Bremer Lesben- und Frauenbewegung - Geschichte lebendig erhalten
Das Bremer Frauenarchiv und Dokumentationszentrum hält über 3.300 Plakate und Flugblätter bereit, die zentrale Themen der Lesben- und Frauenbewegung regional, überregional und international abbilden.
Ein Schwerpunkt der Archivarbeit war und ist der lokale Bezug zu Bremen und dem weiteren Umland. Wir hüten die gesammelten Dokumente als besondere Schätze.
Plakate und Flugblätter waren (vor dem digitalen Zeitalter) wichtige Medien zur Weitergabe von Informationen. Es handelt sich z.B. um Aufrufe zu Demonstrationen, Ankündigungen von frauenpolitischen und/oder kulturellen Veranstaltungen, Mitteilungen über Neugründungen von Projekten, Frauenfeste und Konzerte. Auch heute noch sind sie in Projekten, Szenekneipen, an der Universität oder an öffentlichen Plätzen zu finden.
Im Folgenden werden wesentliche Themen der Bremer Lesben- und Frauenbewegung ab 1968 vorgestellt.
Der Auftakt – Das Private ist politisch
Auf der Delegiertenkonferenz des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) in Frankfurt am Main hielt die Aktivistin Helke Sander 1968 ihre historische Rede zur Gleichberechtigung der Geschlechter. Sie stellte das Konzept des Aktionsrats zur Befreiung der Frauen vor, in dem sie die Trennung von Politischem und Privatem anprangerte. Die patriarchale Haltung der Kommilitonen, dass Frauen nach wie vor für das Privatleben, nämlich Haushalt und Kinder, zuständig seien, trage weiterhin zur Diskriminierung bei. Da die Genossen mit Ignoranz reagierten, warf die Studentin Sigrid Rüger wütend ein paar Tomaten auf das führende SDS-Mitglied KD Wolff und sorgte damit für
einen Tumult und eine große Resonanz in den Medien. Heute gilt diese konfliktgeladene Konferenz als Auftakt zur Neuen westdeutschen Frauenbewegung.
Aus dem Bedürfnis heraus, sich ungestört von Männern auszutauschen, entstanden in vielen Städten Weiberräte, 1969 auch in Bremen, nach einer mitreißenden Rede von Helke Sander und ihrer Mitstreiterin Marianne Herzog in der Bremer Szenekneipe Lila Eule.
Autokorso: Für die Selbstbestimmung der Frau – gegen § 218
1969 starteten Bremer Frauen eine Selbstbezichtigungskampagne unter dem Motto: Ich habe abgetrieben. Überall wurden Unterschriften gesammelt und auf Anraten des linken Anwalts Heinrich Hannover in dessen Büro hinterlegt.
Damit waren sie Vorreiterinnen der aufsehenerregenden bundesweiten Kampagne, die 1971 im Stern veröffentlicht wurde. Viele Bremerinnen bekannten sich auch hier öffentlich zur Abtreibung.
Die Aktion 218 setzte sich ab 1971 für die ersatzlose Streichung des Abtreibungsparagraphen ein, war jedoch mehr marxistisch als feministisch orientiert – wie die Grundsatzerklärung verlauten ließ. Am 20. November 1971 versammelten sich circa 500 Frauen und Männer auf dem Bremer Marktplatz zur Demonstration gegen den Abtreibungsparagraphen. Ab 1974 entstanden in Bremen zunehmend neue Frauengruppen, die an den zahlreichen Aktionen, auch bundesweit, teilnahmen. Unter dem Motto: Für die Selbstbestimmung der Frau – gegen § 218 gab es am 2. März 1974 einen Autokorso quer durch die Stadt.
a
Frauen gemeinsam sind stark: Das erste Frauenzentrum 1975
Die Bremer Protestaktionen bestärkten die Beteiligten darin, dass sie gemeinsam viel erreichen konnten. So entstand der Wunsch nach einem eigenen Ort, an dem sich Frauen aus unterschiedlichen Lebens-zusammenhängen autonom treffen und eigene Projekte entwickeln konnten.
1975 wurde das Frauenzentrum Auf den Häfen eröffnet. Neben einer Selbsterfahrungs- und § 218-Gruppe gab es Beratungsmöglichkeiten für vergewaltigte und misshandelte Frauen und es existierte sogar eine KFZ-Werkstatt.
Eine Redaktionsgruppe gab die Frauenzeitung Bremen mit redaktionellen Beiträgen über aktuelle Themen, die auch heute wieder diskutiert werden, heraus. So wurden in der zweiten Ausgabe von 1977 nicht entlohnte Hausarbeit, Marxismus und Feminismus und der Paragraph 218 thematisiert. Darüber hinaus sind Berichte aus der Lesben- und Frauenszene und Veranstaltungshinweise in der Frauenzeitung Bremen zu finden.
Viele Aktivistinnen bereiteten im Frauenzentrum frauenpolitische Aktionen und Demonstrationen vor, große Resonanz fanden zum Beispiel die Walpurgisnacht-Demos.
Hinter lila Vorhängen – Eine Zeitzeugin erinnert sich:
„Immer wenn ich Auf den Häfen entlang ging, sah ich die lila Vorhänge, Frauenzentrum stand groß darüber. Ich kannte keine, die dorthin ging, war aber sehr interessiert, was sich hinter diesen Vorhängen abspielte.“1
Magdalene Specht, eine der Gründerinnen des Frauenzentrums, erzählt: „In der ersten Zeit waren sämtliche Diskussionen von den Auseinandersetzungen mit den Frauen vom KB [Kommunistischer Bund Anm. d. A.] blockiert (…) Die Zeit (…) war geprägt von starkem Dogmatismus und Schubladendenken einerseits und andererseits von einer starken Intensität und Aufbruchstimmung.“2
Auch führten die unterschiedlichen Interessen und Ideologien von Lesben und Heterofrauen oft zu heftigen Kontroversen. Die Devise Feminismus ist die Theorie, Lesbischsein die Praxis setzte Heterofrauen manchmal unter Druck.
Wir erobern uns die Nacht zurück
So lautete das Motto der Walpurgisnacht-Demo, die in Bremen zum ersten Mal am 30. April 1976 stattfand. Feministinnen zeigten hier ihre Empörung angesichts der grassierenden (sexuellen) Gewalt gegen Frauen und Mädchen, vor allem nachts konnte keine sicher vor Übergriffen sein. Eine Zeitzeugin erinnert sich: „Hunderte von Frauen drückten, bunt angemalt, mit Trillerpfeifen, Trommeln und allem, was Krach macht, lautstark ihren Protest gegen die Gewaltherrschaft des Patriarchats aus. Besonders Sexshops stellten eine
beliebte Fläche für Farbbeutel und Graffiti dar.“3
Auch heute noch gehen Frauen in ganz Deutschland am 30. April auf die Straße, um gegen Männergewalt zu demonstrieren.
Eines der wichtigen Themen in diesen bewegten Jahren waren der gemeinsame Kampf gegen männliche Gewalt und die Forderung, dass Frauen auch nachts sicher unterwegs sein konnten. Die Sensibilisierung für die strukturelle Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft war eines der großen Verdienste der feministischen Bewegung.
Vergewaltiger, wir kriegen euch
1976 wurde das Autonome Frauenhaus für geschlagene Frauen gegründet, mit der Zielsetzung, professionelle Beratung und Hilfe für Gewaltopfer anzubieten.
Aktivistinnen vom Notruf für vergewaltigte Frauen (gegründet 1980) zeigten Vergewaltiger an und stellten sie anhand von Flugblättern im Stadtteil bloß. Der ‚Schlachtruf‘ hieß: Vergewaltiger, wir kriegen euch. So manche Feministin ließ sich zur Trainerin von Selbstverteidigungsgruppen (zum Beispiel Wen Do) ausbilden und gab praktische Tipps, wie frau sich zur Wehr setzen kann.
Aktivistinnen waren bei Vergewaltigungsprozessen als Beobachterinnen anwesend und berichteten, dass nicht selten das Opfer zur Täterin wegen ‚provozierenden‘ Verhaltens abgestempelt wurde. Ein absurdes Flugblatt der Bremer Polizei gab sogar den Ratschlag, dass bedrohte Frauen laut beten sollten, um den Täter von einer Vergewaltigung abzulenken.
Engagement in Lesben-/Frauenprojekten – prekäre Arbeitsverhältnisse
Ende der 1970er bis weit in die 1980er Jahre entstanden zahlreiche Mädchen-, Lesben-/Frauenprojekte. Meist als gemeinnütziger Verein gegründet, hatten sie inhaltliche Schwerpunkte und gezielte Beratungsangebote in den Bereichen Kultur, Bildung, Arbeit, Gesundheit, Migration und Gewalt.
