Keine Zeit für Ost-West-Verhältnisse

Sookee, Rapmusikerin und antifaschistische QueerFem-Aktivistin, ergründet Konfliktlinien feministischer Debatten. Ein offener Brief eines Ost-Kids an die Muttis-und-Emanzen-Generation.

2020 – da sind wir Feminist*innen nun. Wir kämpfen viel. Es sind Kämpfe gegen die gesamte Nomenklatur der Machtverhältnisse, Diskriminierungen und Unterdrückungen. Normierende, limitierende, hierarchisierende Ismen, faschistoide Ismen, tödliche Ismen. Das ganze Spektrum der menschengemachten Ungleichheit. ,Feminismus‘ und ,Kampf‘ sind ein Paar im Memory dieser Welt. Feminist*innen sind Kämpfer*innen.

Kein Eiserner Vorhang mehr

Und weil wir das Kämpfen so verinnerlicht haben, kämpfen wir nicht immer nur miteinander, sondern auch gegeneinander. Es sind Territorialkämpfe. Aber nicht entlang geopolitischer Konfliktlinien. Es trennt uns kein Eiserner Vorhang mehr. Da sind weder Vorurteile über die selbstbezogene Dekadenz eines Westfeminismus noch paternalistisches Augenrollen über die männergemachte Einfachheit der Staatsdoktrin, die die Arbeiterin über sich ergehen ließ. So wie ich es erlebe, haben feministisch ambitionierte Menschen bis 40 dieses Thema so gut wie gar nicht mehr auf dem Tableau. Vor allem nicht diejenigen mit BRD-Sozialisation. Ein paar Ost-Kids wie ich, aus 80er und 90er Jahrgängen, die nachträglich mit ihren Müttern über das Dreieck Staat –  Gesellschaft – Weiblichkeiten sprechen, haben einen inneren Ordner dafür, aber beschauen sich die Situation eher über die Rolle von Frauen und Queers in ihrer Subkulturalität oder ihres Dissident*innentums.

Ein Blick auf gegenwärtige feministische Medien zeigt: Die Schuhe drücken an so vielen globalisierten und digitalen Stellen, dass wir nicht mehr dazu kommen, uns Ost-West-Verhältnissen zu widmen. Die Generation(en) der 18- bis 38-jährigen Feminist*innen, beschäftigt sich im Kontext DDR wahrscheinlicher mit der Lesbenbewegung oder den Biografien von Bürger*innen of Color als mit der Differenz und Vereinbarkeit von Mutti und Emanze.

Heute sind die zu erkämpfenden Territorien diskursiver Art. Es geht um die Richtigkeit des Feminismus. Denn sie wird dringend gesucht: Die eine richtige Form. Eine, die möglichst widerspruchsfrei ist. Eine, die uns nicht noch mehr Differenzierung abverlangt, in einer hochgradig komplexen Welt, deren Komplexität wir anerkannt wissen wollen. Wenn schon die Welt so falsch ist, dann soll wenigstens unsere Sicht auf sie richtig sein.

Kein Konflikt der Generationen

Dieser interne Kampf ist offenbar notwendig, denn sonst würde er nicht stattfinden. Aber er bringt auch viel Missverständnis in der Zuspitzung hervor, denn er wird vielfach als Konflikt zwischen Generationen und nicht zwischen Positionen stilisiert.
„Die jungen Feminist*innen“ werfen den „alten Femist*innen“ (ich nutze diese Gruppenidentifikation um die konfrontationsbelustigte Perspektive zu illustrieren) vor, starrsinnig an einem altbackenen EMMA-Feminismus festzuhalten. Das heißt, Transfrauen nicht als Frauen anzuerkennen und Geschlechtlichkeit außerhalb binärer Logik zu ignorieren, Sexarbeit zu pathologisieren und stigmatisieren, die Selbstbestimmtheit von Muslimas – vor allem Hijabis – weißnormativ in Abrede zu stellen, sich gegenüber den tiefgreifenden diskursiven Veränderungen wie etwa Fragen von Repräsentation und Teilhabe, die intersektionale Perspektiven mitbringen, zu verwehren.

Andersrum wird befürchtet, dass die Errungenschaft der politischen Handlungsfähigkeit mittels der Kategorie Frau im identitätspolitischen Kleinklein zugunsten geschlechtlicher Splitterparteien zerstört wird. Dass eine Lesbe zur Terf erklärt wird, wenn sie keine Penisse an einer Frau liebt. Dass über Jahrzehnte erstrittene Radikalität verwässert wird, weil weibliche Selbstbestimmung auch die Idealisierung von normschönen Körpern in der Body Positivity Platz finden muss. Dass nicht anerkannt und wertgeschätzt wird, was Frauen und Lesben über Jahrzehnte politisch geleistet haben, um die erste patriarchale Betonschicht in dieser Gesellschaft, die einst noch rigider und autoritärer war als sie heute ist, aufzubrechen. Immer in der Gefahr aus ihren Familien ausgeschlossen, aus ihren Gemeinden exkommuniziert, von ihren Arbeitgebern gekündigt zu werden.

„Wir brauchen Kooperationen“

Man mag mir ein konfrontationsscheues, harmoniedurstiges Wesen nachsagen, aber ich kann nicht anders als in mir zu fühlen: Wir brauchen Kooperation, und Verständigung miteinander, Verständnis füreinander. Vor allem Verständnis für die Sozialisationsprozesse auf beiden, auf allen Seiten.  Uns ist sehr wohl gewahr, wie tief Sozialisation greift. Wie grundlegend sich Bilder, Annahmen, Stereotype, Definitionen, Vorstellungen und dergleichen in uns einlagern. Wir erleben es jedes Mal, wenn wir mit unseren Argumenten für eine Welt ohne patriarchale Gewalt nicht die gewünschte Wirkung erzielen. Auch wir sind durchzogen von diesen Sedimenten, wir sollten das anerkennen.

Auch wir haben Dinge internalisiert, gegen die wir uns eigentlich richten. Leistungsdenken, Verwertungslogik und Konkurrenzempfinden etwa. Aber auch Sexismen, Rassismen und Lookismen. Wenn wir uns das gegenseitig zum Vorwurf machen, statt uns dabei zu unterstützen, diese Internalisierungen abzubauen, verhindern wir die Veränderung, die wir eigentlich in der Welt sehen wollen in der eigenen Umgebung.

Es ist völlig klar, dass intendierte noch weniger als unwissentliche Diskriminierungen und aus ihnen hervorgehende reale Verletzungen heruntergeschluckt oder toleriert werden sollen. Und es ist auch unwidersprochen, dass im feministischen, herrschaftskritischen Denken, Fühlen und Handeln eine Parteilichkeit für die Betroffenen von Gewalt jedweder Art Konsens ist. Aber das Herauswachsen aus Ansozialisiertem, wenn es denn angestrebt wird, ist ein langer, mitunter regelrecht therapeutischer Prozess. Es braucht viel Geduld. Geduld für sich selbst aufzubringen ist schon schwer, Geduld für die Entwicklungen anderer ist nochmal eine ganz andere Liga. Aber wir kommen nicht umhin.

Ich habe in Gesprächen mit Feminist*innen vorangegangener Generationen oder eben anderer Theorieschulen und Lebenspraxen gemerkt: Mein Verständnis von Feminismus, meine tägliche Umsetzung dessen wird nicht weniger bedeutsam oder wirkungsvoll, wenn andere es anders handhaben. Egal, ob es um Sprachgebräuche, meine Sicht auf den Parlamentarismus, die Integration von Cismännern in meine politische Kämpfe, kulturelle Artikulationen oder mein Verhältnis zur neoliberalen Vereinnahmung feministischer Werte geht.

Differenzierung als feministische Praxis

Natürlich wünsche ich mir, dass alle es so sehen und handhaben wie ich. Ich hätte ein wesentliches Problem weniger. Aber aggressives Dagegenhalten im Innern hat mich meistens nur da geschwächt, wo ich die Kräfte für die Auseinandersetzungen im Außen gebraucht hätte. Scham und Strafe sind keine guten Lernanreize. Genauso wie Dogmatismus und Vorverurteilung das Interesse an einem Dialog fördern. Ich habe das wieder und wieder schmerzlich erfahren.

Die Alten sind keine engstirnigen transfeindlichen Rassist*innen. Sicherlich wird es die unter ihnen geben. Genauso wie es unter den Jungen tatsächlich besserwisserische Überkorrekte gibt, die immer meinen, ein Haar in der Suppe suchen zu müssen, statt sich konstruktiv einzubringen. Aber weder hatten die Alten die diversitätssensitive Lernumgebung, die uns heute zur Verfügung steht und die wir nicht zuletzt mit Likes und Shares mitgestalten können, noch sind wir Jungen die respektlosen Großschnauzen ohne Theoriewissen und Geschichtsbewusstsein.

Wir sind diejenigen, die auf den Äckern, die ihr urbar gemacht, bestellt und schon vielfach geerntet habt, neue Bewässerungssysteme installieren, mit anderem Gerät zur Tat schreiten, neue Saat legen, in veränderten Formen und Besetzungen der Kollektivität arbeiten und mitunter auch das Land neu vermessen. Und ja, wir sehen die Veränderung als Fortschritt. Aber auch wir werden eines Tages die Alten sein und auch uns wird man Vorwürfe machen, ausschließend, nicht differenziert und kritisch genug gedacht und agiert zu haben. Auch wir machen jetzt schon Fehler, während wir euch noch kritisieren. Auch wir werden erfahren, was es bedeutet für das angegangen zu werden, was wir –  jetzt – für richtig halten.

Wenn wir es schaffen, diese Erfahrung ein Stück weit zu antizipieren, können wir euch besser verstehen und auf euch zugehen. Und wenn ihr euch daran erinnert, wie ihr gegen Augenrollen und Unverständnis bis zur Erschöpfung anargumentieren musstet, könnt ihr uns besser begreifen und gewähren lassen.

Dann wäre es zumindest kein Generationenkonflikt mehr, sondern einer zwischen unterschiedlichen politischen Positionen und damit ein differenzierter. Und die differenzierte Betrachtung habe ich immer als feministisches Merkmal verstanden.

Stand: 07. Mai 2020
Verfasst von
Sookee

Geboren 1983 im mecklenburgischen Pasewalk ist Sookee seit nunmehr über 15 Jahren in der Rap-Szene aktiv. Auf zahlreichen Podien, Konzerten, in Workshops und Vorträgen schafft sie Räume für queer-feministische, antifaschistische Debatten. Als Musikerin und Aktivistin wurde sie für ihr gesellschaftliches Engagement mit dem Louise-Otto-Peters-Preis sowie dem Clara-Zetkin-Ehrenpreis ausgezeichnet. Sie ist zudem Trägerin des Ambassador des sozialen Projekts Musik – Bewegt, Patin für zwei Schulen der Kampagne Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage und engagiert sich als bekennende Antifaschistin für weitere zahlreiche Initiativen. Im September 2019 veröffentlichte Sookee als sukini auch ihr allererstes Kindermusikalbum.

Empfohlene Zitierweise
Sookee (2020): Keine Zeit für Ost-West-Verhältnisse, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/angebote/dossiers/30-jahre-geteilter-feminismus/keine-zeit-fuer-ost-west-verhaeltnisse
Zuletzt besucht am: 23.04.2024
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