Aufgetischt

2020 lädt das Digitale Deutsche Frauenarchiv herzlich dazu ein, 30 Jahre geteilten Feminismus zu entdecken.

1990 trafen Frauen- und Lesbenbewegungen aus Ost und West aufeinander – in Gesprächen, Resolutionen, Demonstrationen gegen die Wiedervereinigung und für eine neue Verfassung mit gestärkten Frauenrechten. Und sie trafen aufeinander im Streit. Diesen Konflikten spürten Ulrike Helwerth und Gislinde Schwarz mit ihrem Interviewband Von Muttis & Emanzen (1995) nach. Wir finden: Es ist Zeit für einen Rückblick – und ein Update.

Das Digitale Deutsche Frauenarchiv (DDF) hat den Auftrag, die Geschichte der Frauen- und Lesbenbewegungen in der DDR und im Umbruch 1989 zu dokumentieren. 30 Jahre ist eine historische Zäsur. An dieser Schwelle stehen wir nun. Was ist zu sehen? Ost- und Westfrauen waren 1990 grundverschieden, schrieb Jana Hensel 2018 in der Zeit. Doch heute sei Feminismus der erste Kampf, den Ost und West wirklich gemeinsam führen.1 Von dieser These ausgehend begleitet das DDF das Jahr 2020 mit der Frage: Was trennt, was verbindet Feminismen, damals und heute?

Tortenstück und Bäckerei

Die DDF-Kampagne 30 Jahre geteilter Feminismus lädt ein zum Feiern. Feminismus hat die Gesellschaft verändert: wachsende weibliche Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuungsangebote in westdeutschen Bundesländern, erste Paritätsgesetze in ostdeutschen Parlamenten oder die Ergänzung von Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes 1994 werden durch diese Brille sichtbar. Vieles bleibt zu tun: So führen die Demonstrationen 1990 gegen den § 218 des bundesdeutschen Strafgesetzbuches zu den aktuellen Kämpfen für reproduktive Rechte.

1990 war Frauen nicht zum Feiern zumute. Keine Einheit soll gefeiert werden, die mit ,Wir sind ein Volk‘ andere konstruiert und ausschließt: „Ich war nie das Volk“, erklärte Tupoka Ogette im Interview.2 Der Frauenaufbruch 1989/90 muss mit aktuellen Bewegungen verbunden werden, um die Demokratie gegen rechts zu verteidigen.

Die Jubiläumstorte hat es daher in sich: Was schmeckt, was ist ungenießbar? Wer bekommt ein Stück und wer fordert die ganze Bäckerei oder ein neues Rezept? Es geht ums Ganze, lautete der Titel des Ost-West-Frauenkongresses im April 1990. Jenseits von ,Einheitsbrei‘ geht es also darum, ein vielschichtiges Jubiläum zu entdecken, Kontroversen anzuschneiden, nicht Einheit zu feiern, sondern Feminismus: uneins, vielstimmig.

Von der Straße in die Institutionen

30 Jahre deutsche Einheit sind 2020 ein medial bestimmendes Thema: Runde Tische, Volkskammerwahl, Währungsunion waren Meilensteine auf dem Weg zur ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl im Dezember 1990. Das DDF erinnert an 30 Jahre deutsche Einheit aus feministischer Sicht. Das DDF lädt immer wieder in das digitale Dossier mit Interviews, Reportagen, Kommentaren: Stück für Stück werden Leerstellen im Gedenken benannt und mit Namen, Bildern und Geschichten gefüllt.

Der Kampagnen-Auftakt war ein historischer Tag: Am 17. Februar 1990 wurde der Unabhängige Frauenverband (UFV) als Verein gegründet. Ein Datum, das kaum erinnert wird. Schlagzeilen als UFV-Gründungsmoment machten eher die Frauen in der Volksbühne am 3. Dezember 1989. Doch der 17. Februar ist das passende Scharnier – zwischen Dezember 1989 und dem 18. März 1990, als der UFV (zusammen mit der Grünen Partei) zur Wahl der DDR-Volkskammer antrat (wofür die Vereinsgründung notwendig war).

Die Revolution machte sich auf den Weg von der Straße in die Institutionen. Dafür steht der 17. Februar. Von diesem Datum schaute die DDF-Kampagne zum Auftakt nochmals zurück auf die Revolution 1989, um dann die Erinnerung an 1990 in folgenden Etappen zu begleiten: Was bedeutete der massive Umbruch der Erwerbs- und Sorgearbeit für ostdeutsche Frauen 1990? Welches grenzenlose Unbehagen trieb Frauen in Ost und West im Sommer 1990 auf die Straßen? Was machte Ost- und Westfeminismus aus und was ist aus ihnen geworden? Und nicht zuletzt: Wie ist Feminismus heute vor diesem Hintergrund aktuell und relevant?

Diese Fragen stellen wir schließlich zum Höhepunkt und Abschluss der Kampagne im Talkshow-Format, moderiert von Esra Karakaya. Die Gäste Bundesministerin Dr. Franziska Giffey, Mai-Phuong Kollath, Peggy Piesche und Jessica Bock geben persönliche wie politische Einblicke in ihr Leben und schlagen den Bogen von damals zu aktuell brisanten Debatten. Denn auch 2020 muss für Demokratie und Vielfalt gestritten werden.

Wir laden herzlich dazu ein, von dieser Torte zu probieren und mitzufeiern!

Stand: 16. Februar 2020
Verfasst von
Sabine Balke Estremadoyro

DDF-Geschäftsführung und Vorstand i.d.a.-Dachverband e.V.

Neues zur Kampagne gibt es jeweils auch bei Facebook, Twitter oder im DDF-Newsletter.

Empfohlene Zitierweise
Sabine Balke Estremadoyro (2020): Aufgetischt, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/angebote/dossiers/30-jahre-geteilter-feminismus/aufgetischt
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