„Keine neue Welt, ohne neue Sprache“
Ingeborg Bachmann (1926–1973) wird zunächst als Lyrikerin in der Nachkriegszeit bekannt und wendet sich später der Prosa zu. In ihren Erzählungen befasst sie sich mit politischer und zwischenmenschlicher Gewalt, thematisiert das Fortwirken des Faschismus. Im Zentrum von Werken wie „Malina“ (1971) stehen sehr häufig Frauen, ihre Suche nach Identität und das darin steckende gesellschaftsverändernde Potenzial.
Veränderung findet sich für Bachmann auch in und durch Sprache. „Keine neue Welt ohne neue Sprache“, sagt sie einst und entwirft dementsprechend neue Wege des Erzählens – losgelöst von stilistischen Konventionen. Mit ihren feministischen Texten wird sie zur einer Vorreiterin, erhält Preise, doziert – und wird zum Literaturstar ihrer Zeit.
Lebensausschnitte im Film
Nach Rosa Luxemburg und Hannah Arendt widmet sich die Regisseurin Margarethe von Trotta damit in INGEBORG BACHMANN – REISE IN DIE WÜSTE erneut einer zentralen Akteurin des 20. Jahrhunderts: Unverändert gilt die österreichische Lyrikerin, die 1973 im Alter von 47 Jahren an den Folgen eines Brandunfalles verstirbt, als eine der bedeutendsten Dichterinnen des 20. Jahrhunderts.
Gewalt und Patriarchat waren zentrale Themen in den Büchern Bachmanns, prägten auch die Nachkriegszeit – bis in die privaten Beziehungen hinein. Dies macht die Verfilmung deutlich, die den Fokus damit auf vier zentrale Lebensjahre Bachmanns legt. 1958 begegnet Bachmann dem Schweizer Literaten Max Frisch und geht in den folgenden vier Jahren eine aufreibende Beziehung mit diesem ein.
Mit Vicky Krieps (CORSAGE, BERGMAN ISLAND) und Ronald Zehrfeld (BARBARA) in den Hauptrollen, zeichnet von Trotta so nach eigenem Drehbuch, jedoch angelehnt an die wirklichen Lebensumstände, die heute als toxisch zu verstehende Beziehung von Bachmann und Frisch nach. Es braucht für Bachmann noch einige Jahre nach der Beziehung, sich aus dieser zu lösen, und räumliche Distanz, die sie durch eine Reise in die marokkanische Wüste schafft. So greift der Film über die Beziehungserzählung verschiedene Elemente von Gewalt, ihren Ausformungen und Auswirkungen auf.
Weltpremiere feierte der Film bei den diesjährigen 73. Internationalen Filmfestspielen Berlin im Wettbewerb. Er wurde in sechs verschiedenen Ländern gedreht und international von tellfilm, AMOUR FOU Vienna, Heimatfilm und AMOUR FOU Luxembourg produziert. Ab dem 19. Oktober läuft er bundesweit in den Kinos an und bringt Ingeborg Bachmann einem breiten Publikum nahe.
Frauenbiografien sichtbar machen
Für Margarethe von Trotta auch ein persönliches Anliegen, wie sie im Interview mit der Kommunikationsagentur Jetzt & Morgen beschreibt: „Ingeborg Bachmann hat schon sehr früh zu meinen Lieblingsautorinnen gezählt. Ich habe als junge Frau selber Gedichte geschrieben, die ich allerdings nie jemandem gezeigt habe. Und ich habe damit auch sehr bald aufgehört. Später habe ich Ingeborg Bachmann mehrmals in Zusammenhang mit meinen Filmen zitiert, lange, bevor ich wusste, dass sie mir eines Tages auf diese Weise begegnen würde. Als Motto für meinen Film DIE BLEIERNE ZEIT habe ich ihren Satz: ,Trauern, das wird, zwischen vielerlei Tun, ein einsames Geschäft‘ gewählt.
1972, damit ein Jahr vor ihrem Tod, trifft von Trotta Bachmann noch persönlich und erlebt sie als eher zurückhaltend. „Sie war damals wohl schon sehr geschwächt“, meint von Trotta. Mit dem Film möchte sie sich der Person Bachmann annähern: „Im Gegensatz zu den anderen historischen Personen, war sie mir aber nicht so fremd, zu Beginn … Vom Alter her hätte sie meine ältere Schwester sein können.“
In der Vorarbeit bedurfte es dennoch einiger Recherche: „Ich glaube, es ist normal, dass man sich als Drehbuchautorin zunächst so viel Lektüre und Material einverleibt, wie nur möglich“, sagt von Trotta. „Außerdem Menschen befragt, die die jeweiligen Personen noch gekannt haben. Deswegen brauche ich immer einen langen Vorlauf, um mich der Person oder den Personen, die ich beschreiben will, anzunähern. Es bleibt ja doch immer nur eine Annäherung, ich würde nie behaupten wollen, eine Person in all ihren Verästelungen und Widersprüchen ergründen und darstellen zu können.“
Die Tiefe und Vielschichtigkeit Bachmanns sollte sich auch in ihrer Darstellung widerspiegeln: „Für Ingeborg Bachmann musste es eine Schauspielerin sein, die aus dem größten Ernst heraus zu einem strahlenden, umwerfenden Lächeln fähig ist. Ich hatte das in mehreren Dokumentaraufnahmen mit Ingeborg Bachmann gesehen. Sie äußerte sich zum Beispiel sehr negativ über Männer; der Journalist, der sie interviewt, ist offensichtlich schockiert, und dann lächelt sie ihr wunderbar strahlendes Lächeln und sagt: ,Wussten Sie das nicht?‘ Genau dieses überraschende und umwerfende Lächeln habe ich nur bei Vicky Krieps gesehen.“
Weiterführende Links zur Biografie und Literatur von Ingeborg Bachmann:
Weiterführende Informationen zum Film und geplanten Events:
19.10.2023 | 20.00 Uhr | Berlin | Delphi Filmpalast | Kinoauftakt mit Gespräch mit Margarethe von Trotta (Regisseurin), Ronald Zehrfeld (Darsteller Max Frisch), Frauke Meyer-Gosau (Literaturwissenschaftlerin, Autorin und Lektorin), Ines Kappert (Direktorin Gunda-Werner-Institut), Caroline Rosales (Autorin) | Grußwort: Dr. Beate von Miquel (Vorsitzende Deutscher Frauenrat)