Schwangerschaftsabbruch in der SBZ/DDR
- Bundesarchiv, Bild 183-L0309-0303
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Nach Kriegsende und der Einrichtung der vier Besatzungszonen sowie des Alliierten Kontrollrates war die rechtliche Lage bezüglich des Schwangerschaftsabbruchs unklar.1 In Folge der bestehenden Unsicherheit versuchten Jurist*innen, Ärzt*innen und örtliche Verwaltungen mittels eigener provisorischer Verordnungen den weiterhin stattfindenden Abbrüchen einen gewissen rechtlichen Rahmen zu geben.
Die kurze Phase der Liberalisierung 1945–1950
Ab Mitte 1946 setzte in allen Besatzungszonen unter Beteiligung verschiedener politischer Lager und der Bevölkerung eine breite und teils sehr kontrovers geführte Debatte über den § 218 ein.2 Gegenstand der von der Presse begleiteten Diskussion war die Forderung nach einer Erweiterung der Straffreiheit bei Abtreibungen und die Einführung der sozialen Indikation. Neben der desolaten Wirtschafts- und Versorgungslage kam in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) die Folgen der massenhaften Vergewaltigungen durch die Rote Armee erschwerend hinzu.3 In Anbetracht des drohenden Legitimationsverlustes und der sinkenden Akzeptanz in der Bevölkerung gerieten die Sowjetische Militäradministration und die SED unter Handlungszwang und plädierten für eine liberalere Handhabung des § 218.
In Folge der § 218-Debatten und des stetig weiter anwachsenden Drucks nach einer gesamtzonalen Gesetzeslösung brachten die Länder der SBZ unter der Federführung der SED eigene Gesetzgebungen auf den Weg, die länderspezifische Merkmale aufwiesen.4 Zwischen 1946 und 1947 wurden die §§ 218 bis 220 aufgehoben. Erstmals hatten Frauen das Recht, in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten eine ungewollte Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung und auch aus sozialen Gründen unter hygienischen Bedingungen abbrechen zu lassen.5 Damit „wurde in der SBZ etwas erreicht, was in Weimar nicht gelungen war: die Streichung der selbst reformierten Fassung des § 218 von 1926“, so die Historikerin Atina Grossmann.6 Trotz dieser fortschrittlichen juristischen Maßnahmen konnten die Frauen nicht selbstbestimmt über ihren Abbruch entscheiden. Die Voraussetzung für die Durchführung eines Aborts war ein positives Votum einer Kommission, die sich aus ÄrztInnen, sozial engagierten Personen – meist Sozialfürsorgerinnen – und Vertreterinnen des Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) zusammensetzte.
Die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs führte nicht zu einem Rückgang der illegalen Aborte. Im Gegenteil, sie nahmen sogar weiter zu. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Aus Furcht vor einer Ablehnung haben Frauen keinen Antrag gestellt. Eine weitere Ursache lag in den „inquisitorischen“7 Befragungen durch die Kommission, denen sich die Frauen nicht aussetzen wollten.
Rückkehr zur Restriktion
Im Jahr 1950 vollzog die SED eine radikale Abkehr zur bisherigen Gesetzgebung und erließ am 27. September 1950 das Gesetz über den Mutter- und Kindschutz und die Rechte der Frau, das den Schwangerschaftsabbruch erneut unter Strafe stellte. Damit galt in der DDR das schärfste Abtreibungsgesetz innerhalb der europäischen sozialistischen Länder.8 Abbrüche waren nur bei einer medizinischen oder eugenischen Indikation erlaubt.9 Andere Gründe sollten in Form eines Antrags weiterhin vor einer Kommission verhandelt werden, die sich aus ÄrztInnen, VertreterInnen der Organe des Gesundheitswesens und des Demokratischen Frauenbundes zusammensetze.10 Laut einer im Bezirk Rostock 1967 durchgeführten Studie stellte aus Sicht der Frauen nicht der Abbruch die größte Belastung dar, sondern das Antragsverfahren mit all seinen Befragungen und Untersuchungen.11
Mit der neuen restriktiven Regelung entsprach das neue Gesetz mit seinen Bestimmungen den seit 1936 in der UdSSR geltenden Rechtsnormen.12 Bei Zuwiderhandlung galten zunächst die Strafbestimmungen der jeweiligen Ländergesetze von 1947/48 und ab 1968 bis 1972 die §§ 153‒156 des DDR-Strafgesetzbuches 1968.13
Die SED verfolgte mit der neuen Gesetzgebung zweierlei Ziele: Angesichts der dringend benötigten weiblichen Arbeitskräfte galt es, Frauen verstärkt in die Arbeitswelt zu integrieren. Zugleich sollte die zunehmende Berufstätigkeit der Frau kein Hinderungsgrund für eine Schwangerschaft darstellen.14 Folglich enthielt das neue Gesetz zahlreiche Bestimmungen, die die Frauen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen sollten. Hierzu zählten unter anderem finanzielle Beihilfen, der Bau weiterer Kinderpolikliniken und die Schaffung von Kinderkrippen und Kindertagesstätten.15 Eine soziale Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch, wie sie zuvor gegolten hat, war nach Ansicht der SED nicht mehr notwendig.
