Über Marie Stritt
Marie Stritt1 entstammte einer angesehenen Familie der Oberschicht der Siebenbürger Sachsen. Die fortschrittlichen Eltern, insbesondere ihre Mutter Therese Bacon (1824–1911), die später selbst Frauenrechtlerin war, ermöglichten ihr einen für die damaligen Vorstellungen von Frauenbildung gründlichen Unterricht durch Privatlehrer.
Von der Schauspielerin zur „Wanderrednerin im Interesse der Frauenemanzipation”
Im Alter von 19 Jahren verließ sie Siebenbürgen, um sich in Wien zur Schauspielerin ausbilden zu lassen. Nach erfolgreichen Jahren als Hofschauspielerin in Karlsruhe zog sie 1890 mit ihrem Mann, dem Opernsänger und Schauspieler Albert Stritt, und ihren beiden Kindern nach Dresden, nahm dort Kontakt mit der bürgerlichen Frauenbewegung auf und wurde schnell zu einer ihrer bedeutendsten Protagonistinnen. Sie war 1890 an der Gründung der Dresdner Montagsgesellschaft beteiligt. Marie Stritt wurde zu einer der „markantesten Pionierinnen und Führerinnen”2 der bürgerlichen Frauenbewegung und zu einer vielbegehrten „Wanderrednerin im Interesse der Frauenemanzipation“ und hielt im ganzen Land „aufklärende Vorträge über Bedeutung und Ziele der Frauenbewegung”.3
Die FrauenRECHTlerin – Dresdner Frauenrechtsschutzverein und ‚Frauenlandsturm‘ gegen das Bürgerliche Gesetzbuch
In ihrer frauenpolitischen Arbeit räumte Marie Stritt der Rechtsfrage Vorrang ein, denn in ihr sei „eigentlich die ganze Frauenfrage enthalten“.4 Mit der Einrichtung und Leitung der ersten Frauenrechtsschutzstelle Deutschlands 1894 in Dresden setzte sie Maßstäbe und initiierte eine Frauenrechtsschutzbewegung. Mit ihrem natur- bzw. menschenrechtlich argumentierenden Rechtsbewusstsein gerieten sie und ihre Dresdner Mitstreiterinnen allerdings schnell in Distanz zur konservativen Mehrheit des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF), woraufhin die Dresdner Ortsgruppe aus dem Verein austrat und sich im neukonstituierten radikalen Flügel der Frauenbewegung verortete.
Marie Stritt war neben Anita Augspurg die treibende Kraft im Kampf der Frauenbewegung gegen das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB). Dabei arbeitete sie mit dem 1894 neu gegründeten Dachverband, dem Bund Deutscher Frauenvereine (BDF), zusammen und regte „eine erste große realpolitische Massenbewegung der Frauen” an.5 Diese reichsweite Protestkampagne im Jahr 1896 wurde als sogenannter Frauenlandsturm viel bespöttelt.6 Erfolg hatte dieser große Einsatz jedoch nicht, dem Protest der Frauen wurden keine Konzessionen gemacht.
Die ‚Bundesmutter‘ – Leitung des Bundes Deutscher Frauenvereine und Herausgabe seines Centralblattes
Als Konsequenz daraus konzentrierte sich Marie Stritt in der Folgezeit auf den BDF, denn sie war überzeugt, dass nur durch einen umfassenden organisatorischen Zusammenschluss eine politische Mitwirkung der Frauen an der Gesetzgebung zu erreichen sei. Obwohl ihr das von einigen früheren Mitstreiterinnen als Wechsel der Seiten angekreidet wurde, war sie bereit, dabei auch Kompromisse mit den Gemäßigten zu machen. Im BDF erlangte sie innerhalb kurzer Zeit eine herausragende Position und führte den Dachverband von 1899 bis 1910 als Vorsitzende an. Unter ihrer Führung als ‚Bundesmutter’ entwickelte sich der BDF quantitativ sehr erfolgreich und wurde zu einer großen und bedeutenden Dachorganisation.
Die deutsche Frauenbewegung war Anfang des 20. Jahrhunderts international zur drittgrößten Frauenbewegung nach denen der USA und England angewachsen.7 Das internationale Engagement des BDF wurde wesentlich von Marie Stritt getragen, die an einer großen Zahl internationaler Kongresse in aller Welt teilnahm8 und von 1904 bis zur Niederlegung des Amtes auf dem internationalen Kongress in Den Haag 1908 die Erste stellvertretende Vorsitzende der weltweiten Organisation des International Council of Women war.9
Gleichzeitig war sie Herausgeberin und von 1910 bis 1921 Redakteurin der Zeitschrift Centralblatt und „hat dieses Blatt von kleinen Anfängen zu einer beachtlichen Höhe geführt”.10 Marie Stritt war allerdings sowohl als Herausgeberin des Centralblatts wie auch als ‚Bundesmutter’ inhaltlich und persönlich nicht unumstritten, denn sie verleugnete ihre radikalen Standpunkte nicht. Sie selbst und ihre Mitstreiterinnen bezeichneten Marie Stritt und ihre Positionen als radikal.11 So trug sie beispielsweise dazu bei, dass der BDF – 1902 zunächst noch vorsichtig, 1907 dann auf offiziellere und plakativere Weise – das Frauenstimmrecht in sein Programm aufnahm. 1908 setzte sie sich (erfolglos) für die Streichung des § 218 ein.
