In Bewegung: Netzwerke der Lesbengruppen in der DDR in den 1980er-Jahren

verfasst von
  • Maria Bühner
veröffentlicht 13. September 2018
Der Essay gibt einen historischen Abriss zur Vernetzung der Lesbengruppen in der DDR in den 1980er-Jahren. Im Zentrum steht die Frage, wie es in der DDR im Angesicht fehlender Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und Zensur möglich war, lesbisch-feministische Verbindungen zu knüpfen.

Ein dichtes lesbisch-feministisches Netzwerk im Aufbruch

Trotz dieser Schwierigkeiten und der stark eingeschränkten Möglichkeiten zur Vervielfältigung von Programmen, Einladungen etc. entstand innerhalb weniger Jahre ein lebendiges und dichtes lesbisch-feministisches Netzwerk. Für die Entstehung und Stärkung dieser Kontakte spielten unterschiedliche Faktoren und Praktiken eine Rolle. So beispielsweise die Kirchentage und Friedenswerkstätten sowie der Zugang zur Kirchenöffentlichkeit allgemein. Ab der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre beteiligten sich lesbische Gruppen auch zunehmend an den Frauenforen der Kirchentage wie 1988 in Halle. Bei diesem Frauen-Tag zum Thema „Werde, die du bist!“ im Rahmen des Kirchentages gestaltete die Ost-Berliner Gruppe Lesben in der Kirche ein Forum zum Thema „Menschenrechte – Christenrechte – Frauenrechte“.1

Eine enorm wichtige Rolle spielten auch persönliche Kontakte, Freund_innenschaften und Liebesbeziehungen. Für gewöhnlich fand sich auf allen Publikationen der homosexuellen und lesbischen Arbeitskreise eine Kontaktadresse, bei der es sich meist um die Privatadresse eines aktiven Mitglieds handelte. Bärbel Klässner, die in der Lesbengruppe in Jena aktiv war, berichtete: „Die Anschrift unserer Wohnung verbreitete sich somit als Kontaktadresse via innerkirchlichen Gebrauch durch die ganze DDR. Wir wurden also besucht und angeschrieben, es war ein andauerndes Hereinschneien von Frauen, die meisten zwischen 20 und 30 Jahre alt, wenige ältere. So oder ähnlich spielte es sich parallel in verschiedenen Städten ab, vielleicht gab es sechs bis acht (?) solcher Orte mit lesbenmagnetischer Wirkung; und wir Magnete kannten und besuchten einander natürlich auch.“2 Zudem gab es auch gegenseitige Einladungen zu Veranstaltungen.

In der DDR so aktiv und sichtbar zu werden, bedeutete quasi automatisch, in den Fokus der Staatssicherheit zu geraten. Es gibt sehr viele Stasi-Unterlagen, welche Zeugnis ablegen von der intensiven Überwachung der Personen, die sich aktiv in der Lesben- und Homosexuellenbewegung einbrachten. Neben Berichten von inoffiziellen, oft selbst lesbischen, Mitarbeiter_innen, die nicht nur von den Treffen der Gruppen, sondern im Extremfall sogar von sexuellen und romantischen Erfahrungen mit anderen Lesben, berichteten, sind auch koordinierte Überwachungs- und sogenannte Zersetzungsmaßnahmen genauestens dokumentiert.3 Doch trotz dieser Repression nahm die Zahl der Gruppen und der engagierten Einzelpersonen in den 1980er-Jahren kontinuierlich zu.

Frauen- und Lesbenfeste als Orte der Begegnung

Verstärkend für die Verbindungen zwischen den sogenannten nicht-staatlichen Frauengruppen wirkten die überregionalen Treffen.4 Diese Frauen- und Lesbenfeste boten besonders intensiven Erfahrungen. Vom 14. bis 16. Juni 1985 fand in Dresden das 1. Frauenfest mit dem Schwerpunkt  „Lesbische Liebe in der Literatur“, organisiert vom dortigen AK Homosexualität, statt.5 In frau anders berichtete eine Lesbe aus Jena 1989: „Inzwischen kannte ich die berühmten 5 Prozent, war Karin Dauenheimer begegnet, hatte beim Dresdner Frauenfest 1985 Lesben aus der ganzen DDR getroffen – nie vergesse ich dieses überwältigende Glücks- und Geborgenheitsgefühl, zum ersten Mal unter so vielen Frauen, so vielen Lesben zu sein!“6

Anmeldeformular zum 1. Dresdner Frauenfest.