Die erneute juristische Verschärfung des Schwangerschaftsabbruchs führte zu einem Anstieg illegaler Abtreibungen und zu einer gleichbleibenden Anzahl der an illegalen Aborten verstorbenen Frauen. Zugleich beklagten die Kommissionen die uneinheitliche Handhabung der Vorgaben, die den Frauen in ihrer Lebenssituation nicht gerecht zu werden schien. Infolgedessen erließ die SED im März 1965 eine Instruktion über die Anwendung des Gesetzes von 1950, die eine Erweiterung des § 11 um die sozialmedizinische Indikation vorsah. Trotz dieses Zugeständnisses blieb die Situation der Frauen weiterhin prekär.
Die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs 1972
Innerhalb der DDR nahm der Druck nach einer Reform des § 11 stetig zu. Frauen legten Beschwerde gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Schwangerschaftsunterbrechung ein und forderten in Eingaben die Legalisierung des Abbruchs16. Zudem drohte die DDR durch die in den benachbarten Ostblockstaaten liberaleren Gesetzgebungen ins Hintertreffen zu geraten. Und in der Bundesrepublik begann sich um den Kampf gegen den § 218 eine neue Frauenbewegung mit Aktionen und eigenen Öffentlichkeiten zu formieren – eine Entwicklung, die aufgrund der gesellschaftlichen, politischen wie strukturellen Verfasstheit in der DDR nicht stattfand. Die Vorsitzende der Frauenkommission Inge Lange erkannte die Gelegenheit und überzeugte das Politbüro eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in der DDR einzuführen. Bereits am 22. Dezember 1971 erfolgte die Bekanntgabe des Beschlusses zur Neuregelung der Schwangerschaftsunterbrechung. Am 9. März 1972 wurde das Gesetz verabschiedet – erstmals und letztmalig mit Gegenstimmen und Enthaltungen. Kirchenleitung und konfessionell gebundene Ärzte protestierten gegen die Neuregelung.
Die Frauen konnten von nun an in den ersten 12 Wochen ohne die Angabe von Gründen legal einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen. Der Eingriff musste durch ärztliches Personal in einer geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung vorgenommen werden. Der Abbruch war kostenlos. Während der gesamten Behandlungszeit war die Frau krankgeschrieben und erhielten während dieser Zeit Krankengeld. Schließlich verpflichtete das Gesetz ÄrztInnen dazu, die Frau über den Eingriff und den damit verbundenen Risiken zu informieren und zugleich über die zukünftige Anwendung von Verhütungsmethoden zu beraten.
