Systemrelevant – aber selten anerkannt
Ob Hökerinnen auf den Märkten, schwer beladene Wasserträgerinnen, Pflegerinnen in den Pest- und Siechenhäusern, Hebammen, mild- und wundertätige Heilige wie Elisabeth und Corona, Arbeiterinnen auf Feldern und in Bergwerken, Almosenverteilerinnen oder Heimarbeiterinnen – ohne die Arbeit von Frauen existiert keine Gesellschaft.
Tradition Niedriglohn
Doch trotz Fleiß kein Preis. Frauenerwerbsarbeit wurde jeher so niedrig bezahlt, dass Frauen trotz mindestens zwölfstündiger Lohnarbeit ständig von Armut bedroht waren. Nach Schätzungen für das 18. Jahrhundert in Hamburg erhielten Frauen für gleichwertige Arbeit 40 bis 50 Prozent weniger Lohn als Männer. Hinzu kommt die unentbehrliche Arbeit für Familie, Haus und als heimliche Chefinnen im Familienbetrieb. Diese lebensnotwendige Arbeit für Gesellschaft und Familie wird bis heute weder angemessen geschätzt noch entlohnt.1
Die Gründe sind bekannt: Über Jahrhunderte wirken patriarchale Strukturen in Recht, Religion, Bildung und Tradition. Sie basieren auf der Konstruktion von Geschlechtern und Rollen. 1768 bringt es der Jurist Philipp Peter Guden auf den Punkt:
„Ein Kerl haut lieber eine halbe Stunde Holz, als dass er eine Viertel-Stunde mit dem Besen das Haus ausfegt.“2 Frauen und ihre Arbeitsleistung gelten in patriachalen Gesellschaften nicht als gleichwertig und gleichberechtigt.
Ringen der Frauenbewegung
Diese Strukturen analysierten im 19. Jahrhundert Frauen der bürgerlichen und radikalen Frauenbewegung. Suchten die einen noch nach der ,weiblichen Natur‘, waren für Vertreterinnen des radikalen Flügels wie Hedwig Dohm (1831-1919) Frauen und Männer nicht unterschiedlich, sondern menschlich. „Glauben aber sollen wir nimmer an Dinge, die zu einem Mittel der Unterdrückung werden können. Der Glaube an die […] weiblichen Eigenschaften bietet solches Mittel.“3 Trotz aller Meinungsverscheidenheiten erkämpften sie schließlich im 19. Jahrhundert ihre Rechte auf politische und ökonomische Teilhabe.4
So nahm die Frauenerwerbsarbeit im Kaiserreich rasant zu. Allerdings auf niedrigem Niveau: Nach einer Berufszählung von 1895 waren mit 6,5 Millionen nur etwa 25 Prozent aller Erwerbstätigen Frauen. Als klassisch weiblich galten die Berufsfelder bürgerlicher Frauen: für die Armen, in der Fürsorge, als Lehrerinnen, Krankenschwestern. Prominentes Beispiel: Florence Nightingale (1820-1910), Begründerin professioneller Krankenpflege und Statistikerin. Der eigentliche ,Lebensberuf‘ einer Frau blieb somit vornehmlich im Care-Bereich: als „Gattin, Mutter und Hausfrau“.5
Etliche Frauen nutzten traditionelle Zuschreibungen für ihren Weg zur ökonomischen und politischen Teilhabe. Eine Pionierinnenarbeit lieferte Alice Salomon 1906 mit ihrer Dissertation über Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit. Ein Thema, das ihr durch ihr Engagement in der Arbeiterinnenschutz-Kommission vertraut war. Für Salomon hatte die ungleiche Entlohnung Gesetzmäßigkeiten, die zu beseitigen waren. Statt als Naturgesetze betrachtete sie diese als Folge der „regelmäßig noch vorherrschenden Teilung der Familienfunktionen zwischen Männern und Frauen in Erwerbsarbeit einerseits und Hausverwaltung und Erziehung andererseits“.6
Ihr Ziel war es, der Frauenarbeit ihren dilettantischen, provisorischen und zufälligen Charakter zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Soziale Arbeit als moderner Beruf für Frauen bereits erste Konturen und zunehmende Anerkennung gewonnen. Der Ruf nach bezahlter Fürsorgetätigkeit für Frauen wurde lauter. Doch blieben auch Salomon und ihre bürgerlichen Mitstreiterinnen auf die bürgerliche Gesellschaft fokussiert.
