- Illustratedjc
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Ausgezeichnete Arbeit: die Zitronenjette auf der Messe Du und Deine Welt
Ein Preis nur für Frauen
Der massivsilberne, schwere Wanderpokal wurde nach dem Abbild des sogenannten Hamburger Originals Zitronenjette1 geschaffen, Johanne Henriette Müller (1841–1916), einer armen, alkoholkranken Frau. Diese Skulptur sollte Frauen ehren, die sich in Hamburg erfolgreich, aber wenig beachtet und ehrenamtlich für die Gleichstellung einsetzten. Da der Hamburger Landesfrauenrat bereits seit Jahrzehnten die Belange der Frauen in Hamburg mit Diskussionen und Vorträgen auf die Messebühne von Du und Deine Welt brachte, fand die Verleihung ab 1985 im Rahmen der Eröffnungsfeier statt.
Initiiert wurde der Preis allerdings nicht von den engagierten Frauen des Landesfrauenrates, sondern von einem einflussreichen Mann – dem damaligen Direktor der Hamburg-Messe Prof. Franz Zeithammer. Dieser legte auch die – damals noch nicht umstrittene! – Benennung des Preises nach der Zitronenjette und dessen Auslobung fest, welcher von der Hamburger Messe gestellt wurde. Diese Auszeichnung war in Hamburg einzigartig - und die Verleihung durch oder in Anwesenheit der jeweiligen Hamburger Bürgermeister blieb bis zum Ende der Du und Deine Welt 2015 Tradition.
Wie sah diese Auszeichnung konkret aus? Überreicht wurde, wie es zum Beispiel 1994 heißt, ein „Wanderpokal der Zitronenjette, der nach Ablauf eines Jahres an die nächste Preisträgerin geht. Bei Weitergabe erhält die vorherige Preisträgerin eine Miniatur-Zitronenjette“2 sowie eine Urkunde, einen Scheck über 3000 Deutsche Mark und einen Blumenstrauß.3 Der schwere Pokal wurde vom Hamburger Künstler Uwe Lacina konzipiert, in Form gebracht und in Silber gegossen. Die Preisträgerinnen wurden durch die Mitgliedsverbände der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Frauenorganisationen (ahf) vorgeschlagen und in der Mitgliederversammlung ausgewählt. Ihre Namen finden sich eingraviert am Fuß der Skulptur. Bei der Verleihung war oftmals eine Darstellerin, verkleidet als Zitronenjette, zugegen.
Die Zitronenjette – eine Frau mit tragischem Schicksal
Die Zitronenjette wurde, wie zum Beispiel der Wasserträger Hans Hummel, zu einer lokalen Ikone stilisiert, deren lebensgroße Skulptur unweit des Hamburger Michels steht. Die Zitronenjette war auch eine historische Person, geboren 1841 als Henriette Johanne Marie Müller4. Sie war körperlich behindert, nur 1,30 m groß und entsprach äußerlich nicht der gesellschaftlichen Norm, wodurch sie Zeit ihres Lebens betroffen von Spott, Hohn und Ausgrenzung war. Sie litt unter Alkoholismus, wurde zum Opfer menschenverachtender ‚Späße‘. So wurden ihr in Kneipen alkoholische Getränke ausgegeben, um sich an ihrem betrunkenen Zustand zu ergötzen. Henriette Johanne Müller wird oft geschildert als Zitronenverkäuferin, ihr Ende ist den meisten jedoch unbekannt: Im Alter von 53 Jahren wurde sie in die damals so bezeichnete ‚Irrenanstalt Friedrichsberg’ eingewiesen, in der sie später verstarb.
Strittig bleibt die Frage, wie die ahf und die Nachfolgeorganisation, der Landesfrauenrat, sich zur Namensgebung dieser Auszeichnung positionierten: Ab wann war den Verantwortlichen bewusst, dass dieser Preis zu Ehren von Frauen nach einer Außenseiterin mit leidvollem Lebenslauf benannt worden war? Wurde auch das Schicksal der Zitronenjette in das öffentliche Blickfeld gerückt und thematisiert? Was sagen die Quellen und die Zeitzeuginnen? Dazu gibt es leider keine schriftlichen Dokumente – nur sehr unterschiedliche Erinnerungen. So betont die Historikerin Dr. Rita Bake, dass sie bereits in den 1990er-Jahren die damalige Vorsitzende des Landesfrauenrates, Helga Diercks-Norden, über die historisch nachweisbaren prekären Lebensbedingungen der Zitronenjette informiert habe.5 Offensichtlich dauerte es lange, bis sich diese Erkenntnis durchsetzte.
Ursula Dau, langjährige Vorsitzende des Vereins und des Messebeirats und selbst Preisträgerin: „Ich habe immer gesagt: ‚Ja, genau das ist das, was wir für Frauen nicht wollen. Und dieser Preis ist sozusagen die Erinnerung daran, dass Frauen so nicht leben wollen. Sondern, dass Frauen gleichberechtigt an den Werten der Gesellschaft, auch an den finanziellen Werten der Gesellschaft, teilhaben möchten. Und dafür setzen wir uns eben als Landesfrauenrat ein. Und dafür haben sich eben auch die Frauen, die diesen Preis bekommen, besonders eingesetzt.“6
„Die diesjährige Zitronenjette geht an …“: Die Preisträgerinnen
Obwohl der Preis durch die Messe konzipiert und dotiert wurde, entschied der Landesfrauenrat von der ersten bis zur letzten Verleihung darüber, wem die Zitronenjette verliehen wurde. Dafür reichten die Mitgliedsverbände über ihre Delegierten Vorschläge ein, über die in der Mitgliederversammlung diskutiert und abgestimmt wurde. Bei der Auswahl ging es zuerst vor allem darum, Frauen zu ehren, die sonst in keinem anderen Auswahlkomitee Beachtung fanden und sich eher im Hintergrund ehrenamtlich engagierten. Doch mit der Zeit wurden Frauen geehrt, die bereits in der Öffentlichkeit standen.
Die erste Zitronenjette wurde 1985 an Paula Fietzke vom Verband Die Hamburger Verbraucherin verliehen, für eine Verbraucher*innenmesse 1998 wurde Gerda Aldermann7 ausgezeichnet, politisch engagiert und auch auf der Messe immer mit Kamera dabei. In der Pressemitteilung wird sie vor allem für ihre Selbstlosigkeit gelobt und ihren Einsatz für alte und kranke Menschen, die sie regelmäßig am Sterbebett besuchte. Dazu Gerda Aldermann: „Die haben doch diesen Staat aufgebaut, haben Kinder aufgezogen, haben Steuern bezahlt – und nun werden sie vergessen, abgeschoben, schlecht behandelt. Deshalb gehe ich zu den alten Menschen hin!“8. Lange Zeit werden in den Reden zur Verleihung des Preises typisch ‚weibliche’ Eigenschaften der Frauen wie Selbstlosigkeit, Zurückhaltung und Aufopferungsbereitschaft in den Vordergrund gestellt, was der Verleihung einen konservativen Einschlag verleiht. Auch war die Verleihung patriarchal geprägt: Zugegen waren sowohl der Gründer des Preises – der Messechef – und der jeweilige Bürgermeister der Stadt; auf eine Bürgermeisterin wartet Hamburg noch.
Alle 31 Preisträgerinnen wurden für ihre herausragenden Leistungen für Gleichstellung geehrt. Die letzte Preisträgerin, Angelika Huntgeburth, Vorsitzende des Vereins Dolle Deerns e. V., wurde 2015 für ihr Engagement ausgezeichnet, allerdings fand die Verleihung nicht mehr auf der Du und Deine Welt statt, die 2014 eingestellt wurde. Vertreter*innen der Messe waren dennoch bei der Verleihung dabei. Die Preisträgerin der Zitronenjette 2013, Dr. Stevie Meriel Schmiedel, Gründerin der in Hamburg ansässigen feministischen Plattform Pinkstinks, erinnert sich an die Verleihung: „Ich erinnere mich immer noch sehr, sehr gerne an die Preisverleihung. Pinkstinks hatte ich erst ein Jahr vorher gegründet und war Presse noch nicht so gewohnt wie heute. […] Einen Preis zu erhalten nach all den anfänglichen Shitstorms von rechts und links, den Lobpreisungen und gleichzeitigen Zerrissen in der Presse, der Rund-um-die-Uhr-Arbeit des Aufbaus, fühlte sich unglaublich an – als würden hinter mir auf einmal sehr liebe Fairy Godmothers stehen, die mich unterstützen. […] Dass die damalige Justizsenatorin Jana Schiedeck eine Laudatio auf mich halten sollte, kam mir komplett irreal vor. […] Mein Vater, der drei Jahre später starb, saß sehr stolz in der ersten Reihe und schien erstmals zu verstehen, dass meine Arbeit Bedeutung hatte. […]
Ich war traurig, als ich die große Zitronenjetten-Figur mit den Namen all der tollen Frauen darin, die mit mir den Wanderpokal erhalten hatten, nach einem Jahr abgeben musste. Ich liebte die Figur, weil ich lange beim Michel gewohnt hatte, wo das Original steht. Dafür bekam ich eine kleine Replikation, die bis heute als einzig erlaubter Staubfänger bei uns im Wohnzimmer steht und sehr geliebt wird. Ich durfte seitdem viele Preise für Pinkstinks erzielen […], aber der Preis des Herzens ist immer noch der erste, die Zitronenjette. Der bedeutete, ich mache irgendetwas richtig, obwohl Feminismus vor 10 Jahren noch so ein Schimpfwort war.“9
Aus für Du und Deine Welt – wer zeichnet nun die Frauen aus?
