DDR-Lesbengruppen im Visier des Ministeriums für Staatssicherheit
Lesbische Frauen in der DDR
Es gab sie, die lesbischen Frauen in der DDR. Trotz weniger Informationen über weibliche Homosexualität und noch weniger Möglichkeiten für Treffen in der Öffentlichkeit. Dennoch fanden sich diese Frauen, bis Anfang der 1980er-Jahre, oftmals nur in privaten Kreisen zusammen. Dies änderte sich 1982 mit den Gründungen der ersten Arbeitskreise Homosexualität in Berlin-Ost und Leipzig. Lesbische Frauen in der ganzen DDR sahen in diesen Gruppen die Chance, in ihrer Stadt kirchliche Treffpunkte zu etablieren. Die evangelische Kirche bot als einzige Institution die Möglichkeit, sich mit einer gewissen Infrastruktur wie beispielsweise Räumen und (begrenzten) Möglichkeiten zur Vervielfältigung von Schriften, zu treffen.
Die Arbeitskreise arbeiteten themenbezogen und boten Möglichkeiten für Kennenlernen und Austausch. Auch jenseits dieser Gruppen begannen Frauen und Lesben, sich (über-)regional zu organisieren und zu vernetzen. Sie veranstalteten beispielsweise Frauenfeste, organisierten Ausflüge und betreuten entsprechende Stände bei Kirchentagen. Von staatlicher Stelle war es nicht gewollt, dass sich Homosexuelle auf einer Basis von Austausch, Aufklärung und Vernetzung organisierten.
Dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) waren alle diese Treffen suspekt. Es sah in ihnen ‚feindliche-negative Kräfte‘ am Werk, die den DDR-Staat bedrohen oder ihm gar ernsthaft schaden konnten. Daher war eine umfassende Überwachung der Gruppen in den Augen des MfS dringend erforderlich.
Arbeitsweise und Überwachung durch das MfS
Das Ministerium für Staatssicherheit war das Herrschafts- und Machtinstrument der SED. Es diente der Überwachung der eigenen Bevölkerung und somit der Sicherung des Staatsapparates.
Für den Aufbau eines möglichst flächendeckenden Überwachungsnetzes warb das MfS, unter strengsten Vorschriften der Geheimhaltung, gezielt Menschen als ‚Inoffzielle Mitarbeiter_innen‘ (IM) an. Die sogenannte Anwerbung übernahmen psychologisch geschulte hauptamtliche Mitarbeiter_innen. Diese prüften während des gesamten Verfahrens, ob die potenziellen Kandidat_innen biografisch und ideologisch für die Tätigkeit als IM geeignet waren. Schien dies der Fall, gab es mit diesen Personen ‚Anwerbungsgespräche‘. Wirkten sie ‚linientreu‘ und überzeugt von ihrer Tätigkeit, wurde sie angeworben; dem MfS musste eine ‚Verpflichtungserklärung‘ abgegeben werden.
Für eine Informant_innentätigkeit in homosexuellen Kreisen mussten die IM nicht zwingend selbst homosexuell sein. Es war in den Augen des MfS jedoch für die Spitzeltätigkeit in diesen Kreisen von Vorteil, da es somit auf bereits bestehende Kontakte des IM zurückgreifen konnte.
Das Beispiel IM ‚Sonja Walther‘
In einem Aktenauszug über eine homosexuelle Tanzveranstaltung in der Dresdner Brauerei Mockritz bin ich während meiner Recherche in den Akten des ehemaligen MfS auf IM ‚Sonja Walther‘ gestoßen.1 Personenbezogene Angaben wie beispielsweise Alter, Herkunft und Beruf sind nach den Vorgaben des Stasiunterlagengesetzes geschwärzt, sodass ich keine Rückschlüsse zu dieser Person ziehen kann.
Entsprechend den Anforderungen an den IM wurde im Vorfeld notiert:
„Es ist vorgesehen, die Kdt. [Kandidatin; Anm. d. Aut.] entsprechend als Einsatzkader im Operationsgebiet auszubilden und zum Einsatz zu bringen [...].“2 Somit begann die Beschaffung von Informationen über die Kandidatin, die folgende Erkenntnisse zutage förderte:
In der Schule hatte sie überdurchschnittlich gute Leistungen erbracht und sich als FDJ-Gruppenorganisator ihrer Klasse engagiert. Sie hatte in Leipzig studiert und ihr Studium mit „summa cum laude“ abgeschlossen. Anschließend war sie nach Dresden gewechselt, um dort eine Promotion anzustreben.3 In der Akte wird über sie vermerkt: „Einschätzungen und Beurteilungen aus dieser Zeit besagen, daß es sich bei der Kandidatin um eine außerordentlich ehrgeizige und zielstrebige Wissenschaftlerin handelt.“4 Zu ihrer Homosexualität ist unter anderem Folgendes zu lesen: „Die Kandidatin ist ledig. Eine feste Bindung – Ehe – ging sie bis gegenwärtig nicht ein und wird es auch in Zukunft nicht tun, da sie lesbisch ist. Ihr abartiges sexuelles Verhalten liegt in den stark zerrütteten Verhältnissen im Elternhaus begründet [...].“5 Es folgt eine zweiseitige Einschätzung über sie, ihre Partnerin und deren Beziehung(sabhängigkeiten).