Kontinuitäten von Klasse und Geschlecht
Frauen aus den sogenannten Unterschichten waren immer erwerbstätig – sie schufteten ganz selbstverständlich für ihren Lebensunterhalt. Mädchen wurden zu Tätigkeiten angelernt, z.B. in Manufakturen oder als Dienstbotinnen. Auch in den sogenannten Mittelschichten früherer Jahrhunderte haben die Mütter und Töchter im Betrieb mitgearbeitet und sich nicht auf den Haushalt beschränkt – etwa in Handwerksbetrieben, Musikerfamilien, Kaufmannsfirmen. Eine Tatsache, die auch viele Vertreterinnen der Frauenbewegungen nicht im Blick hatten.
In den 1970er Jahren wurde der Begriff der weiblichen Reproduktionssarbeit für systemstabilisierende Arbeiten von Feministinnen eingebracht, im Gegensatz zur produzierenden (Männer-) Arbeit. Es bildeten sich Gruppen z.B. um Maria Mies, Annette Kuhn und Rita Bake, die das Phänomen kritisch erforschten.7 Trotz aller historischen Wandlungen und Reformen erkannten sie Kontinuitäten:
Die Leistung von Frauen wurde von ZeitgenossInnen (und später etablierten WissenschaftlerInnen) in ihrer Bedeutung für das Überleben einer jeweiligen Gesellschaft nicht anerkannt und in der Regel zur Mitarbeit oder Zuverdienst herabgewürdigt. Frauen sollten nicht unabhängig sein können. Alleinerziehende und Witwen rangen schon immer um ihre Existenz. Aus Zünften und von höherer Bildung wurden Frauen ausgeschlossen. Erst seit einigen Jahrzehnten ist es gesetzlich erlaubt, dass sie nahezu jeden Beruf ergreifen dürfen. Ob und wie die Relevanz für ein System gewürdigt wird, ist damit jeher eine Frage sozialer Schichtungen, Klassen und Geschlecht.
Dringend nötige Aufwertung
Aktuell stehen systemrelevante Berufe wieder im Fokus. Die Corona-Krise verdeutlicht, wie lebensnotwendig Tätigkeiten wie Lebensmittelverkaufen, Kinderbetreuung, Erziehen, Pflegen, Heilen sind. Gemeinsam ist vielen dieser Berufe: Sie sind anstrengend, gesundheitsgefährdend, monoton, oft schlecht bezahlt, wenig anerkannt – und sie gelten weithin als weiblich, da sie seit Jahrhunderten Frauen zugerechnet wurden.
Derzeit scheinen überwunden geglaubte Rollenmuster wiederbelebt zu werden, auch die des Alleinernährers, wie der Deutsche Frauenrat warnt.8 Aber viele Frauen haben den Kampf gegen einen patriachalen Rückfall im Zeichen der Corona-Krise aufgenommen. Zu den weltweit bekannten zählen Marilyn Addo, Jacinda Ardern und Tsai Ing-wen. Doch gerade auch lokale und überregionale Initiativen streiten jetzt für die dringende Aufwertung der Daseinsfürsorge und damit die monetäre wie gesellschaftliche Anerkennung ihrer unbestreitbaren Systemrelevanz.
Fußnoten
- 1 Vgl. Rita Bake / Mitglieder des AK Frauenarbeit in der Geschichte / Landeszentrale für politische Bildung Hamburg (Hg): Trotz Fleiß keinen Preis. Historischer Stadtrundgangt zu Hamburgs armen Frauen im 18. Jahrhundert. Hamburg 1997, S .6 f.; vgl. https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/erwerbstaetigkeit-von-frauen-im-kaiserreich-und-der-weimarer-republik
- 2 Philipp Peter Guden: Policey der Industrie oder Abhandlung von den Mitteln, den Fleiß der Einwohner zu ermuntern. Braunschweig 1768, S.185 f.
- 3 Hedwig Dohm: Natur und Recht. Berlin 1894, S. 109.
- 4 Vgl. https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/erwerbstaetigkeit-von-frauen-im-kaiserreich-und-der-weimarer-republik
- 5 https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/partizipationsmoeglichkeiten-fuer-frauen-der-politik-des-19-und-fruehen-20-jahrhunderts
- 6 Alice Salomon: Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit, Leipzig 1906, S. 83. https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/alice-salomon
- 7 Vg. https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/miss-marples-schwestern-mms; Rita Bake: Vorindustrielle Frauenerwerbsarbeit. Arbeits- und Lebensbedingungen von Manufakturarbeiterinnen im Deutschland des 18. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung Hamburgs. Köln 1984.
- 8 https://www.frauenrat.de/erste-corona-lockerungen-rolle-rueckwaerts-ins-alleinernaehrer-modell-abwenden/