Über Marie E.P. König
Eine leidenschaftliche Autodidaktin inspiriert die feministische Matriarchatsforschung
„Heinrich, wir fahren nach Lascaux!“ An ungezählten Nachkriegswochenenden nahm so ein deutsch-französisches Forschungsabenteuer seinen Lauf. In einem umgebauten Wohnwagen fuhren Marie E. P. König und ihr Ehemann Heinrich zu den eiszeitlichen Höhlen in Südwestfrankreich oder in den Wald von Fontainebleau, wo König sich leidenschaftlich und kenntnisreich den Artefakten des urzeitlichen Menschen widmete.
Marie Emilie Paula Schwager wurde Ende des 19. Jahrhunderts 1899 in Forst in der Lausitz geboren. Nach dem Abitur 1918 in Aachen besuchte sie das dortige Lehrerinnenseminar mit Abschlussprüfung für das höhere Lehramt (1920). Bis 1923 war sie als Lehrerin tätig, zunächst in einem Kinderheim in Pommern und ab 1921 an einem Waldpädagogium in Thüringen (Bad Berka). Dort lernte sie bei den Wandervögeln den Kaufmann Heinrich König kennen, heiratete ihn 1923 und zog noch im selben Jahr mit ihm nach Saarbrücken. Heinrich König übernahm 1935 die Firma Sanicentral, die bis zu ihrer Insolvenz 2009 im Familienbesitz war und mit deren Hilfe die Reisen und Publikationen Marie Königs entscheidend mitfinanziert wurden.
Marie E. P. Königs Interesse für Vor- und Frühgeschichte war bereits in jungen Jahren geweckt worden und intensivierte sich durch zahlreiche Besuche der eiszeitlichen Kulthöhlen in Frankreich. Sie machte ausgedehnte Forschungsreisen zu Hunderten von Höhlen in Frankreich, Spanien, Skandinavien und Großbritannien. Dabei untersuchte sie Ritzbilder in den Quarzit-Kulthöhlen der Île-de-France, in Schweden und Italien (Val Camonica), sie beschäftigte sich mit den bemalten Kieselsteinen aus der mesolithischen Höhle von Mas-d’Azil (Südwestfrankreich) und befasste sich mit den bekannten alt- und jungsteinzeitlichen Höhlenmalereien in Lascaux und Altamira. Sie besuchte die mächtigen Megalithanlagen von Newgrange in Irland und auf Malta (Hypogäum) und nicht zuletzt die neolithischen Siedlungen von Çatal Höyük in Anatolien sowie die kretischen Paläste von Knossos und Phaistos.
Ihre reichhaltigen Funde deutete sie abweichend von der bis dato herrschenden Lehrmeinung, die in den Artefakten Jagd- und Fruchtbarkeitssymbole zu erkennen glaubte. Marie König vermutete dagegen ein am Mond orientiertes System der Raum- und Zeiterfassung des eiszeitlichen Urmenschen, das sich mit Tiersymbolik und abstrakten Zeichen auf den lunaren Zyklus bezog und damit eine Art Mondkalender schuf.
Die aufsteigende und absteigende Spirale, das Labyrinth, die Vulva: König deutete ihre Darstellung auf prähistorischen Kunstwerken als Symbole des Wiedergeburtsglaubens im Zusammenhang mit der weiblichen Schöpfungskraft und dem Mondzyklus, der ebenfalls für Wiedergeburt stehe. Auch der Stier, bislang gerne phallisch gedeutet, findet sich bei König als Teil des lunaren Zyklus wieder: Die Form der Hörner verweise auf die beiden Halbmondphasen, während das Auge dem Vollmond entspreche. Mit Zahlensymbolik und keltischen Münzprägungen beschäftigte sie sich ebenfalls ausgiebig und veröffentlichte Abhandlungen dazu.