Die künftige IM ‚Sonja Walther‘ wurde so eingeschätzt, dass sie einer Mitarbeit zustimmen würde, folglich wurde sie von hauptamtlichen Mitarbeitern persönlich kontaktiert. Über ein Gespräch ist Folgendes vermerkt: „Noch während des ersten Kontaktgespräches erklärte sie sich bereit, unser Organ entsprechend ihrer Möglichkeiten und Fähigkeiten zu unterstützen. Das Motiv ihrer Aussagen ist in der erkannten Notwendigkeit eines aktiven Kampfes für die Erhaltung des Friedens und einer doch erkannten Aussage über eine Abwechslung ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu sehen.“6 Hier liegt die Vermutung nahe, dass sie ohne Zwang und aus freiwilligen Stücken einer Mitarbeit zustimmte. Ihre Verpflichtungserklärung, für das MfS zu arbeiten, unterschrieb ‚Sonja Walther‘ mit ihrem selbst gewählten, konspirativen Decknamen am 3. Februar 1981.
Überwachen und Berichten
IM ‚Sonja Walther‘ arbeitete von 1981 bis 1989 als Inoffizielle Mitarbeiterin für das MfS. Von ihr gibt es drei Aktenbände, eine Personalakte mit Einschätzungen ihrer Person sowie zwei Arbeitsakten mit ihren Berichten und Treffberichten. Die zweite Arbeitsakte konnte ich nur sehr unvollständig einsehen, es fehlen mehrere zusammenhängende Monate, vermutlich weil sie in dieser Zeit nicht aus homosexuellen Bereichen, sondern aus anderen ‚Einsatzgebieten‘ informierte.7 Sie verfasste regelmäßig Berichte und traf sich konspirativ mit den hauptamtlichen Vorgesetzten, um die Berichte abzuliefern, Informationen auszutauschen und neue Arbeitsaufträge entgegenzunehmen. Ihre Arbeits- und Auftrittsweise wurde wie folgt eingeschätzt:
„Der IMS ‚Sonja Walther‘ besitzt auf Grund der vorhandenen Persönlichkeitsmerkmale wie Anpassungsfähigkeit, Kontaktfreudigkeit und ausgesprochen hohe Intelligenz die besten Voraussetzungen zur weiteren Arbeit am OV ‚Sammler‘ und zur Herstellung vertraulicher Beziehungen zu Personen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit diesem OV stehen.“8
Aufgrund dieser Einschätzung wurde sie direkt auf den neu gegründeten Dresdner Arbeitskreis Homosexualität angesetzt, wofür sie konkrete Anweisungen erhielt:
„Aufklärung von operativ interessanten Personenkreisen auf dem Gebiet der Kultur / und homosexueller Personen beider Geschlechter.“9
An diese Anweisungen hielt sich ‚Sonja Walther‘ im Laufe ihrer Tätigkeit sehr genau. Sie berichtete viel über Personen, gab Kontakte und Informationen über den Arbeitskreis an das MfS weiter, zum Beispiel wer dort als Gast eingeladen wurde, wer mit wem verkehrte, ob und welche BRD-Bürgerinnen zugegen waren und welche Themenabende und Programme veranstaltet wurden.
