufsätze zur antiautoritären Bewegung, Frankfurt a. M. 1971.