Ärztinnen und­­­ erzwungene Schwangerschafts­abbrüche

Auch Ärztinnen waren Teil der Vernichtungsmaschinerie, wie das Beispiel von Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa in Hamburg zeigt. Ihr Anteil etwa an Zwangsabtreibungen ist erst seit einiger Zeit Thema intensiver Forschungen.

Schwangerschaftsabbrüche wurden bei, wie es damals hieß „deutschen erbgesunden Frauen“ mit schweren Strafen geahndet, doch bei Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa waren sie ausdrücklich gewünscht. Deshalb wurden schwangere sogenannte Ostarbeiterinnen aus Polen, Russland und der Ukraine vielfach dazu gezwungen. Auf diese lange ignorierte Tatsache verweist auch Margot Löhr in ihrem 2020 erschienen Gedenkbuch in zwei Bänden Die vergessenen Kinder von Zwangsarbeiterinnen in Hamburg – ermordet durch Vernachlässigung und Unterernährung.1

Diese Frauen wurden in der Hierarchie des unmenschlichen NS-Rassenwahns auf die untersten Stufen gestellt. MitarbeiterInnen des SS-Rasse- und Siedlungshauptamtes führten eine sogenannte „Rasseuntersuchung“ bei den schwangeren Zwangsarbeiterinnen durch – zur Verschleierung im weißen Kittel und wie es hieß zur „Wahrung des neutralen Charakters“. Bei einer als „schlechtrassig“ gebrandmarkten „Ostarbeiterin“ fiel auch ihr zu erwartendes Kind in diese Kategorie, die Bezeichnungen reichten bis hin zu „völlig untragbarer Bevölkerungszuwachs“. Diese Frauen wurden zu einer Abtreibung gedrängt, die hingegen für sogenannte „Westarbeiterinnen“ aus Holland, Belgien und Frankreich nicht erlaubt war. Für „deutsche Frauen“ stand eine Abtreibung nach § 218 ohnehin unter hoher Strafe.2

Grundlage für Margot Löhrs Gedenkbuch waren Akten der beteiligten Klinken, Ärztinne n, Gutachtenlisten, Tagebücher und Entnazifizierungsakten. Doch etliches Material ist bereits vernichtet oder verschollen, die Beteiligten sind längst verstorben und wurden nie befragt. Die etablierte Wissenschaft und ihre Institutionen begannen erst spät, die Rolle von MedizinerInnen im NS zu thematisieren3. Lange war nur von wenigen Einzeltätern die Rede, wurde ignoriert, dass viele der MedizinerInnen sich in der Mitte der Gesellschaft bewegten und auch nach der Nazi-Zeit an ihren Überzeugnungen festhielten oder sie kaschierten. 

Deshalb sollen hier exemplarisch einige Biografien skizziert werden, die Fragen aufwerfen nach nationalsozialistischen Überzeugungen und Strukturen – und Handlungsräumen von Ärztinnen. Auch wenn wir den Beitrag unter die Rubrik Akteurin gestellt haben, ist in diesem Zusammenhang ganz eindeutig von Täterinnen-Porträts zu sprechen, die keinesfalls als Teil der in der sonst unter der Rubrik vorgestellten Akteurinnen der Frauenbewegung zu verstehen sind.

Vor dem Oberen Militärgericht in Hamburg sind 6 Ärzte und 2 ehemalige Polizeibeamte angeklagt, während des Dritten Reiches an der Zwangssterilisation beteiligt gewesen
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Die Angeklagten (vorn l-r) Dr. Ernst Günther, Dr. Anna Goldbeck, die Ex-Polizisten Paul Everding und Kurt Krause; dahinter (l-r) Professor Dr. Hans Hinselmann, Dr. Alfred Bessin, Dr. Alexander Schüppel und Dr. Helmuth Wirthe am 2.12.1946 vor Gericht. Vor dem Oberen Militärgericht in Hamburg sind 6 Ärzte und 2 ehemalige Polizeibeamte angeklagt, während der NS-Zeit an der Zwangssterilisation von Sinti und Roma beteiligt gewesen zu sein und sich dadurch eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht zu haben.

Dr. Meta Thorlichen

Ein Großteil der Zwangsabtreibungen wurden in der Frauenklink Finkenau vorgenommen, der größten Geburtsklinik Hamburgs. „In der Frauenklinik Finkenau sind etwa gleich viele Geburten wie Schwangerschaftsabbrüche in den Krankenhauslisten verzeichnet, so sind es dort bei den polnischen und russischen/ukrainischen Frauen 545 Schwangerschaftsabbrüche und 557 Entbindungen. (...) Dagegen sind bei den Zwangsarbeiterinnen aus Belgien, Frankreich und den Niederlanden in diesen Kliniken keine Schwangerschaftsabbrüche, lediglich einige Aborte verzeichnet.“4

Der Leiter der Frauenklink, Finkenau Rolf Hansen (1901–1953) hat eine klassische NS-Biografie: Ab 1933 war er Mitglied der SS und Leiter der Landeshebammenlehranstalt Hamburg, ab 1941 kommissarischer Direktor, ab 1944 ärztlicher Direktor der Frauenklink Finkenau und außerplanmäiger Professor für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Universität Hamburg. 