Der Bund machte damit unter dem Vorsitz von Marie Stritt eine gewisse Radikalisierung durch, wodurch sich aber eine Bewegung von Vertreterinnen der gemäßigten, konservativeren Richtung gegen die Vorsitzende entwickelte. Letztlich saß Marie Stritt zwischen allen Stühlen, auch wenn sie immer wieder die Einheitlichkeit der Bewegung beschwor. Es kam zu heftigen, sehr persönlichen Querelen, Streitigkeiten und tiefen Kränkungen, die auch durch eine aufreibende Briefdiplomatie innerhalb des Vorstands nicht beendet werden konnten. Letztlich handelte es sich um Machtkämpfe, in denen um Deutungsmacht, Einfluss und Führungspositionen gerungen wurde. 1910, nach mehr als einem Jahrzehnt, trat Marie Stritt vom Vorstand des BDF zurück. Ihre Nachfolgerin wurde Gertrud Bäumer.
Anlässlich ihres Rücktritts wurde auf Antrag von Eleonore Drenkhahn als Dank für ihre Verdienste 1911 die Marie-Stritt-Stiftung ins Leben gerufen.12 Ihr Zinsertrag sollte Marie Stritt als Einkommen zur Verfügung stehen, das Kapital aber im Besitz des BDF verbleiben. Wegen der Inflation musste die Stiftung 1923 jedoch aufgelöst werden.
Die Stimmrechtlerin – Engagement in der nationalen und internationalen Frauenstimmrechtsbewegung
In der Folgezeit engagierte sich Marie Stritt in der Frauenstimmrechtsbewegung, deren Forderungen sie seit Langem unterstützte. Ab 1911 hatte sie den Vorsitz des Deutschen (Reichs-)Verbandes für Frauenstimmrecht inne und repräsentierte die Bewegung auch international auf fast allen Kongressen. Innerhalb der deutschen Bewegung aber stieß ihr Engagement nicht auf ungeteilte Zustimmung. Sie hatte den Verbandsvorsitz in einer politisch brisanten Situation übernommen, in der eine grundsätzliche Kontroverse über die Art des geforderten Wahlrechts – Klassen- oder demokratisches Wahlrecht – geführt wurde, die schließlich zu einer Spaltung in drei konkurrierende Stimmrechtsorganisationen führte. Der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht unter Marie Stritt stand dabei für die gemäßigte Position, womit sie diesmal in Opposition zu den Radikalen in der Frauenbewegung stand. Die Forderung nach dem Frauenstimmrecht wurde dann 1918 im Zuge der Novemberrevolution durch die Arbeiter- und Soldatenräte – wie Marie Stritt befand – „betäubend rasch” erfüllt.13
Sie selbst wandelte sich nun „von der Frauenstimmrechtlerin zur Parteipolitikerin”14,trat in die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) ein und kandidierte – allerdings erfolglos – im Januar 1919 zur Wahl der Nationalversammlung. Zum Jahreswechsel 1919/1920 wurde sie schließlich für zwei Jahre Stadträtin in Dresden.
Anlässlich ihres 70. Geburtstags 1925 wurden ihr Ehr- und Dankesbezeigungen durch die Frauenbewegung in Form einer großen Feierlichkeit und eines kleinen Ehrensolds des BDF zuteil. In der Folge begann sie, ihre Lebenserinnerungen aufzuschreiben, die leider unvollendet blieben. Stritt starb 1928 im Alter von 73 Jahren.
Unter Beteiligung führender Vertreterinnen der nationalen wie der internationalen Frauenbewegung wurde ihr in mehreren Trauerfeiern gedacht und in allen bedeutenden Frauen(bewegungs)zeitschriften der verschiedenen politischen Richtungen wurde sie in zahlreichen, mehr oder weniger umfangreichen, Nachrufen gewürdigt. Trotz ihrer großen Bekanntheit zu ihrer Zeit weckt der Name Marie Stritt heute nur bei ganz wenigen noch Assoziationen und für weitere Ehrungen musste viel Zeit vergehen. So wurde in Dresden, dem Ort ihres langjährigen Wirkens, zwar bereits zwei Monate nach ihrem Tod vom Stadtbund Dresdner Frauenvereine das Gesuch gestellt, eine Straße nach ihr zu benennen, realisiert wurde dies allerdings erst 88 Jahre später, im Jahr 2016. Ein Jahr darauf wurde dort vom Landesfrauenrat Sachsen auch eine Gedenktafel für sie aufgestellt.15 Seit 2020 gibt es auch in Bremen eine Marie-Stritt-Straße16 und der Deutsche Frauenring (DFR) würdigte sie 2012 als Frauenrings-Frau des Jahres und damit als Wegbereiterin der Gleichstellung.17
Netzwerk von Marie Stritt
Zitate von Marie Stritt
Biografie von Marie Stritt
Fußnoten
- 1 Dieser Beitrag fußt auf meiner Monografie zu Marie Stritt: Schüller, Elke: Marie Stritt. Eine „kampffrohe Streiterin“ in der Frauenbewegung (1855–1928), Königstein/Taunus 2005.
- 2 Salinger, Julie: Marie Stritt. In: Nachrichtenblatt des BDF vom 15.02.1925.
- 3 Pataky, Sophie (Hg.): Lexikon deutscher Frauen der Feder. Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienenen Werke weiblicher Autoren, nebst Biographien der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme, Pforzheim 1987, S. 346.
- 4 Stritt, Marie: Das bürgerliche Gesetzbuch und die Frauenfrage. Vortrag gehalten auf der Generalversammlung des Bundes Deutscher Frauenvereine in Hamburg 1898, Frankenberg i. Sa., 1898, S. 15.
- 5 Lange, Helene: Marie Stritt †, in: Die Frau, 36. Jg., H. 1, Oktober 1928, S. 4.
- 6 Stritt, Marie: Frauen-Landsturm. Flugblatt zum Familienrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch, Selbstverl. der Hg. 1896.
- 7 Frederiksen, Elke (Hg.) (1981): Die Frauenfrage in Deutschland 1865–-1915. Texte und Dokumente, Stuttgart, S. 497.
- 8 Siehe ihre vielen Berichte darüber im Publikationsverzeichnis des Anmerkungsapparats von Schüller: Marie Stritt.
- 9 Vgl. die Sitzung des engeren Bundesvorstandes am 15.03.1908. HLA, BDF-MF 3122 und des Gesamtvorstandes am 16.03.1908, S. 17 f., HLA, BDF-MF 3089.
- 10 Salinger: Marie Stritt.
- 11 Vgl.: Stritt, Marie: Radikal und gemäßigt. In: Centralblatt, 2. Jg., 1900, H. 11 vom 01.09.1900, S. 83 f.
- 12 IX. Generalversammlung des Bundes deutscher Frauenvereine. Heidelberg, vom 6. bis 9. Oktober 1910. Offizieller Bericht über die Generalversammlung, Geschäfts- und Kassenbericht, Berichte der Bundeskommissionen und der Auskunftsstelle. HLA, BDF-MF 2976, S. 24 f.
- 13 Stritt, Marie: Zum Abschluß, in: Die Staatsbürgerin, 8. Jg., H. 7, Oktober/November 1919, S. 59.
- 14 Stritt, Marie: Von der Frauenstimmrechtlerin zur Parteipolitikerin, in: Die Staatsbürgerin, 7. Jg., H 10/11, Januar/Februar 1919, S. 86.
- 15 Vgl. Salzmann, Susanne: Marie Stritt, Zugriff am 06.07.2023, unter: https://www.frauenorte-sachsen.de/die-frauen/marie-stritt/.
- 16 „Gartenstadt Werdersee: Straßen tragen weibliche Namen“, Zugriff am 06.07.2023, unter: https://www.hb-suche.de/gartenstadt-werdersee-strassen-tragen-weibliche-namen/.
- 17 „Der 8. Oktober ist Frauenringstag“, Zugriff am 06.07.2023, unter: https://deutscher-frauenring.de/frauenringstag/.
Ausgewählte Publikationen
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Elke Schüller: Marie Stritt. Eine „kampffrohe Streiterin“ in der Frauenbewegung (1855-1928), Königstein/Taunus 2005.
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Sophie Pataky (Hg.): Lexikon deutscher Frauen der Feder, Pforzheim 1987 (Reprint der Erstausgabe von 1898).
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Marie Stritt: Marie Stritts Lebenserinnerungen. Unvollendetes Manuskript, Dresden 1928.
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Daniela Noppeney: Untersuchung des Centralblattes des Bundes Deutscher Frauenvereine von 1899 bis 1910 unter der Herausgeberin Marie Stritt mit besonderer Berücksichtigung radikaler Themen in der ersten deutschen Frauenbewegung, München 1998.
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Briatte, Anne-laure: Bevormundete Staatsbürgerinnen. Die "radikale" Frauenbewegung im Deutschen Kaiserreich, Frankfurt a.M. 2020.