„Stillen, ein Menschenrecht“– Digitalisierungsprojekt Stillgruppen
Zwei große Kisten voller Briefe, Flugblätter, Vereinsdokumente, Zeitschriften und eine Handvoll Ordner schenkt eine der Mitbegründerinnen der Arbeitsgemeinschaft Freier Stillgruppen (AFS) dem Hamburger Frauen*bildungszentrum DENKtRÄUME. Mit knapp 10.000 Blatt ist das der größte Bestand, den DENKtRÄUME bis dato bearbeitet. Die einzigartigen Materialien der AFS reichen von deren Gründung 1980 bis zu den 2000er-Jahren. Neben Einblicken in die Arbeit und Organisation der Stillgruppen, geben Briefe Einsicht in die Lebensrealität junger Mütter, Ärzt*innen und Gruppenmitgliedern. DENKtRÄUME erfasst die Dokumente in seinem Archiv, digitalisiert und stellt sie im META-Katalog online.
Die AFS gründet sich 1980 als lockere Arbeitsgemeinschaft von zunächst 45 Stillgruppen. In Abgrenzung zum USA-geprägten internationalen Netzwerk, der La Leche Liga (LLL), bauen sie eigene Strukturen auf, die freier von Hierarchien sein sollen. Ziel der AFS ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Damals wie heute haben viele der Mitglieder selbst Stillerfahrung und helfen damit anderen Müttern, Hebammen und medizinischem Personal. Ganz nach dem Motto ‚Stillen als Menschenrecht‘ setzt sich die autonom organisierte Arbeitsgemeinschaft dafür ein, Missstände in der Frauengesundheit aufzudecken und selbstbestimmtes Stillen zu normalisieren. Was als Graswurzelbewegung beginnt, ist heute zu einem Bundesverband herangewachsen.
Während das DENKtRÄUME-Team die Archivdokumente aktuell sichtet und kategorisiert, ergeben sich bereits seltene Einblicke in die Arbeit der Stillgruppen. Neben der individuellen Beratung gehen die Vereinsmitglieder in Krankenhäuser und geben dort Kurse für das Krankenhauspersonal. Wie Reaktionen von entrüsteten Kinderärzten(!) zeigen, nimmt das medizinische Personal die Hilfestellung der Frauen anfangs nicht immer positiv auf.
Ende der 1980er-/Anfang der 1990er-Jahre beteiligte sich die AFS außerdem an dem Nestlé-Boykott. Der Vorwurf: Der weltweit größte Hersteller von Säuglingsnahrung solle für den Tod von Millionen Säuglingen verantwortlich sein. Gemeinsam mit dem International Baby Foods Action Network (IBFAN) sammeln sie Unterschriften für eine Petition gegen das aggressive Werben für künstliche Babynahrung. Die Aufmerksamkeit für das Thema wächst, sodass die Werbung in Deutschland 1994 durch das Säuglingsnahrungswerbegesetz strenger reguliert wird.
Ob Selbstbestimmung beim Stillen, babyfreundliche Krankenhäuser oder dem Kampf gegen Industrieriesen – viele Erfolge der Stillgruppen sind Meilensteine für die Frauengesundheit. Die Aufarbeitung durch DENKtRÄUME hilft dabei zu verstehen, inwieweit sich die Stillgruppen als Teil der Frauengesundheitsbewegung sehen. Sicher ist: Der Bestand der AFS ist ein einzigartiges Beispiel für eine dezentral überregionale Frauenorganisation in Deutschland. Die Archivmaterialien der AFS zeigen, wie Frauen losgelöst von wirtschaftlichen Interessen und auferlegten Moralvorstellungen andere Frauen mit den geringsten Mitteln unterstützen.
Seit 1983 archiviert und dokumentiert DENKtRÄUME Informationen zu Frauen- und Geschlechterfragen. Im Fokus stehen dabei die drei Säulen: Bibliothek, Archiv und Veranstaltungen. Ziel ist es, aktuelle Themen aus einer feministischen Perspektive zu betrachten und an die Öffentlichkeit zu bringen.
Das DDF-Projekt ist am 1. Januar 2024 gestartet und hat eine Laufzeit von 12 Monaten. Dabei erschließt das Team Materialien der AFS, digitalisiert diese und klärt Rechte. Zusätzlich werden Interviews mit Zeitzeug*innen geführt und Essays zu den Themen ‚Feminismus und Mutterschaft‘, ‚AFS‘ und ‚Frauengesundheitsbewegung‘ für das DDF-Portal geschrieben – für mehr Frauen*gesundheit im DDF.
Ausgewählte Beiträge von DENKtRÄUME im DDF: