Wissenschaft, Feminismus und Politik: der Nachlass von Irene Stoehr
65 Kisten aus dem Nachlass der Soziologin, Publizistin und feministischen Historikerin Irene Stoehr gehen 2023 in den Bestand des feministischen Archivs FFBIZ über und werden seit Januar 2024 im Rahmen eines Projekts des Digitalen Deutschen Frauenarchivs (DDF) erschlossen. Der Nachlass enthält umfangreiche Materialien aus Stoehrs Forschungsarbeit, Korrespondenz sowie Unterlagen zu ihr selbst und ihrer Familie. Um die gefährdeten Teile des Bestands langfristig zu sichern, digitalisiert das FFBIZ im Projektzeitraum ausgewählte Tagebücher und erstellt einen Bestandsessay.
Irene Stoehrs akademische Laufbahn führt sie nach ihrem Soziologie- und Politikstudium in Berlin und München an verschiedene Forschungsinstitute. 1972 tritt sie eine Professur an der Fachhochschule Hildesheim an. Jedoch kündigt sie einige Jahre später, um an der Freien Universität Berlin eine befristete Stelle zur Erforschung von „Frauenarbeit und Frauenbewegung“ anzunehmen. In den folgenden Jahrzehnten veröffentlicht sie umfassend zur deutschen Frauenbewegung und promoviert 1999 mit einer Arbeit über „Weibliche Kultur und Partizipation. Wandlungsprozesse und Konflikte der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung im 20. Jahrhundert“. Stoehrs Forschung behandelt eine breite Palette feministischer Themen: die Geschichte und Akteurinnen der deutschen Frauenbewegung, Arbeitsmarktfragen für Frauen und kritische Analysen zum Kapitalismus.
Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit organisiert Irene Stoehr in den 1970er-Jahren die ersten Sommeruniversitäten für Frauen in Berlin mit und arbeitet später als Redakteurin bei der Zeitschrift Courage. Ab 1990 ist sie Mitherausgeberin der feministischen Zeitschrift Unterschiede. Aus dieser Zeit sind leider nur vereinzelte Materialien im Nachlass enthalten. Politisch ist Stoehr unter anderem bis 2006 in der 1987 gegründeten Berliner FrauenfrAKTION aktiv. Dabei handelt es sich um ein außerparlamentarisches Netzwerk, das autonome Aktivistinnen mit Frauen aus Parteien, Verbänden und Gewerkschaften verbinden möchte, um feministische Themen gezielt in die Berliner Politik einzubringen.
Die Aufarbeitung des Nachlasses stellt das Erschließungsteam vom FFBIZ vor besondere Herausforderungen: Forschungsunterlagen liegen teilweise lediglich als Kopien vor, während die Originale in anderen Archiven wie dem Hessischen Hauptstaatsarchiv oder dem Berliner Landesarchiv archiviert sind. Das aufwendige Prüfen der Unterlagen bindet erhebliche Ressourcen, da teils unklar ist, ob Dokumente Original oder Kopie sind.
Biografische Einblicke und persönliche Fotos von Irene Stoehr sind im Nachlass hingegen vergleichsweise wenig enthalten. Um den Nachlass an dieser Stelle zu ergänzen, hat das FFBIZ Ende November Freundinnen und Weggefährtinnen Stoehrs zu einem Erzählcafé eingeladen. Während dieser Veranstaltung konnten dem FFBIZ zusätzliche Fotos, Briefe und Erinnerungen an Stoehr übergeben werden. Außerdem wurde die Veranstaltung dokumentiert.
Das FFBIZ wurde 1978 in Berlin gegründet und zählt zu den größten Archiven zur Frauen- und Geschlechtergeschichte im deutschsprachigen Raum. Sammlungsschwerpunkte sind Feminismus und internationale Frauenbewegung.
Das DDF-Projekt ist am 1. Januar 2024 gestartet und hat eine Laufzeit von 12 Monaten. Es wird der Nachlass von Irene Stoehr erschlossen. Ausgewählte Tagebücher davon werden digitalisiert und Rechte geklärt. Um mehr biografische Einblicke und persönliche Fotos von Stoehr zu erhalten, hat das FFBIZ Weggefährtinnen zu einem Erzählcafé eingeladen.
Ausgewählte Beiträge vom FFBIZ im DDF: