Über Marie Goegg
„Ich bin davon überzeugt, dass wir eines Tages siegreich aus unserem Kampf heraustreten werden, der kein anderes Ziel hat, als die Herrschaft der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Bildung und des Glücks für alle Menschen zu garantieren.“1
Marie Goegg, eine der Gründerinnen der Schweizer Frauenbewegung, wurde am 24. Mai 1826 in Genf als Jeanne-Marie Pouchoulin geboren. Als Einzelkind wuchs sie bei ihren Eltern Andrienne Pautex und Jean Pouchoulin, einem Uhrmacher, auf. Bereits im familiären Umfeld kam Marie Goegg mit sozialistischen Ideen in Berührung. Mit 19 Jahren heiratete sie Marc Antoine Mercier. Als Handelsreisender war ihr Ehemann, mit dem sie bei dessen verwitweter Mutter lebte, oft auswärts, weshalb er Marie offenbar aus pragmatischen Gründen in sein Haus holte. So war es die Aufgabe von Marie, ihre Schwiegermutter zu pflegen und zu versorgen. Lange ließ sich Marie das allerdings nicht gefallen, beendete nach wenigen Jahren die Ehe und zog mit dem in der Zwischenzeit geborenen Sohn Louis Henry zurück in ihr Elternhaus.
Dort vermieteten ihre Eltern einige Zimmer an deutsche Flüchtlinge der 1848er-Revolution. So nahm die Tochter im Hause Pouchoulin teil an Diskussionen über Demokratie und Liberalismus, über Frieden und Freiheit. Das politische Interesse der 23-Jährigen erwachte und radikal-demokratische Standpunkte überzeugten sie. Einer dieser Flüchtlinge war der badische Revolutionsführer Amand Goegg, in den sich Marie verliebte. Als Amand 1851 aus der Schweiz ausgewiesen wurde, folgte die schwangere Marie ihm nach London, wo ihr erster gemeinsamer Sohn Egmont geboren wurde. Im englischen Exil kam sie in Kontakt mit der Frauenbewegung, die hier schon in vollem Gange war. Die Erfahrungen aus jener Zeit verarbeitete sie später in ihrer Erzählung Deux poids et deux mesures (Zweierlei Maß und Gewicht).
Die politischen Anfänge
Nachdem Marie und Amand Goegg ab 1862 einige Jahre im deutschen Baden gelebt hatten, kehrten sie nach Genf zurück. Dort wurde der zweite Sohn des Paares, Gustave Alfred, geboren. Marie engagierte sich in Genf in der von ihrem Ehemann mitbegründeten ‚Ligue internationale pour la paix et la liberté‘, der ‚Internationalen Liga für Frieden und Freiheit‘. 1868 wurde sie ins Zentralkomitee der Liga gewählt und redigierte die neue Zeitung Les Etats-Unis d’Europe. Marie stand zwar hinter den demokratischen und pazifistischen Zielen der Liga, war aber zugleich überzeugt, dass die Interessen der Frauen eine eigene Vertretung benötigten. Wie recht sie hatte, zeigte sich 1868 an einem Kongress der ‚Internationalen Arbeiterassoziation‘ in Brüssel. In ihrer Rede ersuchte Marie darum, dass auch Frauen in die ‚Internationale‘ aufgenommen würden. Doch der Antrag wurde im Kongress einhellig abgelehnt.
