Einmalige ostdeutsche Geschichte

Der Unabhängige Frauenverband galt als erste feministische Interessenvertretung in der DDR. Das Archiv GrauZone der Robert-Havemann-Gesellschaft digitalisiert im Rahmen der DDF-Projektförderung Schlüsseldokumente der UFV-Geschichte.

Das Archiv GrauZone ist eines der wenigen Archive zur Frauenbewegung in der DDR. Die Sammlung wurde 1988 von einer Gruppe engagierter Frauen begonnen, um die inoffiziellen Schriften der DDR-Frauenbewegung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nach der friedlichen Revolution übergaben immer mehr Frauen, die in Frauengruppen aktiv waren, ihre Materialien dem Archiv, das heute zu einem großen Teil aus einer Sammlung zum Unabhängigen Frauenverband (UFV) besteht. In der Geschichte der deutschen Frauenbewegung nimmt der UFV eine besondere Rolle ein: Am 3. Dezember 1989 trafen sich Frauen in der Berliner Volksbühne, doch erst mit der offiziellen Vereinsgründung am 17. Februar 1990 konnte dieser als erste feministische Vereinigung überhaupt an den Wahlen zur DDR-Volkskammer am 18. März 1990 teilnehmen. Bis weit in die 1990er Jahre hinein wirkte der UFV als Interessenvertretung ostdeutscher Frauen – viele damalige Forderungen sind noch heute aktuell. 

Rebecca Hernandez Garcia, Leiterin des Archivs der DDR-Opposition/Sammlung GrauZone, und Filiz Çakir, Mitarbeiterin im Archiv, überarbeiten und digitalisieren in den kommenden Monaten den Schriftgutbestand der UFV-Sammlung im Rahmen einer DDF-Projektförderung. Im Gespräch mit dem DDF erläutern sie die Relevanz des Bestandes und seiner Erhaltung und laden ein, diesen heute wieder zu entdecken.

Die Sammlung GrauZone umfasst insgesamt circa 25 laufende Meter Schriftgut zur Frauenbewegung in der DDR und Ostdeutschland, 18 davon allein zum UFV. Was ist im Bestand des UFV zu finden? 

Rebecca Hernandez Garcia: Die GrauZone wurde ja von Samirah Kenawi als Archiv zur ostdeutschen Frauenbewegung aufgebaut und ist 2003 von der Robert-Havemann-Gesellschaft übernommen worden. Die Sammlung zum UFV dokumentiert dabei die gesamte Arbeit des Verbandes – von der Gründung 1989 bis zu seiner Auflösung im Juni 1998. Die umfangreichen Unterlagen geben Auskunft über UFV-Aktionen, Kongresse und Tagungen der Koordinierungsgremien des Verbandes und zeigen dessen Arbeit am Zentralen Runden Tisch der DDR 1990 sowie zum Wahlbündnis des UFV mit der Grünen Partei zur Volkskammerwahl am 18. März 1990. Es gibt Mitschriften von Treffen, Briefwechsel, Redemanuskripte. Auch interne Diskussionen über die Strukturen und Inhalte werden darüber deutlich. Zu der Sammlung gehört allerdings nicht nur Schriftgut, sondern auch Audiodateien, Videos, Objekte und Fotos. Das ist schon eine wundervolle Sache.

In diesem Jahr setzt ihr das vom DDF geförderte Projekt um, den Schriftgutbestand des UFV archivfachlich zu überarbeiten und zu digitalisieren. Warum ist dafür jetzt der richtige Zeitpunkt? 

RHG: Damals – in den 1990er Jahren – ging es erstmal darum, alles zu sammeln und zugänglich zu machen. Da wurde sich kaum um die rechtliche Grundlage gekümmert. Das Material wurde erschlossen, wie man dachte, dass es gut war. Und das war es auch. Mittlerweile haben sich aber die Standards geändert und es bestehen andere Kriterien an Materialien und Suchfunktionen. Dies macht es dringend notwendig, den Bestand nochmals zu überarbeiten, die Materialien wieder sicht- und findbar zu machen und ganz entscheidend: die Rechte zu klären, da die Dokumente teilweise auch sensible Daten enthalten. Ich glaube, dass man es diesen Frauen auch einfach schuldig ist, die Rechte richtig zu klären.

Filiz Çakir: Gerade zu 30 Jahren deutsche Einheit sind die Materialien des UFV auch für die Öffentlichkeit von großem Interesse. Als unabhängiger, auf Landesebene in der DDR gegründeter Verband ist er einmalig in der ostdeutschen Geschichte. Im Schriftgutbestand lässt sich nicht nur der Transformationsprozess des UFV nachvollziehen, sondern auch derjenige der Frauenbewegung in der DDR. Da der UFV ein Dachverband unterschiedlicher Frauengruppen und -projekte war, ist sowohl die Zeit der DDR, der Umbruch um 1989/90 wie auch die Anschlusszeit abgebildet.

