Aus der Bewegung für mehr Bewegung

veröffentlicht 11. Mai 2023

„Ein Ziel der Neuen Frauenbewegung war die Suche nach der eigenen Geschichte und Identität“, halten Maren Bock (belladonna, Bremen) und Margit Hauser (Stichwort, Wien) in einem DDF-Essay zur Geschichte des i.d.a.-Dachverbandes fest. „Ab den 1970er-Jahren bildete sich daher in Deutschland und in der Schweiz und ab den 1980ern auch in Österreich ein immer dichter werdendes Netz von Frauenarchiven, -dokumentations- und -informationsstellen, Frauenbibliotheken und -bildungseinrichtungen – als selbstbestimmte Orte zur Bewahrung von Lesben- und Frauen(bewegungs)geschichte.“

Diese feministischen Erinnerungseinrichtungen standen in engem Austausch miteinander, kamen seit 1983 zu „Frauenarchivetreffen“ zusammen und gründeten schließlich 1994 mit i.d.a. den Dachverband der deutschsprachigen Lesben-/Frauenarchive, -bibliotheken und -dokumentationsstellen. i.d.a. steht hier für ‚informieren‘, ‚dokumentieren‘, ‚archivieren‘ und beschreibt damit Aufgaben und Anliegen des Zusammenschlusses.

Tag der Frauenarchive

Feministische Archive riefen bereits 1988 auch erstmals den Tag der Frauenarchive ins Leben. Was zunächst mit einzelnen Archiven und in Form eines Tages der offenen Tür begann, wurde schließlich zum Gedenktag von i.d.a., an dem sich in jedem Jahr viele Einrichtungen mit unterschiedlichen Angeboten beteiligen. „Das Problem war, dass Frauenarchive kaum von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden“, erinnert sich Maren Bock. „Wir wollten mehr Sichtbarkeit für feministische Geschichte schaffen und auch Frauen außerhalb autonomer Zusammenhänge erreichen.“ Bis heute gibt der Tag Anlass, die Rolle feministischer Erinnerungseinrichtungen zu würdigen: Sie sind Teil feministischer Bewegungen – und ihr Gedächtnis.

Der Tag fällt mit dem 11. Mai bewusst auf den Geburtstag der jüdischen Lyrikerin Rose Ausländer (1901–1988), die im Laufe ihres Lebens knapp 3.000 Gedichte schrieb und im Januar 1988 verstorben war. In einem ihrer Gedichte heißt es: „Ich schreibe mich ins Nichts / es wird mich ewig aufbewahren“. Ganz im Sinne Rose Ausländers rückt der Tag der Frauenarchive damit das Aufbewahren von Zeitdokumenten, das Erinnern an feministische Bewegungsgeschichte ins Zentrum, wenn er 2023 nun zum 36. Mal begangen wird.

„Brücken in das Jetzt“

Getragen vom i.d.a.-Dachverband schafft auch das DDF mehr Sichtbarkeit für feministische Bewegungsgeschichte. So werden u.a. über DDF-Digitalisierungsprojekte die Bestände der i.d.a.-Einrichtungen online zugänglich gemacht und kontextualisiert. Seit 2020 wird das DDF durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) institutionell gefördert. Zum Tag der Frauenarchive 2023 betont Ekin Deligöz, Parlamentarische Staatssekretärin im BMFSFJ sowie Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des DDF, die Bedeutung der Arbeit feministischer Erinnerungseinrichtungen:

„Über 40 Jahre feministische Erinnerungsarbeit haben sich ausgezahlt! Heute können wir aus dem Wissen von mehr als 200 Jahren deutschsprachiger Frauenbewegungsgeschichte schöpfen. Das ist ein Erfolg und dient als Impuls für Frauen bis heute: Es waren die Akteur*innen selbst, die erst für Frauenrechte eintraten und ab den 1980er Jahren begannen, feministische Geschichte festzuhalten und gegen das Vergessen zu dokumentieren.

Bildung, Teilhabe, Selbstbestimmung und Gewaltschutz, aber auch der Einsatz für Frieden, Vielfalt und Klima – all das waren und sind zentrale Themen feministischer Bewegungen. Ihre Kämpfe und Errungenschaften sind damit ein wichtiger Teil unserer Demokratiegeschichte. Auch für meine Arbeit für eine gerechte Frauen- und Gleichstellungspolitik sind sie Fundament, Quelle und Inspiration.

