Bewegungsarchive kommentieren Gesetzesentwurf

verfasst von
  • Dr. Katrin Lehnert
veröffentlicht 13. August 2020

Gemeinsam mit vielen i.d.a.-Einrichtungen und weiteren freien Archiven aus ganz Deutschland hat das Digitale Deutsche Frauenarchiv (DDF) Ende Juli eine Stellungnahme beim Bundesjustizministerium eingereicht. Das Ministerium hatte dazu aufgerufen, seinen aktuellen Gesetzesentwurf zum Urheberrecht zu kommentieren. Diesem Ruf folgten nicht nur Konzerne wie Google, Facebook und Co., sondern auch Berufsverbände, Interessensvertretungen und Verwertungsgesellschaften sowie große deutsche Kulturinstitutionen wie das Bundesarchiv oder die Deutsche Nationalbibliothek. Unter den Verfasser*innen von Stellungnahmen finden sich aber auch kleinere Einrichtungen und Einzelpersonen. Zu finden sind sämtliche Eingaben auf der Webseite des Bundesjustizministeriums.

Paragrafen in Regenbogenfarben
Digitales Deutsches Frauenarchiv
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Rechteangabe

In ihrer gemeinsamen Stellungnahme begrüßen die Bewegungsarchive die im Gesetzesentwurf geplante Erleichterung für die öffentliche Zugänglichmachung von Archivmaterialien. Gleichzeitig fordern sie, die geplante Vergütungspflicht für die Onlinestellung bestimmter Materialien fallen zu lassen.

Worum geht es im Einzelnen?

Aktuell wird eine EU-Richtlinie zum Urheberrecht (DSM-RL (EU) 2019/790) in deutsches Recht umgewandelt. Zu diesem Zweck hat der deutsche Gesetzgeber einen Gesetzesentwurf zur Diskussion gestellt. Das deutsche Gesetz soll Mitte 2021 in Kraft treten.

Die Umsetzung der EU-Richtlinie bietet die Möglichkeit, Kulturerbeinstitutionen die Zugänglichmachung ihrer Bestände zu erleichtern. Begrüßenswert ist laut den Bewegungsarchiven insbesondere, dass die aktuelle Regelung zu ,Vergriffenen Werken‘, die de facto ausschließlich für Verlagspublikationen gilt, zukünftig ausgeweitet werden soll auf ,nicht verfügbare Werke‘. Hierunter fallen auch und gerade die Materialien sozialer Bewegungen wie Flugblätter, Plakate oder Broschüren.

Allerdings sieht der deutsche Gesetzesentwurf im Gegensatz zur EU-Richtlinie vor, dass für die Zugänglichmachung nicht verfügbarer Werke auch dann Vergütungen an eine Verwertungsgesellschaft (VG) zu zahlen sind, wenn keine repräsentative VG für die in Frage stehenden Materialien existiert, d.h. wenn die Mehrheit der fraglichen Urheber*innen von keiner VG vertreten werden. Folglich müsste etwa ein Archiv für die Onlinestellung von Flyern eine pauschale Vergütung an eine VG zahlen, obwohl die Gelder in den seltensten Fällen den Urheber*innen der Flyer zu Gute kämen: Die Urheber*innen politischer Materialien wie Flyer, Plakate etc. sind meist bewusst anonym, sträuben sich gegen eine kommerzielle Verwertung ihrer Materialien und werden so gut wie nie von einer Verwertungsgesellschaft vertreten.

Auch das DDF und die Bewegungsarchive sind für eine Entlohnung von Urheber*innen. Wir fordern jedoch eine klare, rechtssichere Regelung, die die Bedürfnisse der Archive berücksichtigt statt europarechtswidrige Gebühren zu verlangen, die niemandem aus den sozialen Bewegungen zu Gute kommen, sondern einzig die finanzielle Situation der Archive weiter verschlechtern. Für uns ist klar: Die Finanzierung von Verwertungsgesellschaften ist kein Selbstzweck! 

Diese Haltung spiegelt sich auch wider in der Einzel-Stellungnahme des Archivs Soziale Bewegungen Freiburg, das den Gesetzesentwurf aus der Sicht seines Archivalltags kommentiert. Und auch der Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. sowie das Bundesarchiv argumentieren ähnlich: Ihre Stellungnahmen machen deutlich, dass die geschilderte Problematik neben den Materialien sozialer Bewegungen auch den überwiegenden Teil des Archivguts staatlicher und kommunaler Archive betrifft.

Stand: 13. August 2020
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