RHG: Ja, der Bestand GrauZone wird sehr oft gezielt angefragt. Man merkt, dass gerade jetzt auch viele wissenschaftlich dazu arbeiten, gerade zum § 218 und zu Gewalt gegen Frauen. Solche Anfragen kommen recht häufig – auch nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus dem Ausland. 

Wird mit dem Projekt der gesamte Schriftgutbestand des UFV erfasst oder trefft ihr eine Auswahl?

RHG: Wir digitalisieren Schlüsseldokumente, das heißt Dokumente, die wir zusammen mit dem DDF und in enger Zusammenarbeit mit der Historikerin Jessica Bock als diese definieren. Das ist alles, was zum Beispiel den Bundeskongress betrifft. Da gibt es tolle Reden und Berichte. Insgesamt sind auch die Materialien zu den Ost-West-Frauen-Kongressen sehr spannend. Dann gibt es bestimmte Demos und Aktionen, zum Beispiel zum § 218. Und natürlich alles, was mit der Gründung zu tun hat. Vor der Digitalisierung besonderer Dokumente und der Einbindung in das DDF stehen natürlich bestandserhaltende Maßnahmen und die inhaltliche Erschließung des Schriftgutbestandes. Den Umfang der zu digitalisierenden Schlüsseldokumente schätzen wir aktuell auf circa 120 Dokumente. 

Erreichen euch noch immer auch neue Materialien aus privaten Sammlungen und Nachlässen?

RHG: Ja, wir haben in diesem Jahr im Archiv eine extreme Steigerung an Zuwachs. Das liegt, glaube ich, einfach daran, dass die Frauen älter werden und natürlich an dem aktuellen Jubiläumsjahr. Das motiviert, sich mit der Thematik nochmal zu beschäftigen und die eigenen Materialien anzuschauen oder auch damit abschließen zu wollen und sie deshalb ins Archiv zu geben. Was die Bundes- und Landesebene betrifft, sind wir gut aufgestellt. Auch Bilder sind bereits digital und liegen bei der Robert-Havemann-Gesellschaft. Der Plakatbestand vom UFV wäre nochmal ein weiteres Projekt, auch eine Videosammlung müsste noch digitalisiert werden. Lücken finden sich eher in den Überlieferungen der einzelnen Frauen, die dann nochmal ganz andere Materialien haben. Die GrauZone hat bereits mehr als 150 Bestandsgeberinnen. Würde man aber die Frauen jetzt konkret ansprechen, würde durchaus noch mehr Material kommen. 

Könnt ihr ein besonderes Fundstück in dieser Vielzahl der Materialien zum UFV benennen? 

FÇ: Das können wir vielleicht nach dem Projekt besser beantworten, aber als exemplarisches Objekt würde ich aktuell einen Aufkleber wählen. Dieser wurde anlässlich der DDR-Volkskammerwahl im März 1990 herausgebracht, als der UFV mit den Grünen kooperierte. Diese Zusammenarbeit ist in der Farbgebung – Lila und Grün – wiederzufinden. Und der Slogan „Vom Rand in die Mitte. Frauen in Bewegung“ formuliert ein wichtiges Anliegen des UFV: Es sollte um alle Frauen gehen, auch diejenigen, die sich am vermeintlichen Rand der Gesellschaft befanden, wie z.B. Rentnerinnen, Migrantinnen oder Lesben. Es wurde eine paritätische Beteiligung der Frauen an allen politischen und ökonomischen Entscheidungen gefordert. Dieser Aufkleber symbolisiert also sehr gut die Idee hinter dem UFV. Und er zeigt auch nochmal seine Aktualität. Die Themen und Forderungen des UFV sind nach wie vor aktuell anschlussfähig.

Stand: 17. Februar 2020
Verfasst von
Steff Urgast

Mitarbeiterin im Digitalen Deutschen Frauenarchiv

Rebecca Hernandez Garcia

ist Archivarin und arbeitet seit acht Jahren bei der Robert-Havemann-Gesellschaft. Seit 2019 leitet sie hier das Archiv der DDR-Opposition/ Archiv GrauZone.

Filiz Çakir

ist Historikerin und seit 2019 Mitarbeiterin der Robert-Havemann-Gesellschaft. 2019 hat sie bereits einen Teil der Bestände von GrauZone überarbeitet und digitalisiert.

Empfohlene Zitierweise
Steff Urgast/Rebecca Hernandez Garcia /Filiz Çakir (2020): Einmalige ostdeutsche Geschichte, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/angebote/dossiers/30-jahre-geteilter-feminismus/einmalige-ostdeutsche-geschichte
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