Als Beispiel führe ich einen Auszug aus einem Bericht über eine Person und den Arbeitskreis Homosexualität vom 10. Mai 1984 an:
„Am 5. Mai besuchte ich [Name in Akte geschwärzt; Anm. d. Aut.] in ihrer Wohnung, um bei ihr zu baden. Ich traf XXX selbst nicht an, es waren 3 Frauen aus der Berliner Gruppe anwesend, davon waren zwei Frauen aus Westberlin, was ich allerdings erst relativ spät bemerkte. [...] Bei den beiden Frauen handelt es sich um die regelmäßigen Kontaktpersonen aus Westberlin zur Berliner Gruppe. [...] Ich möchte noch einmal betonen, daß diese Leute äußerst hellhörig sind und genau aufpassen, was einer wissen will, wie er sich verhält usw. Es wird fast jeder verdächtigt mit der Staatssicherheit zu tun zu haben. Und das bedeutet natürlich, daß ich mich entsprechend einrichten muß, ich kann keine auffälligen Fragen stellen, es muß sich alles aus dem Gespräch heraus entwickeln.“10
Als der Arbeitskreis Homosexualität Dresden vom 24. bis zum 26. Oktober 1986 ein Frauenfest organisierte, bekam ‚Sonja Walther‘ vom MfS eindeutige Arbeitsanweisungen. Während der dreitägigen Veranstaltung traf sie sich zweimal konspirativ mit ihrem hauptamtlichen Vorgesetzten, um Bericht zu erstatten und weitere Arbeitsanweisungen entgegenzunehmen, wie es eine Aktennotiz am 25. Oktober 1986 belegt:
„Treff verlief planmäßig und diente der kurzfristigen Berichterstattung des IM zum ‚Frauenfest‘. Der IM übergab einen ausführlichen Bericht und einen Film mit Aufnahmen der Teilnehmerinnen. Das Vorhaben der Beschaffung einer Namensliste d. Teilnehmerinnen konnte aus Gründen der Geheimhaltung der Konspiration nicht erfüllt werden.“11
Innerhalb von zwei Tagen verfasste ‚Sonja Walther‘ zwei Berichte über ihre Teilnahme am besagten Frauenfest. Sie gab Auskunft über die Inhalte von Diskussionsgruppen und Vorträgen sowie über eine Tanzveranstaltung. Vor allem aber lieferte sie die Namen der überregional Angereisten und machte somit Vernetzungen zwischen den Städten für die Staatssicherheit sichtbar. So beurteilt der hauptamtliche Mitarbeiter in seinem Treffbericht am 26. Oktober 1986: „Der IMB erledigte den Auftrag – Beteiligung am ‚Frauenfest‘ – mit einer hohen Einsatzbereitschaft. Sie selbst schätzt ein, daß es auch durch ihren persönlichen Einsatz gelungen ist, politisch-negatives Auftreten der sog. ‚militanten‘ Lesben vorbeugend zu verhindern.“12
IM ‚Sonja Walther‘ lieferte in neun Jahren unzählige Namen, (intime) Informationen und Verflechtungen über Menschen aus homosexuellen Kreisen nicht nur aus Dresden. Der letzte Treffbericht ist auf den 1. November 1989 datiert und noch am 14. November 1989 wurde auf einer Aktenseite handschriftlich die Einschätzung vermerkt: „Dieser IM hat Perspektive.“13
IMs als wertvolle Quelle
Es sind ungezählte inoffizielle Mitarbeiter_innen wie ‚Sonja Walther‘, die durch ihre Vorarbeit das MfS 1985 dazu veranlassten, eine Richtlinie für den Umgang mit ‚feindlich-negativen Kräften‘ herauszugeben, das Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit. Hierin wurden Anweisungen gegeben, wie mit oppositionellen Elementen – wie eben homosexuellen Vereinigungen – diskreditierend und zersetzend zu verfahren sei. Auf dieser Grundlage und mittels der unzähligen, mit Informationen gespickten Berichte, wurde massiv in die Biografien von zahlreichen Lesben bzw. vermeintlich staatsfeindlich tätigen Menschen eingegriffen. Auch wurden durch die Berichte weitere Anhaltspunkte für weiterhin anzuwerbende lesbische Frauen geliefert. Letztlich wurde auch durch die flächendeckende Überwachung und daraus resultierende menschliche Entwertung dafür gesorgt, dass sich in der DDR keine offiziell staatlich anerkannten lesbischen Treffpunkte entwickeln konnten. Wie stark die nichtstaatliche Frauen-/Lesbenbewegung mit IMs durchsetzt war, ist bis heute wenig bis kaum erforscht. Zugleich wird deutlich, dass für die Betrachtung und Erforschung der Frauen-/Lesbenbewegung in der DDR die Akten des MfS eine wichtige Quelle darstellen.
Fußnoten
- 1 BStU, MfS, BV Dresden AKG, Nr. 9650, S. 14.
- 2 BStU, MfS, XV 2395/79, Personalakte, Bd.1, S. 19.
- 3 Vgl. BStU, MfS, XV 2395/79, Personalakte, Bd.1, S. 35.
- 4 BStU, MfS, XV 2395/79, Personalakte, Bd.1, S. 36.
- 5 BStU, MfS, XV 2395/79, Personalakte, Bd.1, S. 39.
- 6 BStU, MfS, XV 2395/79, Personalakte, Bd.1, S. 43.
- 7 Über meinen Forschungsantrag konnte ich thematisch nur Aktenseiten zur Homosexualität und Einschätzungen einsehen, nicht aber andere Aufgabenfelder des IM, zum Beispiel weitere Berichte aus einem anderen Überwachungskontext.
- 8 BStU, MfS, XV 2395/79, Personalakte, Bd.1, S. 206.
- 9 BStU, MfS, XV 2395/79, Personalakte, Bd.1, S. 204.
- 10 BStU, MfS, XV 2395/79, Arbeitsakte, Bd.1, S. 9.
- 11 BStU, MfS, XV 2395/79, Arbeitsakte, Bd.2, S. 11.
- 12 BStU, MfS, XV 2395/79, Arbeitsakte, Bd.2, S. 16.
- 13 BStU, MfS, XV 2395/79, Personalakte, Bd.1, S. 310.