Konzentration auf Frauenrechte
Nach der enttäuschenden Erfahrung in Brüssel veröffentlichte Marie am 24. Februar 1868 im Verbandsorgan der Internationalen Liga für Frieden und Freiheit einen Aufruf zur Bildung von Frauenkomitees. Von diesem Vorstoß fühlten sich jedoch nur wenige, vor allem intellektuelle Frauen angesprochen. Darüber, dass dieses Unterfangen kein einfaches sein würde, war sich Marie bewusst, sie schrieb in ihrem Aufruf denn auch: „Mut also, ihr Gründerinnen von Komitees, ihr für alles Gute begeisterte Frauen! Schreckt nicht zurück vor der Schwierigkeit des Unternehmens und der Kargheit eurer Mittel!“2 Tatsächlich fanden sich genug ‚begeisterte‘ Frauen, sodass sich noch im selben Jahr – am 16. Juli 1868 – die ‚Association internationale des femmes‘, die ‚Internationale Frauenassoziation‘ konstituierte, deren Vorsitz Marie Goegg übernahm. Als politisches Ziel verfolgte die Organisation die Gleichstellung der Geschlechter im Bildungswesen, im Erwerbsleben und in rechtlichen Belangen. Entsprechend war in Artikel 1 der Statuten nachzulesen: „Die internationale Frauenassoziation hat zum Ziel, am moralischen und geistigen Fortschritt der Frau mitzuarbeiten, ebenso an der schrittweisen Verbesserung ihrer Stellung in der Gesellschaft durch Erlangen der menschlichen, zivilen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rechte. Sie fordert die Gleichberechtigung auf dem Gebiet der Entlöhnung, des Unterrichts, des Familienrechts und vor dem Gesetz.“3 Ob sich Marie Goegg hat ausmalen können, dass es zur Umsetzung des Großteils dieser Ziele in ihrem Heimatland – der Schweiz – noch über hundert Jahre brauchen und dass einige der Ziele bis heute nicht umgesetzt sein würden? Die Assoziation hatte indes nicht einzig die Schweiz im Blick, sondern verfolgte von Beginn an – das impliziert bereits der Name – eine internationale Perspektive. So steckte hinter der Gründung der Internationalen Frauenassoziation die Idee, dass Frauen in allen europäischen Städten Komitees bilden und eigene Lokale mit Büchern und Zeitschriften aufbauen sollten, um sich dort zu Bildungszwecken und zum Austausch zu treffen. Ein Jahr später, 1869, brachte Marie Goegg mit dem Journal des femmes die erste Schweizer Frauenzeitung heraus. Dass auch diese einer internationalen Perspektive verpflichtet war, wird bereits in der ersten Ausgabe klar, in der Goegg einen Überblick über die Frauenbewegungen der Welt lieferte.
Bis 1871 stand Marie Goegg der Assoziation als Präsidentin vor. Der Mehrheit der Mitglieder war ihr Kurs jedoch zu radikal und mochte ihr nicht folgen. Sich dessen bewusst, trat Goegg als Präsidentin zurück. Zugleich schwächte der 1870 ausgebrochene Krieg zwischen Deutschland und Frankreich sowohl die Internationale Liga für Frieden und Freiheit wie auch die Internationale Frauenassoziation. Letztere löste sich sogar zwischenzeitlich auf. Nach Kriegsende erhielt Marie Goegg einen Brief von Josephine Butler, in dem die bekannte britische Feministin und Abolitionistin sie bat, sie bei der Gründung ihrer ‚Internationalen Föderation zur Bekämpfung der Prostitution‘ zu unterstützen. Von dieser Initiative inspiriert, gründete Goegg zusammen mit Julie von May 1872 in Bern die ‚Association pour la défense des droits de la femme‘ – die ‚Vereinigung zur Verteidigung der Frauenrechte‘ –, die nach ihrem Publikationsorgan oft auch kurz ‚Solidarité‘ genannt wurde und als Nachfolgeorganisation der Frauenassoziation nun unter einem neuen, kämpferischeren Namen lief. Unter den Mitgliedern der neugegründeten Assoziation fungierten einige der prominentesten Frauenrechtlerinnen aus England, Amerika, Deutschland, Frankreich und Italien, darunter Josephine Butler, die amerikanische Frauenrechtlerin Elisabeth Cady Stanton oder die deutsche Herausgeberin der Frauen-Zeitung, Louise Otto-Peters.
Von ihrer Vorläuferorganisation übernahm die neu gegründete Vereinigung das emanzipatorische Programm und setzte mit der zivilrechtlichen Gleichstellung der Schweizerinnen ihr Hauptziel. Eine der ersten Errungenschaften der Vereinigung war die von Goegg initiierte Petition, die die Zulassung von Frauen an die Universität Genf verlangte. Tatsächlich wurde damit erreicht, dass im Wintersemester 1872/73 erstmals auch weibliche Studierende in den Hörsälen der Universität Genf sitzen durften. Der Öffnung gegenüber Frauen folgten bald auch die Universitäten von Bern und Zürich. Weitere Erfolge blieben nicht aus. So gelang es der Vereinigung zur Verteidigung der Frauenrechte, in mehreren Kantonen das Gesetz aufzuheben, das ledige und verwitwete Frauen unter Vormundschaft stellte, sowie – um ein anderes Beispiel zu nennen – die Post- und Telegrafenberufe für Frauen unter den gleichen Bedingungen wie für Männer zu öffnen. In der Verbandszeitung Solidarité, die acht Jahre lang erschien, schrieb Goegg als Herausgeberin denn auch stolz: „Die Schweiz ist wohl das Land in Europa, in welchem das, was man die Frauenfrage nennt, die grössten Fortschritte in der kürzesten Zeit gemacht hat.“4
Vorerst leitete Marie Goegg das Genfer Lokalkomitee der Vereinigung zur Verteidigung der Frauenrechte. 1875 wurde sie zu deren Präsidentin gewählt. Doch 1880 löste sie die Vereinigung auf. Möglicherweise spielten dabei auch private respektive finanzielle Gründe eine Rolle: Amand Goegg kehrte von einer Propagandareise nicht wieder zurück, einen Teil von Maries Vermögen hatte er mitgehen lassen. Von maßgeblicherer Bedeutung war bei der Auflösung der Vereinigung jedoch, dass es der Organisation an Gefolgschaft mangelte. Zugleich stellte Goegg das Erscheinen der Zeitschrift Solidarité ein.
