Feministische Ratgeber zur Selbsthilfe

Anfang der 1970er Jahre begannen Feministinnen, eigene Frauengesundheitsratgeber herauszubringen. Damit wollten sie die Deutungshoheit über ihren eigenen Körper zurückgewinnen und das Wissen über Menstruation, Verhütung und Schwangerschaft weitertradieren.

Im Kampf gegen den § 218  stritt die neue Frauenbewegung auch für die (Wieder-) Entdeckung bzw. Enttabuisierung des weiblichen Körpers. Sie kritisierte nicht nur den staatlichen Zugriff auf die Körper der Frauen, sondern auch die sich bereits in der Kaiserzeit zementierende patriarchale Vormachtstellung und das Wissensmonopol einer männlich dominierten Medizin und Gynäkologie. Um dieses Machtverhältnis aufzubrechen, begannen Feministinnen Anfang der 1970er Jahre eigene feministische Ratgeberliteratur zu schreiben und in Eigenverlagen zu veröffentlichen. Inspiriert waren diese Publikationen auch durch den Austausch und Veröffentlichungen internationaler Frauengruppen, u.a. aus den USA. In der DDR waren solche Veröffentlichungen aufgrund der staatlich-repressiven Bedingungen und einer fehlenden unabhängigen Öffentlichkeit nur sehr eingeschränkt möglich.

Eine systematische Untersuchung der Frauengesundheitsbewegung steht noch aus.1 Einige dieser wichtigen Quelle bilden werden hier stellvertretend für das Format er Frauengesundheitsratgeber kurz vorgestellt. 

Our  Bodies, Ourselves / Unser Körper, unser Leben

Im Frühjahr 1969 gründete sich im US-amerikanischen Boston eine Frauengruppe, die sich kritisch mit dem mangelnden Zugang zu Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbruch auseinandersetzte. Die Frauen begannen umfassend Informationen über den weiblichen Körper, Sexualität, Schwangerschaftsabbruch und Geburtenkontrolle zu sammeln. Ihre Ergebnisse und deren Einordnung in die patriarchalen Geschlechterverhältnisse der USA veröffentlichten sie 1970 unter dem Titel Women and Their Bodies. Ein Jahr später änderten sie den Titel in Our Bodies Ourselves. Die Ausgabe von 1971 enthält insgesamt 12 Kapitel und behandelt Themen wie Medizin und Kapitalismus, weibliche Physiologie, Sexualität und Geschlechtskrankheiten bis hin zu Abtreibung und Schwangerschaft. Um eine größere Zielgruppe zu erreichen, veröffentlichte die Gruppe als Boston Women’s Health Book Collective ab 1973 bei einem kommerziellen Verlag. Our Bodies Ourselves wurde zu einem weltweiten Bestseller, der in vielen Sprachen erschien und wichtige Impulse für ähnliche Buchprojekte in anderen Ländern gab. 1980 erschien mit Unser Körper, unser Leben die deutsche Übersetzung. Die letzte aktualisierte Ausgabe erschien 2011, bis heute besteht Our Bodies Ourselves als Non-profit-Organisation weiter.

Cover der ersten kommerziell erschienenen Our Bodies Ourselves, 1973
Cover der ersten kommerziell erschienenen Our Bodies Ourselves, 1973

Frauenhandbuch Nr. 1  

Das Frauenhandbuch Nr. 1 von Brot und Rosen, 1972

1972 veröffentlichte die Westberliner Gruppe Brot und Rosen das Frauenhandbuch Nr. 1 im Selbstverlag mit einer Auflage von 10.000 Stück. Das Handbuch avancierte zu einem Klassiker der feministischen Rategeberliteratur. Die erste Ausgabe widmet sich dem Themen Abtreibung und Verhütung. Die Autorinnen wollten das Wissensmonopol von Ärzten, Gynäkologen und Pharmaindustrie aufbrechen und Frauen die Definitionsmacht über den eigenen Körper ermöglichen. Dementsprechend enthält der Ratgeber Kapitel über die weiblichen Geschlechtsorgane und Beschreibungen über gynäkologische Untersuchungsmethoden sowie die dabei zum Einsatz kommenden Geräte. Reproduktive Rechte und Geburtenkontrolle im kapitalistischen Zusammenhang werden ebenso diskutiert wie die globale Bevölkerungspolitik und die Rolle der Kirche. Im Frauenhandbuch verfolgte die Gruppe Brot und Rosen einen sozialistisch-feministischen Ansatz, indem sie Schwangerschaft, Mutterschaft und die von Frauen geleistete bezahlte wie unbezahlte Arbeit als miteinander verwoben, interdependent betrachtete und daher auch zusammen bekämpft werden musste.2

Ihr Ziel, sowohl die Situation der Arbeitsmigrantinnen als auch die Situation der Frauen in der DDR mit zu berücksichtigen, konnte die Gruppe aufgrund fehlender Informationen und Kapazitäten nicht umsetzen.3