Tabu und Desiderate
An dieser Stelle muss betont werden, dass in der DDR die fortschrittliche Gesetzgebung nicht gleichbedeutend war mit einer Veränderung bestehender gesellschaftlicher Konventionen.17 Dies äußerte sich zum Beispiel in der zunehmenden Ablehnung von medizinischen Fachkräften, einen Abbruch durchzuführen.18 Weder vor noch nach der Gesetzesänderung von 1972 hat es eine öffentliche und differenzierte Debatte über den Schwangerschaftsabbruch gegeben. Das Thema blieb in der DDR tabuisiert, Diskussionen fanden eher in wissenschaftlichen Fachjournalen statt. Eine der seltenen Ausnahmen ist das von Charlotte Worgitzky 1982 veröffentlichte Buch Meine ungeborenen Kinder und Monikas Helmeckes Erzählung Klopfzeichen. Erst nach 1990 erschienen Protokollbände wie Abbruch-Tabu oder Abgebrochen, in denen Frauen aus der DDR über ihre Schwangerschaftsabbrüche erzählen.19
Bis auf wenige Aufsätze fehlt eine wissenschaftliche Auseinandersetzung um den Schwangerschaftsabbruch und dessen Umsetzung in der DDR. Ebenso stellt die Diskussion innerhalb der nichtstaatlichen Frauenbewegung über die reproduktive Rechte ein Desiderat dar.
- Dr. Jessica Bock
- Digitales Deutsches Frauenarchiv
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Fußnoten
- 1 Poutrus, Kirsten: „Ein Staat, der seine Kinder nicht ernähren kann, hat nicht das Recht, ihre Geburt zu fordern.“ Abtreibung in der Nachkriegszeit 1945 bis 1950, in: Unter anderen Umständen. Zur Geschichte der Abtreibung, Berlin 1993, S. 73‒85, hier S. 78.
- 2 Ebenda, S. 79.
- 3 Ebenda, S. 80.
- 4 Grossmann, Atina: Reforming Sex. The German Movement for Birth Control and Abortion Reform, New York/Oxford 1995, S. 197.
- 5 Aresin, Lykke: Schwangerschaftsabbruch in der DDR, in: Unter anderen Umständen. Zur Geschichte der Abtreibung, Berlin 1993, S. 86‒95, hier S. 86.
- 6 Grossmann, Atina: „Sich auf ihr Kindchen freuen.“ Frauen und die Behörden in Auseinandersetzungen um Abtreibungen, Mitte der 1960er Jahre, in: Lüdtke, Alf/Becker, Peter (Hg.): Akten. Eingaben. Schaufenster. Die DDR und ihre Texte, Berlin 1997, S. 241‒257, hier S. 242.
- 7 Poutrus: „Ein Staat, der seine Kinder nicht ernähren kann“, S. 82.
- 8 Buchholz, Ramona Katrin: Legenden der Gleichberechtigung. Eine literatursoziologische Analyse zum „Geichstellungsvorsprung“ ostdeutscher Frauen, Heidelberg 2015, S. 231.
- 9 Thietz: Ende der Selbstverständlichkeit? Abschaffung des §218 in der DDR. Dokumente, Berlin 1992, S. 75.
- 10 Ebenda, S. 59.
- 11 Buchholz: Legenden der Gleichberechtigung, S. 228.
- 12 Leo, Annette/König, Christian: Die „Wunschkindpille“. Weibliche Erfahrung und staatliche Geburtenpolitik in der DDR, Göttingen 2015, S. 54.
- 13 Poutrus, Kirsten: Von den Massenvergewaltigungen zum Mutterschutzgesetz. Abtreibungspolitik und Abtreibungspraxis in Ostdeutschland, 1945-1950, in: Bessel, Richard/Jessen, Ralph (Hg.): Die Grenzen der Diktatur. Staat und Gesellschaft in der DDR, Göttingen 1996, S. 170‒198, hier S. 190.
- 14 Thietz: Ende der Selbstverständlichkeit?, S. 59.
- 15 Ebenda, S. 71 f.
- 16 Harsch, Donna: Society, the State and Abortion in East Germany 1950-1972, in: The American Historical Review, Bd.102, 19977, H. 1, S. 53–84, hier S. 71‒79.
- 17 Buchholz: Legenden der Gleichberechtigung, S. 230.
- 18 Mahrad, Christa: Schwangerschaftsabbruch in der DDR. Gesellschaftliche, ethische und demographische Aspekte, Frankfurt a.M. 1987, S. 156.
- 19 Grafenhort, Gabriele M.: Abbruch-Tabu. Lebensgeschichten nach Tonbandprotokollen, Berlin 1990; Walther, Heike: Abgebrochen. Frauen aus der DDR berichten, Berlin 2010.