Mit der Vergabe der Zitronenjette auf der letzten Eröffnungsfeier 2014 gab der Hamburger Senat bekannt, dass der Preis eingestellt werden würde.10 Die CDU-Abgeordnete Birgit Stöver stellte daraufhin in der Hamburger Bürgerschaft 2016 eine schriftliche Kleine Anfrage, unter anderem mit dieser Frage: „Welche anderen Ehrungen gibt es in Hamburg, bei denen Personen, die sich für die Belange von Frauen einsetzen, geehrt werden?“11 Der Senat antwortete darauf allgemein, dass „[g]rundsätzlich […] in allen Ehrungen, die durch die Freie und Hansestadt Hamburg vorgenommen wurden, solche Personen geehrt werden [können], die sich speziell für die Belange von Frauen einsetzen“12. Damit war das Thema für den Senat beendet.
Doch es gibt nach wie vor einen Preis, der in Hamburg nur an Frauen verliehen wird, die sich in Sachen Gleichstellung einen Namen gemacht haben. Dieser ist zwar nicht mehr zwangsläufig an ein Ehrenamt geknüpft, trotzdem ist er in Hamburg einzigartig: Der Landesfrauenrat verleiht seit 2008 auf Initiative der damaligen Vorsitzenden Prof. Dr. h. c. Christa Randzio-Plath jährlich die Hammonia“13. Die Namensgeberin des Preises hat eine weniger leid- und kummervolle Geschichte als die als Zitronenjette in die Hamburger Geschichte eingegangene Henriette Johanne Marie Müller. Seit 2007 gibt es in Hamburg den Jette-Müller-Weg.14 Ein Erinnerungsstein steht im Garten der Frauen, einer Gedenkstätte auf dem Friedhof Ohlsdorf, wo sie bestattet wurde. Der Garten der Frauen ehrt Frauen, die die Hamburger Geschichte mitgeprägt haben.
In dem Stück Zitronenjette, das noch zu Lebzeiten von Henriette Müller im Ernst-Drucker-Theater auf St. Pauli entstanden war und das seitdem mehrmals überarbeitet wurde, übernahmen Männer die Hauptrolle, wie in den 1970er-Jahren Henry Vahl.15
Das Hamburger Ohnsorg-Theater kreierte das kritische Stück Bittersüße Zitronen, in dem die Zitronenjette gegen jeglichen Klamauk und Kitsch um Liebe und Akzeptanz kämpft.16
- Helmli, Vivien
- Digitales Deutsches Frauenarchiv
- CC BY-SA 4.0
Fußnoten
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1
Bake, Rita: Zitronenjette, Zugriff am 16.10.23 unter https://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=3086&qN=Zitronenjette.
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2
Vgl. FrauenStadtArchiv Hamburg (im Folgenden FSAHH), DDW002;6-7 Bl. 1.
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3
Ebenda.
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4
Bake: Zitronenjette.
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5
Telefonat mit Birgit Kiupel am 25.05.2023.
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6
FSAHH202201.
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7
Bake, Rita: Gerda Altermann, abgerufen am 25.05.2023 unter https://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=4748&qN=gerda%20aldermann.
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8
FSAHH; DDW006; 5-4/2; Bl. 2.
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9
FSA2022003.
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10
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg; Drucksache 21/3260, abrufbar unter: https://kleineanfragen.de/hamburg/21/3260-finden-die-zitronenjette-und-ehrenamtlich-engagierte-frauen-in-hamburg-keine-wertschaetzung-mehr.
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11
Ebenda.
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12
Ebenda.
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13
Zu Hammonia und ihrer mythologischen Bedeutung für Hamburg: Vgl.: Rita Bake / Michael Zapf (Hg.): Das Hamburger Rathaus. 125 Jahre – 125 Geschichten, Landeszentrale für Politische Bildung Hamburg, Hamburg 2022, S. 67.
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14
Bake: Zitronenjette.
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15
Diekmann, Bernd: Henry Vahl- der Fernsehopa der Nation, 24.08.2015, Zugriff am 01.12.2023 unter https://www.ndr.de/kultur/norddeutsche_sprache/plattdeutsch/Henry-Vahl-Der-Fernseh-Opa-der-Nation,vahl100.html; Bake: Zitronenjette.
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16
Zugriff am 24.10.2024 unter https://www.die-deutsche-buehne.de/kritiken/schauspiel-hamburg-ohnsorg-bittersuesse-zitronen/.
Ausgewählte Publikationen
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Möhring, Paul: Die Zitronenjette. Ein Hamburger Original, Hamburg 1946.