Hexengeflüster. Frauen greifen zur Selbsthilfe 

Eine Westberliner Gruppe bestehend aus acht Frauen veröffentlichte 1975 mit dem Buch Hexengeflüster. Frauen greifen zur Selbsthilfe eine weitere feministische „Wissensfibel“4. Angeregt durch die US-amerikanische Frauengesundheitsbewegung beabsichtigten sie, mit ihrem Ratgeber die Frauen in ihrem Kampf um die Rückeroberung ihrer Selbstbestimmung und Kontrolle über ihren eigenen Körper zu unterstützen. Neben dem Aneignen und Tradieren von Wissen über die weibliche Anatomie und Körperfunktionen sollte vor allem über die Gründung von Selbsthilfegruppen und -zentren die Emanzipation von der als männlich empfundenen Medizin erreicht werden. Demzufolge enthält das Buch unter anderem Kapitel über die weiblichen Geschlechtsorgane mit Anleitung zur Selbstuntersuchung, Übersichten über den Menstruationszyklus, naturkundliche Heilmethoden bei Geschlechtskrankheiten und schonende Abtreibungsmethoden.

Hexengeflüster 2, 1977
Frauenselbstverlag
Quelle
FFBIZ - das feministische Archiv e.V.
Cover und Einblick in die zweite Auflage der Westberliner Publikation, Hexengeflüster 2, 1977.

Anders als die Gruppe Brot und Rosen  vertraten die Frauen von Hexengeflüster einen radikalfeministischen Ansatz: Sie kritisierten die Zentrierung auf Heterosexualität und Penetration sowie den Orgasmuszwang, der sich in hetero- wie auch homosexuellen Paarbeziehungen zeigte.5 Wie die Gruppe Brot und Rosen thematisierten die Frauen auch im Hexengeflüster die imperialistische Bevölkerungspolitik wie die Erprobung von Verhütungsmitteln und (Zwangs-) Sterilisationen zu Lasten nicht-weißer Frauen. 1977 erschien mit Hexengeflüster 2  die zweite Auflage, die mit 10.000 Exemplaren rasch vergriffen war.

Verhütet Euch . Eine Auseinandersetzung mit Methoden der Geburtenreglung (DDR)

In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre fanden sich in Potsdam fünf Frauen und zwei Männer in einer Gruppe zusammen. Gemeinsam tauschten sie sich zu Fragen von Geburtenregelung und Sexualität aus und trugen ihre Ergebnisse in der Broschüre Verhütet Euch. Eine Auseinandersetzung mit Methoden der Geburtenreglung zusammen. Die Auseinandersetzung mit Verhütungsmethoden sah die Gruppe als geschlechterübergreifende Verantwortung und Aufgabe an. Für sie ermöglichte die gemeinsame Auseinandersetzung zu Fragen der Geburtenregelung einen weiteren Schritt zu mehr Gleichberechtigung und einen bewussteren Umgang mit dem eigenen Körper, Leben und Kinder. Ihrer Ansicht nach bot gerade die natürliche Geburtenregelung eine Möglichkeit, sexistische Formen der Geburtenkontrolle zu überwinden. Chemische bzw. hormonelle Verhütungspraktiken und deren Nebenwirkungen wie zum Beispiel die Pille werden in der Broschüre daher eher kritisch diskutiert. Ob und wie die Broschüre innerhalb der nichtstaatlichen Frauenbewegung der DDR rezipiert wurde, ist eine offene Forschungsfrage.

Erstellt in der DDR, die Broschüre Verhütet Euch, 1987.

 

Veröffentlicht: 17. Mai 2021
Lizenz (Text)
Verfasst von
Dr. Jessica Bock

wissenschaftliche Mitarbeiterin im Digitalen Deutschen Frauenarchiv

Empfohlene Zitierweise
Dr. Jessica Bock (2024): Feministische Ratgeber zur Selbsthilfe, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/angebote/dossiers/218-und-die-frauenbewegung/feministische-ratgeber-zur-selbsthilfe
Zuletzt besucht am: 09.12.2024
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  • Dr. Jessica Bock
  • Digitales Deutsches Frauenarchiv
  • CC BY 4.0

Fußnoten

  1. 1 Siehe hierzu jüngst: Heinemann, Isabel: Frauen und ihre Körper. Reproduktives Entscheiden in den Ratgebern der US-amerikanischen und westdeutschen Frauengesundheitsbewegungen, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 69. Jg., 2021, H. 2, S. 125‒137.
  2. 2 O. A.: Raus aus dem kleinen Unterschied? Sexuelle und körperliche Selbstbestimmung und Gesundheit, in: Lenz, Ilse (Hg.): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom Kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, 2. Aufl., Wiesbaden 2010, S. 97‒144, hier S. 102.
  3. 3 Heinemann: Frauen und ihre Körper, S. 132.
  4. 4 O. A.: Raus aus dem kleinen Unterschied?, S. 101.
  5. 5 Ebenda, S. 103.