In Bremen, wie auch bundesweit, wurden sogenannte ABM-Stellen4 geschaffen zur Eingliederung erwerbsloser Akademikerinnen, die für viele Projekte existenziell bedeutend waren, auch wenn die Gelder zeitlich nur begrenzt bewilligt wurden.
Der Frauenbuchladen Hagazussa wurde 1979 als Verein zur Förderung von Frauenliteratur und -bildung gegründet. Der feministische Buchladen mit Schmökerecke, Café und kulturellen Veranstaltungen war damals ein angesagter Treffpunkt für Lesben und Frauen. Männer mussten draußen bleiben, wie bei den meisten autonomen Projekten. Nach einem Umzug konnte sich Hagazussa noch einige Jahre über Wasser halten, doch die Einnahmen gingen immer mehr zurück, was 2007 zur Schließung führte. Ähnlich erging es unter anderem auch dem Beratungsladen (für ehemalige Nutzerinnen des Frauenhauses), dem Frauentherapiezentrum und Ende 2016 dem Frauengesundheitszentrum, denen allen die staatliche Förderung gestrichen wurde.
Das Frauenkulturhaus lud am 7. März 1982 zur feierlichen Eröffnung ein: „Frauen, werft den Kochlöffel weg, greift zur Doppelaxt und kommt ins Frauenkulturhaus …“5. Das Café, später Restaurant, die Beratungsangebote (Notruf für vergewaltigte Frauen und das Lesbentelefon), die Kultur- und Bildungsveranstaltungen und die Frauenfeste zogen jahrelang viele Besucherinnen an. Nachdem das ursprüngliche Kulturhaus-Team aus finanziellen Gründen aufgeben musste, gelang unter dem Namen Thealit (Theater und Literatur) 1990 ein Neuanfang. Besonders beliebt war das Frauenrestaurant mit Anna Postmeyers Kochkünsten. Das Thealit. Frauen.Kultur.Labor bietet bis heute internationale Veranstaltungen zu Medienkunst, Medientheorie und Geschlechterdifferenz.
belladonna e.V. wurde 1986 als gemeinnütziger Verein gegründet. Ein interdisziplinäres Frauenprojekt an der Bremer Universität gab 1983 den Impuls, ein Kultur- und Bildungszentrum von und für Frauen zu etablieren. Eine Gruppe von Studentinnen und Dozentinnen verwirklichte schließlich den Traum von einem eigenen Haus, in dem Veranstaltungen für Geist (Kultur, Bildung, Archiv) und Körper (Sauna) stattfinden konnten.
Am 13. Januar 1988 lockte die Eröffnung des Kultur-, Kommunikations- und Bildungszentrums mit einem festlichen Programm 150 Besucherinnen an. Statt Kinder Kirche Küche lautete das Motto: Kultur Kommunikation Kommerz.
Im Gegensatz zu vielen anderen Fraueneinrichtungen hat belladonna es geschafft, eine anerkannte und etablierte Institution in Bremen zu werden und bundesweite Bekanntheit zu erlangen. Die umfangreichen, vielfältigen Angebote zu Kultur, Bildung, Wirtschaft und Archiv werden zum Teil weit über Bremen hinaus geschätzt und genutzt. Das Spektrum der Angebote hat sich bis heute enorm erweitert.
2018 wird 30-jähriges Jubiläum gefeiert!
Frauenräume erhalten, aber wie?
Viele Bremer Fraueneinrichtungen waren seit 1984 im Autonomen Frauenprojekteplenum zusammengeschlossen, um sich auszutauschen, mit den Behörden und Politiker_innen um mehr Geld zu verhandeln und gemeinsame Aktionen gegen Kürzungen durchzuführen. Neue Bündnispartner_innen wurden auch außerhalb der Szene gesucht, auch bei Menschen mit eher konservativen Inhalten.
Befürchtungen, das eigene feministische Profil aufgeben zu müssen, trieben nicht nur belladonna um, immer wieder gab es entsprechende Aktionen auf dem Marktplatz. So wurden zum Beispiel die von Kürzungen bedrohten Projekte symbolisch zu Dumpingpreisen verschleudert. Ein anderer Protest richtete sich gegen die Bremer Sparpolitik, indem aufeinander gestapelte Kartons mit den Logos von belladonna und vielen anderen Einrichtungen umgeworfen wurden.