 Das zweite Fest in Dresden mit dem Thema „Die berufstätige Frau zwischen Job und Selbstverwirklichung“ folgte vom 24. bis 26. Oktober 1986.7 Jedes Mal gab es eine republikweite Beteiligung und es kamen 200 bis 300 Gäste. Vom 30. April bis 3. Mai 1987 fand erstmals in Jena ein Frauen- und Lesbenfest statt. Es kamen über 100 Frauen, zum Teil mit Kindern.8 Den größten Teil des Programms machten Gruppengespräche zu unterschiedlichen Themen wie Coming-Out, Kinder in lesbischen Partnerschaften, Zugehörigkeit von Lesben zur Homosexuellen- oder Frauenbewegung aus. Daneben gab es auch einen Flohmarkt, ein Konzert und Disko sowie gemeinsame Mahlzeiten.9 Das 3. Dresdner Frauenfest zu „Macht in Beziehungen“ (2. bis 4. Oktober 1987) regte die Gründung von Frauenhäusern für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen an.10  

Programm des 3. Dresdner Frauenfestes.
Bericht über das 3. Dresdner Frauentreffen.

Hinaus in die Welt: Grenzüberschreitende Verflechtungen

Im GrauZone Archiv finden sich auch vereinzelt Briefwechsel, welche den, oft sehr persönlichen, Austausch zwischen den für Lesbenthemen aktiven Einzelpersonen dokumentieren und dabei auch Zeugnis ablegen von Meinungsverschiedenheiten. Ebenso wie Vernetzung sind Konflikte stetige Wegbegleiter feministischer Bewegungen. Konfliktpunkte in der staatsunabhängigen Frauenbewegung der DDR waren beispielsweise das Verhältnis zwischen ‚Heteras‛ und Lesben, das Verhältnis zwischen kirchlichen und weltlichen Gruppen und das Verhältnis zu Männern.11 Die Briefe dokumentieren darüber hinaus eine weitere wichtige Vernetzung: die mit Gruppen und Einzelpersonen in anderen Ländern. Karin Dauenheimer, die Gründerin des AK Homosexualität in Dresden, pflegte beispielsweise Briefwechsel mit Personen aus der BRD, den USA, den Niederlanden, der Schweiz und Schweden.12 Insgesamt bestanden besonders viele Kontakte mit Einzelpersonen und Gruppen aus der BRD. Was den Kontakt in ‚westliche‛ Länder und den Zugang zu Literatur anging, waren die Gruppen in der DDR in einer vergleichsweise privilegierten Situation im Vergleich zum restlichen ‚Ostblock‛.

Auch in diesen Ländern entstanden in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre Gruppen, die zu Homosexualität arbeiteten. Vernetzungsarbeit zwischen ihnen leistete vor allem der Eastern European Information Pool (EEIP). Im Auftrag der International Lesbian and Gay Association hatten drei Mitglieder der Homosexuellen Initiative Wien ab 1982 begonnen, Informationen zur Lebenssituation Homosexueller in den verschiedenen Ländern zu sammeln, welche sie in einem jährlichen mehrsprachigen Rundbrief und 1984 gebündelt in dem Buch Rosa Liebe unterm roten Stern. Zur Lage der Lesben und Schwulen in Osteuropa veröffentlichten. Von 1987 bis 1996 fanden auch EEIP-Konferenzen statt, bei denen Aktivist_innen aus ‚Ost‛ und ‚West‛ zusammentrafen und an denen auch Personen aus der DDR teilnahmen.13 Wie viel Vernetzung über den International Lesbian Information Service, einer internationalen lesbischen Organisation mit Kontakten in über 60 Länder die  ebenso in den 1980er Jahren einen regelmäßigen Newsletter herausgab, stattfand, ist noch offen.14  

