Autonome Frauenhausbewegung – eine verdrängte Geschichte

veröffentlicht 20. April 2023

2022 wurden wichtige Jubiläen bezüglich Gewaltschutz und des Kampfes gegen Gewalt an Frauen gefeiert: neben 25 Jahren Reform des Sexualstrafrechts zu sexualisierter Gewalt in der Ehe auch 20 Jahre Gewaltschutzgesetz. Öffentliche Kampagnen gegen patriarchale Gewalt u.a. als Folge der Corona-Krise bringen das Thema wieder auf den Tisch. Dadurch entsteht teils das Bild, allein staatliche Einrichtungen würden gegen patriarchale Gewalt arbeiten. Die grundlegende Arbeit der autonomen Antigewaltbewegung – insbesondere der Frauenhausbewegung – entfällt in diesen (Erfolgs-) Erzählungen oft.

Das möchte das feministische Archiv ausZeiten aus Bochum mit seinem DDF-Projekt ändern und legt in diesem den Fokus auf die Leistungen der autonomen Frauenhausbewegung. Im Mittelpunkt: die Geschichte der Bestrebungen, in Bochum und anderen Städten Nordrhein-Westfalens autonome Frauenhäuser zu etablieren – eine Geschichte vom Kampf mit wie auch gegen Kommunen.

Mit Frauenhäusern zur Befreiung der Frauen

In Nordrein-Westfalen gründen sich ab den 1970er Jahren, wie in anderen westdeutschen Städten auch, Initiativen zur Einrichtung autonomer Frauenhäuser. Den Gründerinnen ging es darum, auf die strukturelle Komponente patriarchaler Gewalt aufmerksam zu machen und – ausgehend von der feministischen Einschätzung, dass jede Frau von Gewalt betroffen ist – Schutzräume für Frauen in und aus Gewaltbeziehungen zu schaffen. Doch bevor überhaupt mit Kommunen und Land über die Finanzierung solcher Räume verhandelt werden konnte, musste erst einmal über die strukturelle Dimension von Gewalt gegen Frauen informiert werden.

„Das größte Hindernis war zu Beginn wohl die Überzeugung der Politik, dass es sich bei Frauen in Gewaltbeziehungen um Einzelfälle handele“, so Katharina Hugo vom feministischen Archiv ausZeiten. Es waren autonome Frauen, die das weitreichende Problem von Gewalt gegen Frauen in Beziehungen oder im familiären Bereich zuerst publik machten und für öffentliche Aufmerksamkeit warben. Dabei war den Frauenhausbewegungen immer wichtig, als politische Projekte agieren zu können: In der Schaffung von Frauenhäusern sahen sie ein Mittel zur Befreiung der Frau.

ausZeiten Ausstellung
Lena Laps
Quelle
ausZeiten
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Im Rahmen des DDF-Projekts wurde die Ausstellung „WUT. MACHT. MUT. Wie die Frauen- und Lesbenbewegung gegen Männergewalt kämpfte und was sie erreicht hat“ erarbeitet, zu sehen von Oktober 2022 bis März 2023 im Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte/Stadtarchiv.

Welten prallen aufeinander

Das stand der karitativen Überzeugung der damaligen Bundesregierung und der Kommunen entgegen, welche das Auffangen von Frauen, die Opfer von Gewalt geworden waren, auf individueller Ebene und eher als sozialarbeiterische Maßnahme verwirklichen wollte. Auch die FDP, die sich für die autonome Frauenhausbewegung als bündnis- und anschlussfähig zeigte, arbeitete eher auf einen Ausgleich sozialer Missstände hin, wie es dem liberalen Gesellschaftsbild entsprach. Feministische Forderungen, u.a. nach Konzepten der Hilfe zur Selbsthilfe oder dem Ausschluss von Männern aus den Frauenhäusern, ließen sich damit nur schwierig vereinbaren.

Obwohl es durchaus ein Interesse der kommunalen Politik gab, sich dem Problem anzunähern, trafen hier Welten aufeinander. „Die Frauenbewegung wollte die Frauen befreien – die Politik wollte Missstände ausgleichen“, erklärt Hugo. Zahlreiche Materialien der Öffentlichkeitsarbeit, aber auch Protokolle und Arbeitspapiere berichten von der Geschichte eines politischen Kampfes, der ständig den Zweck gegen die Mittel abwägen und den Anspruch mit der Wirklichkeit abgleichen musste.

Scheitern an Paragrafen

Als besonders repräsentativ für die schwierige Zusammenarbeit kann der Streit um die Finanzierung der Frauenhäuser gelten: Das Land Nordrhein-Westfalen wollte eine Finanzierung der Häuser vornehmlich über den Paragrafen 72 des Bundessozialhilfegesetzes ermöglichen. Dieser regelt bis heute die finanzielle Situation von Menschen in außergewöhnlichen Lebenslagen, die eine Reintegration in die Gesellschaft nicht aus eigenen Mitteln verwirklichen können, und sieht individuelle und befristete Finanzierung bis zur möglichen ,Zurückführung‘ in die Gesellschaft vor.

„Das konnte die Bewegung nicht gutheißen“, so Hugo. „Hier wurden Frauen stigmatisiert – und nicht die Täter. Die Opfer wurden als deviant erklärt und ihnen quasi die Schuld in die Schuhe geschoben, dass sie aus der Gesellschaft ausbrechen.“ War es in Dortmund möglich, die Politik in Gesprächen und öffentlichen Verhandlungen zu Kompromissen zu bewegen und so 1978 ein autonomes Frauenhaus zu eröffnen, war die Stadtverwaltung in Bochum nicht zu Zugeständnissen bereit. 1981 löste sich die autonome Initiative auf. Bochum erhielt nie ein autonomes Frauenhaus, dafür gründete die Caritas eines unter wohlfahrtsstaatlichen Vorzeichen.

Das feministische Archiv ausZeiten wurde 1995 als ein Projekt der autonomen Frauen-/Lesbenbewegung gegründet. Ziel war es, die Geschichte von Frauen zu bewahren, aber auch immer wieder ganz aktuell den Blick auf Frauen zu richten, auf ihre Aktivitäten in allen gesellschaftlichen Bereichen, auf ihren Widerstand gegen Gewalt und fremdbestimmte Eingriffe in ihr Leben.

Das DDF-Projekt von ausZeiten ist am 1. Januar 2022 gestartet und hatte eine Laufzeit von zwölf Monaten. Es wurden Materialien aus dem eigenen Bestand digitalisiert, erfasst, Rechte geklärt und Essays zur autonomen Frauenhausbewegung in Nordrhein-Westfalen und der Initiative in Bochum verfasst. Außerdem war von Oktober 2022 bis März 2023 die im Rahmen des Projekts erarbeitete Ausstellung WUT. MACHT. MUT. Wie die Frauen- und Lesbenbewegung gegen Männergewalt kämpfte und was sie erreicht hat im Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte/Stadtarchiv zu sehen.

Ausgewählte Beiträge von ausZeiten im DDF:

 

Stand: 20. April 2023

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