In der Frauenbewegung der 1970er-Jahre mit ihrem Bedürfnis nach einer Neudefinition des sogenannten Weiblichen und einer Neubewertung der historischen Rolle der Frau stieß Marie E. P. Königs Forschung auf großes Interesse. Ihre Umdeutung der unzähligen urgeschichtlichen Frauenstatuetten und Vulvadarstellungen wurde viel diskutiert und inspirierte die sich formierende feministische Matriarchatsforschung. König selber sah ihre Forschung nicht als Beleg eines vorgeschichtlichen Matriarchats, sondern eher als Darstellung eines Wiedergeburtsglaubens. Sie erklärte die Artefakte nicht als Fruchtbarkeitssymbole, sondern als urzeitliche philosophische Weltbilder. Frauenstatuetten wie zum Beispiel die Venus von Willendorf „setzen […] die Orientierung im räumlichen und zeitlichen Dasein voraus. Sie veranschaulichen die Rundung der Welt mit dem Nabel als Mittelpunkt und der Vulva als Symbol für die Wiedergeburt. […] Damit stand die Frau im Mittelpunkt des Kultes.“1 Häufig ist der Kopf der Frauengestalten mit einem Netzmuster überzogen, das König als Ausdruck für räumliche Ordnung versteht. Demnach stehe das Weibliche für ein philosophisches Konzept von der Frau als Verkörperung der Welt, für eine Vorstellung vom Menschen in Raum und Zeit und die ewige (zyklische) Wiederkehr des Lebens. Wichtige Anregungen für ihre Thesen erhielt Marie E. P. König aus der Philosophie Karl Jaspers‘ und der Tiefenpsychologie Carl Gustav Jungs.
Die Fachwelt nahm die Thesen Marie E. P. Königs zunächst mit großen Vorbehalten gegenüber der Autodidaktin auf. Eine Ausnahme stellte ihr Mentor Eric Voegelin dar, Politikwissenschaftler, Geschichtsphilosoph und Ordinarius in München und Stanford, der sie ermutigte und ihr Zugang zu akademischen Kreisen verschaffte. Künstler und Künstlerinnen hingegen fühlten sich sofort von ihren Thesen angesprochen. Beispielhaft erwähnt seien die Bilderzyklen der international renommierten Malerin Rune Mields, die sich in ihrer systematischen Zahlen- und Formensprache explizit auf Marie E. P. König berief, sowie der Saarbrücker Bildhauer Paul Schneider, der Abbildungen altsteinzeitlicher Motive in seine Arbeiten übertrug. Zunehmend wurde Marie E. P. Königs Pionierleistung auch in der Wissenschaft anerkannt, besonders im französischen Sprachraum. Sie wurde häufiger zu Vorträgen und Kongressen eingeladen und konnte wesentliche Erkenntnisse publizieren.
Doch trotz der internationalen Anerkennung, die sie im Laufe ihres Lebens erhielt, wäre sie heute wahrscheinlich wieder weitgehend vergessen, hätte es nicht eine intensive Rezeption von und durchaus kontroverse Auseinandersetzung mit Marie E. P. Königs Erkenntnissen durch die Matriarchatsforschung gegeben.2 Hier ist insbesondere Gabriele Meixners auf der Grundlage persönlicher Begegnungen mit Marie E. P. König entstandene Biografie (Meixner 1999) zu erwähnen, die dem beeindruckenden Leben und unkonventionellen Denken dieser Saarbrücker Urgeschichtsforscherin ein verdientes Denkmal setzte. Darüber hinaus erinnert die zu Ehren von Marie E. P. König in Moigny/Essone auf der Île-de-France benannte Höhle Auvent Marie Koenig die Nachwelt an ihr Lebenswerk.
1987 machte Marie E. P. König ihre letzte Forschungsreise nach Milly-la-Forêt, einen Monat nach ihrem letzten Vortrag in Bern starb sie 89-jährig 1988 in Saarbrücken.
Netzwerk von Marie E.P. König
Zitate von Marie E.P. König
Biografie von Marie E.P. König
Ausgewählte Publikationen
-
König, Marie E. P.: Das Weltbild des eiszeitlichen Menschen, Marburg 1954.
-
König, Marie E. P.: Unsere Vergangenheit ist älter. Höhlenkult Alt-Europas, Frankfurt a. M. 1980.
-
König, Marie E. P.: Die Frau im Kult der Eiszeit, in: Fester, Richard et al. (Hg.): Weib und Macht. Fünf Millionen Jahre Urgeschichte der Frau. Frankfurt a. M. 1979, S. 107–158.