Eine neue Generation rückt nach
Eine neue Generation junger Frauenrechtlerinnen nahm ihr Engagement auf. Marie besetzte darin keine führende Position mehr, doch blieb sie ihr bis zu ihrem Tod verbunden. 1886 wurde sie in den Administrativrat der ‚Fédération abolitionniste international‘ gewählt, zu der sie schon seit einigen Jahren enge Kontakte pflegte. Als 1891 die ‚Union des femmes de Genève‘ gegründet wurde, zogen deren Gründerinnen Marie Goegg zu Rate und wählten sie zur Vizepräsidentin, um mit ihr die Kontinuität innerhalb der fortschrittlichen Frauenbewegung zu garantieren. 1896 kam schließlich der erste schweizerische Frauenkongress zustande, an dem die 70-jährige Marie Goegg noch teilnahm und von dem sie hoffte, dass ihm politische Rechte für Frauen unmittelbar folgen würden. Sie starb wenige Jahre später, am 24. März 1899, 73-jährig in Genf.
Erst lange nach ihrem Tod, im Februar 1971, erhielten die Schweizerinnen endlich das Recht, auf eidgenössischer Ebene politisch zu partizipieren. Bis der letzte Kanton – Appenzell Innerrhoden – das Stimm- und Wahlrecht für Frauen einführte, dauerte es weitere 20 Jahre. Obschon Marie Goegg zu den Pionierinnen des egalitären Feminismus gehörte, zu den Symbolfiguren für den progressiven Flügel der Frauenbewegung in der Westschweiz zu zählen ist und mit der Gründung der ‚Internationale der Frauen‘ auch über die Landesgrenzen Impulse für die Frauenbewegung gesetzt hat, war sie bald vergessen. Als eine der wenigen Frauen tauchte sie in den 1920er-Jahren im Historisch-Biographischen Lexikon auf, doch erst die Neue Frauenbewegung in der Schweiz entdeckte sie als ihre Vorkämpferin wieder.
Netzwerk von Marie Goegg
Zitate von Marie Goegg
Biografie von Marie Goegg
Fußnoten
- 1 Zitiert nach: Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann, Zugriff am 15.1.2018 unter https://www.ebg.admin.ch/ebg/de/home/dokumentation/persoenlichkeiten-aus-der-schweizer-gleichstellungsgeschichte/marie-goegg-pouchoulin--1826-1899-.html.
- 2 Zitiert nach: FrauenMediaTurm (Hg.): Marie Goegg (1826–1899), Zugriff am 15.1.2018 unter http://www.frauenmediaturm.de/themen-portraets/feministische-pionierinnen/marie-goegg/auswahlbibliografie/gleichberechtigung-der-kampf-um-die-politischen-r/.
- 3 Zitiert nach: Ebenda.
- 4 Zitiert nach: Ebenda.
Ausgewählte Publikationen
-
Adler, Tibère et al.: Pionnières de la Suisse moderne, Genf 2014, S. 79–84.
-
Anteghini, Alessandra: Parità, pace, libertà. Marie Goegg e André Léo nell'associazionismo femminile del secondo Ottocento, Genua 1998.
-
Grobet, Erik: Marie Goegg-Pouchoulin. Une pionnière du féminisme à Genève, o.O. 2002.
-
Mesmer, Beatrix: Ausgeklammert – Eingeklammert. Frauen und Frauenorganisationen in der Schweiz des 19. Jahrhunderts, Basel 1988.
-
Moreillon, Simon: Marie Goegg-Pouchoulin: militante féministe suisse, in: Le Temps, 16. Juli 2014.
-
Service pour la promotion de l’égalité entre homme et femme (Hg.): Pionnières et créatrices en Suisse romande. XIX et XXe siècles, Genf 2004.
-
Woodtli, Susanna: Figures de proue – Marie Goegg-Pouchoulin (1826–1899), in: Femmes suisses et le Mouvement féministe, 11. Juni 1974.