Lesbenwerkstätten und die illegale Zeitschrift frau anders

Raum für das Knüpfen von Kontakten, aber vor allem inhaltlichen Austausch, boten auch die Lesbenwerkstätten. Die 1. Lesbenwerkstatt fand im Oktober 1988 in Dresden mit zwanzig Frauen statt.15 Auch an der Zwischenwerkstatt Pfingsten 1989 in Hanstorf bei Rostock nahmen 20 Frauen aller Lesbengruppen teil. Die Lesbenwerkstatt diente dem konzentrierten Austausch zum Ist-Zustand, aber auch der Entspannung und der Entwicklung von Ideen für die weitere gemeinsame Arbeit wie die Sammlung von Literatur, Filmen und Zeitschriftenartikeln zum Thema Homosexualität, die Erstellung einer Kartei der Vortragsthemen von Aktivist_innen und die Gründung eines Lesbenarchivs.16 Daneben gab es auch Lesbenrüstzeiten.
Rüstzeiten waren mehrtägige Freizeitangebote der evangelischen Kirche mit Programm, oft zu einem spezifischen Thema.

Eine besondere Rolle für die Vernetzung und die Arbeit zu lesbischen Themen spielte die illegale Zeitschrift frau anders, welche ab 1988 von einigen Mitgliedern der Jenaer Lesbengruppe vorbereitet und schließlich ab Januar 1989 in einer Auflage von 100 Stück kopiert und vertrieben wurde. Toner und Kopierpapier wurden durch Unterstützung aus der BRD zur Verfügung gestellt. 17 In frau anders kamen Einzelpersonen und Gruppen zu Wort. Nur ein Teil der Zeitschrift wurde von der Redaktion gefüllt, Einsendungen waren Teil des Konzepts des Infoblattes. 18 . Die Vorstellung von Gruppen mit deren Kontaktadressen sowie die Bekanntgabe von Terminen ermöglichten weitergehende Vernetzung. 19

 Auch in den Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs blieb Vernetzung das wichtigste Anliegen der frau anders. So schrieb die Mit-Herausgeberin Kerstin Rösel im Januar 1990 an die Kontaktfrauen in Jena: „Inhaltlich ging es uns darum, die bestehenden Lesbengruppen zu vernetzen, neuen Frauen den Kontakt zur Lesbenbewegung zu erleichtern, thematisch über uns bewegende Dinge zu diskutieren, lesbische Literatur zu verbreiten, über Veranstaltungstermine zu informieren und somit ein Stück Hinterland für lesbisches Selbstverständnis und Selbstbewusstsein zu schaffen.“20

Lesbisches Engagement im Umbruch

1989/90 standen die Zeichen der Zeit auf Umbruch. Noch im November 1989 wurde, auch mit Beteiligung der Lesbengruppen, der Unabhängige Frauenverband in der Berliner Volksbühne gegründet.21 Dadurch konnten Eva Schäfer, Pat Wunderlich, Christian Schenk und andere an den Sitzungen des Zentralen Runden Tisches teilnehmen und auch lesbische Themen in den, letztlich verworfenen, neuen Verfassungsentwurf der DDR einbringen. Während es auf der einen Seite zur Legalisierung verschiedener Gruppen wie beispielsweise des Sonntags-Club Berlin22 , der RosaLinde23 in Leipzig oder dem Gerede24 in Dresden und zur Neugründung weiterer Projekte kam, brachen andere Gruppen auseinander. Die Begegnungen zwischen den Lesben aus der DDR und der BRD fanden zum Teil unter schwierigen Vorzeichen statt, hatten sie doch ganz unterschiedliche Themen, Organisations- und Aktionsformen entwickelt. Dennoch kam es auch zu gemeinsamen Aktionen wie Demonstrationen und Hausbesetzungen.25

Stand: 13. September 2018
Verfasst von
Maria Bühner

ist Historiker_in, Kulturwissenschaftler_in und Aktivist_in. Derzeit schreibt sie ihre Dissertation zur Subjektivierung weiblicher* Homosexualität in der DDR an der Universität Leipzig. Sie ist seit 2010 in queeren und feministischen Zusammenhängen aktiv. Daneben gibt sie Workshops und Vorträge zu queeren Zines, Feminismus und Lesben in der DDR.