In dieser Frauenklinik Finkenau war die Assistenzärztin Dr. med Meta Thorlichen,5 geb. 20.6.1908 in Hamburg, an Schwangerschaftsabbrüchen von Zwangsarbeiterinnen beteiligt. Einige endeten für die Mütter tödlich, wie bei der Russin Alexandra Kalaschnikowa, die noch im 5. Schwangerschaftsmonat durchgeführt wurde.6 Auffällig sei, so Margot Löhr, dass die Verantwortlichen, die in den Todesbescheinigungen aufgeführt wurden meist Assistenzärztinnen waren. Auch Meta Thorlichen war Mitglied in NS-Organsiationen: So gehörte sie seit Januar 1937 der NSDAP und der NS-Frauenschaft sowie seit Januar 1938 dem NS-Ärztebund an. Nach Kriegsende wurde sie im Mai 1946 von der britischen Militärregierung von ihrem Dienst suspendiert, doch wurde ihrem Einspruch am 29.11.1947 stattgegeben, da sie nur ein sogenanntes nominelles Mitglied gewesen sei und den Organisationen ohne Amt angehört habe. Aktivismus wurde ihr dort nicht nachgewiesen, so Margot Löhr.

Meta Thorlichen führte nach Kriegsende als Fachärztin für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe eine Praxis in Hamburg und wohnte in Groß Flottbek in der Parkstraße 22, einem der ‚besseren Viertel‘ Hamburgs. 1959 hält sie bei einem der regelmäßigen Treffen der Regionalgruppe des Deutschen Ärztinnenbundes am 21. Januar 1959 einen Vortrag über Pläne zur Reform der sozialen Krankenversicherung.7

Dr. Gretchen Petersen

Im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn konnte Margot Löhr eine weitere Ärztin ausmachen: Dr. Gretchen Petersen behandelte die Zwangsarbeiterin Broné Lamsagarite 8 aus Litauen wegen einer drohenden Fehlgeburt, die Frau verstarb einige Tage später an einer Infektion. Der Werdegang der Assistenzärztin Dr. Gretchen Petersen, geb 19.6.1913 in Lüneburg,9 zeigt sie als NS-systemkonform: Sie gehörte von 1933 bis 1938 der Deutschen Studentenschaft an, seit 1936 dem Reichbund Deutsche Familie, dem Frauenwerk und dem Deutschen Roten Kreuz. Nach ihrer medizinisch praktischen Ausbildung 1939 in den Alsterdorfer Anstalten, wurde sie Volontärärztin bei Dr. Gerhard Kreyenberg, dem stellvertretenden Direktor dieses, wie es damals hieß: „Spezialkrankenhauses für alle Arten geistiger Defektzustände“. Das Gesetz zur „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933 wurde in Alsterdorf unterstützt und in Form von Massensterilisationen in die Tat umgesetzt, zudem wurden die Anstalten zu einem „Nationalsozialistischen Musterbetrieb“ erklärt.10

Gerhard Kreyenberg (1899–1996) war ein überzeugter Nationalsozialist: Seit 1933 war er Mitglied der NSDAP und der SS, ab 1934 Gaustellenleiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP und maßgeblich an Zwangssterilisationen von Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen beteiligt und an der Ermordung von Kranken, der sogenannten Euthanasie. Nach Ende des Krieges erteilte ihm die britische Militärregierung zunächst Beschäftigungsverbot. Doch 1958 erstritt er seine Wiederzulassung als Arzt, betrieb eine Arztpraxis und war seit 1966 wieder Belegarzt in den Alsterdorfer Anstalten.11

Nach ihrer Volontärszeit war Gretchen Petersen in den Alsterdorfer Anstalten und im Hafenkrankenhaus tätig. 1941 gehörte sie ein Jahr dem Reichskolonialbund an, der die früheren deutschen Kolonien wiedererlangen wollte, ab 1942 war sie Assistenzärztin im Allgemeinen Krankenhaus Bergedorf und ab 1943 im Allgemeinen Krankenhaus Langenhorn. Nach Kriegsende arbeitete sie als Assistenzärztin im Hamburger Säuglingsheim. Auch sie konnte in ihrem Beruf weiterarbeiten, die britische Militärregierung und das Funktionsgremium zur Entnazifizierung erhoben im Dezember 1946 in Bezug auf ihre Beschäftigung keine Einwände.

Gedenkorte und Stolpersteine

Die Lebensläufe dieser Ärztinnen konnten lange Zeit nicht recherchiert werden, da den Wissenschaftler*innen durch Sperrfristen die Quellen verschlossen waren.

Um so verdienstvoller ist Margot Löhrs intensive Recherarbeit, die die Schicksale von 418 frühverstorbenen Kindern und ihrer Mütter allen zugänglich macht. Sie hat sich vertieft in Listen von Krankenhäusern, Meldekarteien und in Friedhofspläne. Im Stadtbild Hamburgs gab es bisher kaum Orte des Gedenkens und der Erinnerung an diese Opfer. Ihre Gräber, die nachweislich für 246 Kinder auf dem Friedholf Ohlsdorf existierten, wurden nach 15 Jahren aufgelassen.