Statement Ekin Deligöz

Am 11. Mai wird im deutschsprachigen Raum der Tag der Frauenarchive gefeiert. Viele Fundstücke bauen Brücken in das Jetzt: Sie erzählen von internationaler Vernetzung, intersektionalen Debatten und Solidaritäten. Wie nötig dies für eine vielfältige und offene Gesellschaft ist, ist weltweit zu sehen: Wo autoritäre Kräfte erstarken, gehen Freiheits- und Meinungsrechte verloren. Umso wichtiger ist es, Daten und Fakten zu feministischen Bewegungen zu sammeln, teilen und sichtbar zu machen.

Leistungen von Frauen müssen in der Gesellschaft sichtbarer werden! Es braucht daher feministische Geschichte, Erinnerungskultur und die konkrete Arbeit der Archive. Mit dem Digitalen Deutschen Frauenarchiv ist zudem der wichtige Schritt in das Digitale gelungen: So wird das feministische Wissen langfristig gesichert und auch online für kommende Generationen zugänglich gemacht – digital, divers und feministisch.“

Statement von Ekin Deligöz zum Tag der Frauenarchive 2023
 

11. Mai 2023 – analoge und digitale Einblicke

Die feministischen Erinnerungseinrichtungen sind damit mehr als Archive, Bibliotheken oder Dokumentationsstellen: Sie sind bewegungspolitische Räume und wichtiger Teil demokratischer Erinnerungskultur, Wissensvermittlung und Forschung. Dies ist bis heute Aufgabe der i.d.a.-Einrichtungen und macht sie auch in der Zukunft relevant.

Der Tag der Frauenarchive macht diese Aufgabe und Arbeit der Erinnerungseinrichtungen öffentlich und informiert über Inhalte und Materialen feministischer Bewegungen. Viele der aktuell 37 i.d.a.-Einrichtungen feiern dieses Jahr zudem ein Jubiläum. Deshalb stellt i.d.a. auf der Website des Dachverbands nochmals einige Mitgliedseinrichtungen und ihre Gründungsgeschichten vor.

Viele i.d.a.-Einrichtungen öffnen an diesem Tag online wie analog ihre Türen: Sie zeigen vielfältige Objekte, laden zum Kennenlernen der Einrichtungen und ihrer historischen wie aktuellen Akteur*innen ein und bieten ein breites Angebot vom Erstkontakt bis zum Fachaustausch.

So öffnet zum Beispiel belladonna in Bremen ab 16 Uhr das Archiv und lädt ein zu Führung, Kultur und Austausch. Die Erzählerin Birgit Stickan setzt in ihren Geschichten Frauenperspektiven zentral, gerahmt von Handpan-Klängen der Musikerin Petra Kleinecke.

Auch das Louise-Otto-Peters-Archiv in Leipzig veranstaltet von 10 bis 18 Uhr einen Tag der offenen Tür: 11 Uhr werden ausgewählte Texte von Louise Otto-Peters gelesen, 13:30 Uhr findet eine Archivführung statt, ab 16 Uhr ist Dr. Gerda Lerna zum Gespräch zu Gast.

Das Madonna-Archiv in Bochum startet anlässlich zum Tag der Frauenarchive den Lesekreis Sexarbeit. Ab 18 Uhr stellt sich das Archiv vor, zudem können Selbstzeugnisse von Sexarbeitenden, wie Zeitschriften der Hurenbewegung, Autobiografien oder auch andere Literatur aus dem Archiv gelesen und diskutiert werden.

Insta Live Tag der Frauenarchive 2023
Viele i.d.a.-Einrichtungen öffnen am 11. Mai ihre Türen: Auch das DDF stellt sechs feministische Archive & Bibliotheken im Insta-Live-Talk ab 12 Uhr vor.

Und auch das Digitale Deutsche Frauenarchiv lädt zum Kennenlernen der feministischen Erinnerungseinrichtungen ein: Um 12 Uhr startet der Live-Talk auf Instagram und führt dabei direkt in sechs feministische Archive und Bibliotheken. Der Talk wird live über den DDF-Instagram-Kanal gestreamt und ist dort im Anschluss auch nachträglich abrufbar.

Diese Auswahl von Angeboten zum Tag der Frauenarchive am 11. Mai 2023 ist nicht abschließend. Bitte informieren Sie sich über aktuelle Angebote in ihrer i.d.a.-Einrichtung vor Ort.

Stand: 11. Mai 2023

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