Empfohlene Zitierweise
Maria Bühner (2018): In Bewegung: Netzwerke der Lesbengruppen in der DDR in den 1980er-Jahren, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/bewegung-netzwerke-der-lesbengruppen-der-ddr-den-1980er-jahren
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Fußnoten

  • 1Robert-Havemann-Gesellschaft (RHG)/GrauZone(GZ)/A1/614, Werde, die du bist! Texte und Bilder, 1988.
  • 2Klässner, Bärbel: Als frau anders war, in: Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt / Gunda Werner Institut (Hg.): Das Übersehenwerden hat Geschichte. Lesben in der DDR und in der Friedlichen Revolution. Tagungsdokumentation, Halle (Saale)/Berlin 2015, S. 58–69, hier S. 62.
  • 3Erste Anhaltspunkte liefert Wallbraun, Barbara: Lesben im Visier der Staatssicherheit, in: Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt / Gunda Werner Institut (Hg.): Das Übersehenwerden hat Geschichte, S. 26–50.
  • 4Sänger, Eva: Begrenzte Teilhabe. Ostdeutsche Frauenbewegung und Zentraler Runder Tisch in der DDR, Frankfurt a.M./New York 2005, S. 110–112.
  • 5RHG/GZ/A1/082, Einladung 1. Dresdner Frauenfest.
  • 6Gruppenvorstellung Jena, in: frau anders,1989, H. 1, zitiert nach: Sänger: Begrenzte Teilhabe, S. 105.
  • 7RHG/GZ/A1/285, 2. Dresdner Frauenfest.
  • 8Klässner: Als frau anders war, S. 63.
  • 9Einladung zum III. Frauenfest, abgedruckt in: Kenawi, Samirah: Frauengruppen in der DDR der 80er Jahre. Eine Dokumentation, Berlin 1995, S. 196 f.
  • 10RHG/GZ/A1/302, Programm zum 3. Dresdner Frauenfest ‚Macht in Beziehungen’.
  • 11Sänger: Begrenzte Teilhabe, S. 112–113.
  • 12RHG/GZ, Bestand Karin Dauenheimer.
  • 13RHG/GZ/A1/2589, Protokoll (Verlaufsprotokoll) des 3. EEIP, 21.–23. April 1989.
  • 14Der Newsletter ist u.a. einsehbar im FFBIZ Berlin und dem Spinnboden Lesbenarchiv Berlin.
  • 15RHG/GZ/A1/1356, Einladung zur 1. Lesbenwerkstatt.
  • 16RHG/GZ/A1/1173, Die Zwischenwerkstatt in Hanstorf – Pfingsten 1989 – ein Bericht.
  • 17Karstädt, Christina / Zitzewitz, Anette von: ... viel zuviel verschwiegen. Eine historische Dokumentation von Lebensgeschichten lesbischer Frauen in der DDR, Berlin 1996, S. 191.
  • 18RHG/GZ/A1/2589, Inhalt [Konzept frau anders]
  • 19Weiterführend zur frau anders: Sänger, Eva: „Lieber öffentlich lesbisch als heimlich im DFD“. Die Samisdat-Publikation frau anders in der DDR 1988/89, in: Lettow, Susanne et al. (Hg.): Öffentlichkeiten und Geschlechterverhältnisse. Erfahrungen Politiken Subjekte. Königstein (Taunus) 2005, S. 159–183.
  • 20Vgl. RHG/GZ/A1/786, Informationsbrief der frau anders an die Kontaktfrauen Jena, 25.1.90.
  • 21Vgl. Hampele Ulrich, Anne: Der Unabhängige Frauenverband. Ein frauenpolitisches Experiment im deutschen Vereinigungsprozess, Berlin 2000.
  • 22Vgl. RHG/GZ/A1/381, Sonntags-Club, [Flyer], 1990.
  • 23Vgl. RHG/GZ/A1/381, AG RosaLinde, Veranstaltungsprogramm April bis Dezember 1989.
  • 24Vgl. RHG/GZ/A1/381, Gerede, Programm vom November '89 bis Juni '90.
  • 25Vgl. Rauchut, Franziska: Lesben in Bewegung. Der Werdegang der DDR- und BRD Lesbenbewegungen nach 1989, in: Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt / Gunda Werner Institut (Hg.): Das Übersehenwerden hat Geschichte, S. 70–83, hier S. 74–77.

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