Stolpersteine
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Einige der neuen Stolpersteine für die verstorbenen Kinder auf dem Gehweg in Hamburg-Langenhorn.

Nur 18 Grabsteine für Kinder von Zwangsarbeiterinnen und drei für Mädchen, die selbst Zwangsarbeit hatten leisten müssen, sind erhalten. Aber mittlerweile wurden 49 Stolpersteine in Langenhorn verlegt, in der Essener Straße 54 vor dem ehemaligen Zwangsarbeitslager Tannenkoppel mit der sogenannten Ausländerkinderbaracke. Auch für weitere Kinder von Zwangsarbeiterinnen stehen Stolpersteine zur Verlegung auf der Warteliste: vor den ehemaligen Zwangsarbeitslagern in Hamburg in Blankenese, Dulsberg, Eidelstedt, Klein-Borstel, Ohlsdorf, Wulksfelde – und in Lokstedt. Dort wird außerdem auf einer Gedenktafel 140 Zwangsarbeiterinnen gedacht, die bei einem Bombenangriff getötet wurden, weil es ihnen, wie allen Zwangsarbeitenden, verboten war einen Schutzbunker aufzusuchen. Ihr Tod wurde wissentlich in Kauf genommen.Vor dem Gedenkort in der Asklepios Klinik Ochsenzoll liegen 23 Stolpersteine für Kinder, die zwischen 1941 und 1943 Opfer der Euthanasie-Verbrechen in der sogenannten Kinderfachabteilung der „Heil-und Pflegeanstalt Langenhorn“ wurden.

An die Frauen, die zu Abtreibungen gezwungen wurden und selbst daran zugrunde gingen – drei Grabsteine für sie sind auf dem Friedhof Ohlsdorf erhalten12 – wird zumindest auch in Löhs Publikation erinnert. 

Veröffentlicht: 17. Mai 2021
Lizenz (Text)
Verfasst von
Dr. Birgit Kiupel

wissenschaftliche Mitarbeiterin des Digitalen Deutschen Frauenarchivs

Empfohlene Zitierweise
Dr. Birgit Kiupel (2024): Ärztinnen und­­­ erzwungene Schwangerschafts­abbrüche, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/angebote/dossiers/218-und-die-frauenbewegung/aerztinnen-und-erzwungene-schwangerschaftsabbrueche
Zuletzt besucht am: 08.10.2024
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Rechteangabe
  • Dr. Birgit Kiupel
  • Digitales Deutsches Frauenarchiv
  • CC BY 4.0

Fußnoten

  1. 1 Löhr, Margot: Die vergessenen Kinder von Zwangsarbeiterinnen in Hamburg – ermordet durch Vernachlässigung und Unterernährung. Ein Gedenkbuch in zwei Bänden, Landeszentrale für politische Bildung Hamburg 2020.
  2. 2 Die in diesem Abschnitt benutzten Begrifflichkeiten sind alle belegt und erläutert in: Löhr:Gedenkbuch, Bd.1, S.33-36.
  3. 3 Pionierarbeit auf diesem Forschungsfeld leisteten Ebbinghaus, Angelika / Kaupen-Haas, Heidrun / Roth, Karl-Heinz (Hg): Heilen und Vernichten im Mustergau Hamburg. Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik im Dritten Reich, Hamburg 1984. Siehe darin auch Garn, Michaela: Zwangsabtreibung und Abtreibungsverbot, S. 37-40.
  4. 4 Löhr: Gedenkbuch, Bd.1, S. 38. 
  5. 5 Ebenda, S. 254.
  6. 6 Ebenda, S. 39.
  7. 7 Deutscher Ärztinnenbund, Regionalgruppe Hamburg, Zugriff am 17.5.2021 unter
    https://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=4539&qW=Deutscher%20%C3%84rztinnenbund
  8. 8 Löhr: Gedenkbuch, Bd.1, S. 40.
  9. 9 Ebenda, S. 40 und FN 40, S. 60.
  10. 10 Die Angaben zu den Alsterdorfer Anstalten beziehen sich auf diesen Text: Evangelische Stiftung Alsterdorf, Zugriff am 17.5.2021 unter https://www.alsterdorf.de/ueber-uns/geschichte/1933-1945.html
  11. 11 Vgl. Tenti, Katharina, (o.J.): Gerhard Kreyenberg, Zugriff am 17.5.2021 unter https://www.hamburg.de/clp/dabeigewesene-begriffserklaerungen/clp1/ns-dabeigewesene/onepage.php?BIOID=16&ortsteil=40&qR=K
  12. 12 Friedhof Ohlsdorf, Grabplätze Areal Bp 73: Maria Demidenko Bp 73, Reihe 9, Nr. 17; Alexandra Kalaschnikowa Areal Bp 73, Reihe 4, Nr. 27; Broné Lamsagarite Bp 73, Reihe 8, Nr. 11.