In Bewegung bleiben … Besondere Events gestern und heute
Die Bremer Frauenwoche (Bildungs- und Kulturwoche für Frauen von Frauen) war ab 1982 zehn Jahre lang ein wichtiger Ort der Begegnung an der Universität Bremen und ein Forum für alle Themen, die für Feministinnen regional und überregional von Bedeutung waren. Die Resonanz auf die erste Frauenwoche mit 2.500 Frauen war überwältigend. Schwerpunkthemen waren zum Beispiel Frauenbewegungen, Lesben, Rassismus, Sexismus, Migration, Identitäten und neue Technologien. Auch einige Projekte, wie das Lesbentelefon, sind hier entstanden. Das umfangreiche Kulturprogramm (Konzert, Fest, Theater, Film etc.) war jedes Jahr ein besonderes Highlight.
Der Internationale Frauentag stieß bei autonomen Frauen eine Zeitlang auf Kritik wegen des früher gewerkschaftlich geprägten traditionellen Frauenbildes. Heute jedoch ist eine große Bandbreite an Frauenorganisationen mit vielfältigen Aktionen rund um den 8. März dabei. Die Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen im Land Bremen (ZGF) gibt jedes Jahr einen Infoflyer mit allen Veranstaltungen heraus. 1982 übernahm die Frauenbeauftragte Ursel Kerstein die Leitung, ihre Nachfolgerin Ulrike Hauffe war ab 1994 bis November 2017 in diesem Amt auch bundesweit sehr erfolgreich tätig. Seither ist Bettina Wilhelm die neue Leiterin.
Auch belladonna beteiligt sich regelmäßig mit spannenden Veranstaltungen.
Ein besonderes Highlight war 1998 der Internationale Frauenkongress von belladonna: Einbrüche – Umbrüche – Aufbrüche. Globale Chancen für Frauen in der Arbeitsgesellschaft, der vom 5. bis 8. März an der Bremer Uni stattfand. 48 nationale und internationale Referentinnen (unter anderem aus Afrika, Südamerika und den USA) diskutierten (in vier Sprachen) mit 700 Teilnehmerinnen. Diese, für das kleine Team große, Herausforderung fand regional und bundesweit große Beachtung.
Lesbenfrühlingstreffen (früher Lesbenpfingsttreffen) werden jedes Jahr in wechselnden Städten organisiert, auch Bremen war 1992 zum ersten Mal dabei, mit der bisher höchsten Teilnehmerinnenzahl von mehreren Tausend. Anders, aber wie!? lautete das Motto des Lesbenfrühlingstreffens im Mai 2016, mit fast tausend Teilnehmer_innen. belladonna und das Spinnboden-Lesbenarchiv präsentierten Plakate, Flugblätter und Zeitschriften von Lesbenaktionen ab den 1970er Jahren.
Der Christopher-Street-Day fand 1979 erstmalig in Bremen statt, war danach bis 2016 in Oldenburg verortet. Lesben aus dem Frauenzentrum organisierten 1979 zusammen mit Schwulen aus dem Rat und Tat-Zentrum unter anderem eine große Lesbendemo, mit über 700 Teilnehmer_innen. Die Partys fanden jedoch an verschiedenen Orten statt. Nach einer langen Pause kehrte der CSD im August 2017 nach Bremen zurück. Ein Riesen-Event war die Demonstration mit fast 6.000 Teilnehmenden durch die Bremer Innenstadt.
Rauschende Frauenfeste
Waren die Protestaktionen auch noch so heftig, danach wurde gefeiert!
Ob im Frauenkulturhaus, bei belladonna, im Mädchenkulturhaus, im Moments oder in den Weserterrassen – Lesben-/Frauenfeste mit Kulturprogramm und Disko waren lange Zeit der Hit!
2009 jedoch stieg die letzte belladonna-Party, weil immer weniger Besucherinnen kamen und jüngere Frauen sich zunehmend auf gemischten Feten oder in der Queer-Community amüsierten.
Fußnoten
- 1 belladonna bewegt, eine Dokumentation über 13 Jahre Frauenkultur und Frauenbildung, Bremen 1999, S. 14.
- 2 Rosenberger, Margarethe et. al. (Hg.).: andersARTtig. 7 Jahre Frauenkulturhaus Bremen, Bremen 1989, S. 25.
- 3 Rosenberger, Margarethe et. al. (Hg.).: andersARTtig. 7 Jahre Frauenkulturhaus Bremen, Bremen 1989, S. 22
- 4 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der Bundesregierung.
- 5 Postmeyer, Anna, u.a.: andersartig. 7 Jahre Frauenkulturhaus Bremen, 1989, S. 11