Die Muttis sind Emanzen!

Am 10. Mai ist Muttertag. In den 1990ern wurden feministische Ost-West-Konflikte als Gegensatz von Muttis und Emanzen beschrieben. Heute eignet sich der Muttertag für gemeinsame feministische Forderungen. Ein Kommentar von Sabine Balke Estremadoyro

Ist vom Muttertag die Rede, sind Feminist*innen in Gedanken schnell beim Mutterkreuz – zu Recht: Kerstin Wolff verweist darauf, dass im Nationalsozialismus 1933 der Internationale Frauentag am 8. März sofort verboten und dagegen der Muttertag genutzt wurde, um die Idee von der deutschen Mutter mit einem Feiertag abzusichern.1 Eine nationalsozialistische Erfindung war der Muttertag zwar nicht, „dass aber der Muttertag als Tag der Frauen, die ihrer biologischen ,Verpflichtung‘ nachgekommen waren, […] eine Aufwertung im Faschismus erfuhr, ist nicht zufällig.“2

Auch wenn sich Anfänge des Muttertags in den 1870ern in den USA frauenbewegt lesen lassen, ist sein Ursprung vor allem konservativ-christlich: Die Methodistin Anna Marie Jarvis macht erfolgreich Lobbyarbeit, so dass der US-Kongress 1914 den zweiten Sonntag im Mai zum jährlichen Muttertag erklärt.3 In Deutschland wird er Anfang der 1920er Jahre vom Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber etabliert.4 So dient der ,Deutsche Muttertag‘  in der Weimarer Republik dazu, traditionelle Geschlechterverortungen wieder zu stärken.5 Beim Blick in diese Geschichte verwundert es also nicht, dass der Muttertag in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Osten verschwindet – und im Westen feministischen Protest hervorruft.

Flugblatt ‚Danke für die Blumen, Rechte wären uns lieber!‘ herausgegeben vom Frauenforum München 1977

Vielen Dank für die Blumen…

Flugblatt ‚Muttertag - Ein Feiertag?‘ herausgegeben von der Frauenaktion 70, DKP-Frauenarbeitskreis und dem Weiberrat Frankfurt/Main, 1972

Einen Anfang der Neuen Frauenbewegung machen Mütter: Der Tomatenwurf 1968 richtet sich dagegen, dass Männer allein für die öffentliche Rede und Frauen für die Kinderbetreuung zuständig sind. Im Zuge der Frauenbewegungen wird Mutterschaft auch immer wieder kontrovers diskutiert: Die teils heftigen innerfeministischen Debatten darum in der westdeutschen Frauenbewegung lassen sich bis in die späten 80er Jahre nachvollziehen.6

Seit den 1970ern nutzen Feminist*innen in Westdeutschland den Muttertag als Aktionstag, um traditionelle Geschlechterverortungen zu kritisieren. „Danke für die Blumen, Rechte wären uns lieber!“, heißt es auf dem Flugblatt von 1977 aus dem FrauenMediaTurm. Und ein anderes Flugblatt von 1972 fragt ironisch, was Frauen am Muttertag zu feiern haben: gewiss nicht die fehlende Kinderbetreuung, die zu kleinen und teuren Wohnungen oder die unbezahlte Hausarbeit!

Auch in der aktuellen Corona-Krise fällt es besonders auf Frauen zurück, wenn das alles fehlt. Deshalb warnt der Deutsche Frauenrat aktuell mit Blick auf Corona-Lockerungen vor der Rolle rückwärts zum Alleinernährer. Die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, Mona Küppers, erklärt: „Politiker*innen scheinen davon auszugehen, dass Familien die Betreuung von Kita- und Schulkindern weiterhin auf eigene Kosten stemmen. Das wird dazu führen, dass vor allem erwerbstätige Mütter mit kleinen Kindern von den Lockerungen kaum profitieren.“ Hier können Feminist*innen 2020 also sehr gut an alte Forderungen anknüpfen.

Von Muttis und Emanzen

Die Überhöhung der Mutter geht einher mit ihrer Abwertung: Wenn mütterliche Fürsorge natürlich und als weibliches Ideal erscheint, lässt sie sich besser ausbeuten. Als Anerkennung genügen dann eben Blumen statt Gleichberechtigung. Die DDF-Historikerin Dr. Birgit Kiupel wirft aktuell einen Blick in diese Geschichte der patriarchalen Abwertung weiblicher Arbeit.

Doch auch von feministischer Seite gab es eine Abwertung von Müttern. In den 1990ern wurden feministische Ost-West-Konflikte als Gegensatz von Muttis und Emanzen beschrieben: „Beide Seiten hatten nach 40 Jahren getrennter Geschichte ihre Vorbehalte. Die Ostfrauen galten als naive Muttis, die Westfrauen als arrogante Emanzen.“7 Ulrike Helwerth und Gislinde Schwarz veröffentlichten ihre Interviews mit Ost- und Westfrauen 1995 unter dem Titel Von Muttis und Emanzen. Feministinnen in Ost- und West-Deutschland. Nina Monecke hat das Buch erneut gelesen, ihren Beitrag gibt es in unserem Dossier.

In Bezug auf die Bezeichnung ,Mutti Merkel‘ wurde vielfach deutlich gemacht: „Der Begriff, von Erwachsenen über eine Erwachsene gesagt, ist verniedlichend, verächtlich, distanzierend.“8 Was aber steckte hinter der westfeministischen Abwertung von (Ost-)Müttern? Ursula Schröter analysierte, dass westdeutsche Frauen ,Muttersein‘ und ihr ,Leben‘ als Frau als Gegensatz erfuhren. Zur guten Mutter gehöre Selbstaufgabe und -verleugnung. Die Kontroverse ,Mutter-Sein versus Frau-Sein‘ sei dagegen nicht die Erfahrung der jungen ostdeutschen Generation: „Weil DDR-Mütter nicht nur Mütter waren, sondern auch Kolleginnen, ausnahmsweise auch Leiterinnen, Freundinnen oder Konkurrentinnen, nicht selten auch Geliebte, konnte sich keine unüberwindliche Trennwand zwischen Frau-Sein und Mutter-Sein stabilisieren.“9

Hier also liegt ein Unterschied zwischen ost- und westdeutscher Muttererfahrung: DDR-Frauen konnten auf staatliche Unterstützungsstrukturen zurückgreifen. Das wollten sie auch im Umbruch nicht verlieren: So forderte der Unabhängige Frauenverband auf seinem Gründungskongress am 17.02.1990 für eine Sozialcharta u.a. die „bedarfsdeckende Bereitstellung von Kinderbetreuungseinrichtungen in gesellschaftlicher Verantwortung“.10

Und heute? Angesichts der Corona-Krise rückt die systemrelevante Care-Arbeit, ob bezahlt in der Pflege oder unbezahlt im Haushalt, in den Blick. Feminist*innen kämpfen auch heute noch und wieder für bessere Bedingungen. Dabei macht es 30 Jahre gemeinsamer Feminismus hoffentlich möglich, die gelebte Praxis von DDR- und ostdeutschen Frauen als positive Referenz zu benennen, z.B. beim Recht auf Erwerbsarbeit oder der flächendeckenden Kinderbetreuung. In diesem Sinne lautet in Erinnerung an den Tomatenwurf und an gelebte ostdeutsche Erfahrungen der ost-west-feministische Slogan zum Muttertag in Corona-Zeiten: Wenn nicht über Kinderbetreuung gesprochen wird, ist es nicht unsere Revolution!

Stand: 06. Mai 2020

Fußnoten