Die unerzählte Geschichte der Frauen vom 17. Juni 1953
Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 in der DDR jährt sich 2023 zum 70. Mal. Auch zahlreiche Frauen beteiligen sich vor 70 Jahren auf den Straßen und in den Betrieben: „Frauen forderten ein besseres Leben und mussten mit der Niederschlagung durch die sowjetischen Panzer leben“, heißt es in der Eröffnung der Dokumentation, „der 17. Juni 1953 ist ein Aufstand auch der Frauen.“ Sie steigen auf Tische und halten Reden auf den Demonstrationen. Sie fordern freie Wahlen, Demokratie und bessere Arbeitsbedingungen. Ebenso sind sie unter den Inhaftierten und Opfern zu finden.
Selten sind die in der Dokumentation gezeigten Originalmaterialien: Auch an den eindrücklichen Bildern des Kameramanns Albert Ammer vom 17. Juni 1953 in Halle, für die er danach zu drei Jahren Haft verurteilt wird, ist eine Frau beteiligt: Jutta-Regina Lau.
Vorgeschichte des Aufstandes
1952 verkündet Walter Ulbricht, damals Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, den Beschluss zum „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“, der in der Folge zu einer schweren Ernährungskrise, dem Absinken des Lebensstandards und Rückgang der industriellen Produktion führt – nicht zuletzt auch zur Flucht vieler Menschen nach Westdeutschland. Im Mai 1953 erhöht die SED-Regierung die Arbeitsnormen um 10,3 Prozent bei gleichbleibenden Löhnen.
Dies trifft gerade Frauen hart, die nicht selten sich und ihre Familien allein versorgen müssen, während sich viele Männer noch in Kriegsgefangenschaft befinden. Am 17. Juni 1953 protestieren schließlich rund eine Million Menschen in Ost-Berlin und der DDR weitgehend friedlich gegen die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse, gegen soziale Missstände und Repression. Die SED-Führung ist von den Demonstrationen überfordert. Deshalb reagiert die Sowjetunion mit Härte und verhängt den Ausnahmezustand. Mit massivem Einsatz von Militär, Volkspolizei und Staatssicherheit wird der Aufstand des 17. Juni niedergeschlagen.
Ausschlüsse im Erinnern
Heute wird der 17. Juni als ,Aufstand der Arbeiter‘ – und daher männlich – erzählt. Zum diesjährigen Jubiläum widmet sich die mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Filmemacherin Sabine Michel in der Dokumentation „Aufstand der Frauen“ der Geschichte und Geschichtsschreibung des 17. Juni. Eine besondere dokumentarische Arbeit, denn nur selten wird sich dem Thema aus feministischer Perspektive genähert. Michel begibt sich auf die Suche nach Frauenschicksalen rund um den 17. Juni 1953 und trifft auf Zeitzeuginnen und deren Familien, die zum Aufstand des 17. Juni 1953 beigetragen und durch ihn geprägt sind. Viele haben Hoffnungen und träumen von gesellschaftlicher Veränderung, andere agierten als Aufseherinnen, Polizistinnen oder SED-Funktionärinnen.
Auch DDF-Historikerin und Expertin für die Frauenbewegungsgeschichte in der DDR und Ostdeutschland Dr. Jessica Bock ordnet die Geschehnisse in der Dokumentation historisch ein. Obwohl der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 als gut erforscht gilt, kommen die unterschiedlichen Perspektiven und Beteiligungen der Frauen weder in der Wissenschaft noch Schulbildung kaum vor. „Dieses Nichterzählen und Erinnern vererbt sich ja weiter“, so Bock, „wenn das nicht durchbrochen wird durch eine feministische Geschichtsschreibung und genau nachfragt: Wo waren denn die Frauen am 17. Juni, welche Rolle haben sie gespielt?“
Die Dokumentation wird um den 17. Juni 2023 mehrfach via ARD und rbb ausgestrahlt und ist zudem bis zum 12. Juni 2024 in der ARD-Mediathek online abrufbar.
„Aufstand der Frauen – Frauenschicksale rund um den 17. Juni“, Dokumentation 2023, VÖ: 12. Juni 2023. Buch & Regie: Sabine Michel, Kamera: Anne Misselwitz, Schnitt: Katrin Ewald, Produzentin: Susann Schimk. Eine Gemeinschaftsproduktion der solo:film mit dem rbb und WRD, unterstützt aus Mitteln der Bundesstiftung Aufarbeitung.
#klicktipp: Auch die Bundeszentrale für politische Bildung wirf in dem aktuellen Dossier „Die Frauen des Volksaufstandes“ einen frauenhistorischen Blick auf die Vorgeschichte, Geschehnisse und Folgen des 17. Juni 1953.