Über Marie Buchhold
Die frühen Jahre
Marie Buchhold wurde am 6. Oktober 1890 in Darmstadt als Tochter eines Gymnasiallehrers geboren, ihre Mutter starb, als Buchhold erst drei Jahre alt war1. Der Vater heiratete wenige Jahre später erneut und sie bekam noch drei weitere Geschwister. Buchhold besuchte die höhere Mädchenschule in Darmstadt und absolvierte anschließend das daran angeschlossene Lehrerinnenseminar. Zwischen 1910 und 1917 arbeitete sie als Lehrerin an mehreren Schulen, die auch von sozial benachteiligten Kindern besucht wurden.2 Ihre Eindrücke aus den Schulen sowie die Nöte des Ersten Weltkriegs brachten sie zu der Überzeugung, dass die Gesellschaft in ihrer damaligen Existenzform ungerecht sei und reformiert werden müsse. Sie engagierte sich in der Jugendbewegung und leitete Jugendgruppen des Wandervogels sowie der Freideutschen Jugend.3 Außerdem interessierte sie sich für Siedlungsprojekte, die nach dem Ende des Weltkriegs weit verbreitet waren.
Wie viele junge Menschen mit bildungsbürgerlichem Hintergrund träumte sie von einem alternativen Lebensentwurf auf dem Land, verbunden mit handwerklicher Arbeit in der Natur, als Abkehr vom städtischen Leben, das als altbacken, gezwungen und unnatürlich empfunden wurde. Gemeinsam mit einem anderen Wandervogel, dem Illustrator Hermann Pfeiffer, gründete sie 1919 die Siedlung Frankenfeld, in der Männer und Frauen gemeinsam Landwirtschaft und Handwerke sowie eine Schule betreiben wollten.4 Das Projekt scheiterte bereits 1921, doch lernte Buchhold dort Elisabeth Vogler kennen. Die beiden Freundinnen fassten ein neues gemeinsames Siedlungsprojekt ins Auge. Diesmal sollten ausschließlich Frauen beteiligt werden.
Umzug in die Rhön und Gründung der Schule Schwarzerden
1922 zogen die beiden, finanziell mittellos, in ein Ferienhaus bei Gersfeld in der Rhön, wo Vogler Gymnastikkurse für Kinder der Umgebung veranstaltete. Währenddessen verfasste Buchhold Vorträge und Aufsätze zu Themen wie Individual- und Gemeinschaftserziehung, die Idee des Weiblichen, aber auch zur vorrevolutionären Gesellschaft Russlands5. Darauf aufbauend konnten sie 1923, gemeinsam mit einigen weiteren Frauen, einen verlassenen Hof in der Nähe des Dörfchens Schwarzerden pachten und somit die gleichnamige Siedlung gründen.6 Diese basierte zunächst auf Handwerk und Landwirtschaft, sollte in Zukunft aber auch eine Schule beinhalten. Das Ziel war es, mit dem Schulprogramm Gymnastik und Soziale Arbeit zu verbinden und jungen Frauen eine Berufstätigkeit zu ermöglichen, die ihnen sowohl eine sinnvolle und eigenständige Tätigkeit bereitete als auch der Gesellschaft einen Nutzen brachte.
Buchhold war nicht nur Gründungsmitglied der Schule, ihre Aufgabe war es, Schwarzerden ein Gesicht zu geben, die Schule bekannt zu machen und neue Schülerinnen zu werben. Dies umfasste auch die Werbung, Bekanntmachung und Vertretung Schwarzerdens in der Öffentlichkeit. Sie verfügte über gute Kontakte in ganz Deutschland, beispielsweise zu Menschen in Berliner Ministerien7, bei denen sie die Methode der Schule bewarb und sich somit die amtliche Unterstützung sicherte. Zudem ging sie regelmäßig auf Vortragsreisen in ganz Deutschland, auf denen sie nicht nur die Schule vorstellte, wie etwa vor dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein, sondern auch allgemeine Vorträge zu Hygiene und sozialer Verantwortung hielt. Innerhalb der Schule entwickelte sie vornehmlich die theoretischen Lehrinhalte, wie etwa zu Soziologie oder Pädagogik, und zeigte musische, literarische sowie poetische Darbietungen.
Buchhold war davon überzeugt, dass die Geschlechter – Mann und Frau – grundlegend voneinander verschieden seien, aber gleichwertig. Damit sich der weibliche Charakter vollständig entfalten könne, sei es notwendig, dass Mädchen und junge Frauen für einige Jahre in einer rein weiblichen Gruppe erzogen und gebildet werden.8 Diese Erziehung sollte neben geistigen auch praktische Aspekte enthalten. Damit kritisierte sie die Frauenbewegung ihrer Zeit als zu einseitig intellektuell und dem weiblichen Wesen nicht angemessen.9 Diesen Gedanken hat Buchhold gemeinsam mit Vogler in die Konzeption der Frauenbildungsstätte Schwarzerden überführt, damit Frauen gemeinsam in enger Gemeinschaft leben, arbeiten und lernen konnten. Im Jahr 1927 wurde die erste Klasse an Seminaristinnen aufgenommen, die die Ausbildung zur Sozialgymnastin absolvierte – ein spezifisch weiblicher Ausbildungsberuf, der auf der Verbindung zwischen gymnastischen Übungen, prophylaktischer Gesundheitslehre und sozialer Verantwortung basierte.
Buchhold und Schwarzerden im Nationalsozialismus
Während der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre setzte Marie Buchhold ihre Arbeit fort, sie unterrichtete, verfasste Aufsätze und ging auf Vortragsreisen. Auch mit der Machtübertragung an die NSDAP 1933 änderte sich dies nicht grundsätzlich, die Schule passte sich relativ schnell an die neuen politischen Verhältnisse an.
Bereits im August 1933 trat Buchhold, gemeinsam mit Elisabeth Vogler und Marta Neumayer, in die NS-Frauenschaft ein.10 1938 wurden die drei Frauen zudem Mitglieder der NSDAP und der NS-Volkswohlfahrt (NSV)11. Sie gingen davon aus, dass sich dieser Schritt nicht auf Dauer verhindern lassen würde, sodass die Leiterinnen entschieden, der Partei entgegenzukommen, um zu verhindern, dass diese die Schule Schwarzerden komplett an sich reißen würde12.
Die Nähe zu Parteiorganisationen bedeutete zudem sowohl finanzielle Sicherheit wie auch Anerkennung der Lehrmethoden.13 Buchholds Mitgliedschaft in der Frauenschaft überstieg die bloße Zugehörigkeit, denn sie wurde bereits 1934 zur Kulturreferentin ernannt und gehörte von nun an zum Kreisstab der NS-Frauenschaft14. In ihrer Rolle als Kulturreferentin lehrte sie in ihren Vorträgen nun auch rassenkundliche Aspekte. So half sie, durch ihre öffentlichen Auftritte die nationalsozialistische Ideologie zu verbreiten. Auch die Lehrinhalte in Schwarzerden wurden dementsprechend angepasst. Zumindest zeitweise wurde ein Anschluss an den Reichsmütterdienst (RMD) überlegt15. Stattdessen wurde die Schule zunehmend in die NSV eingebunden, die immer mehr Angehörige ihres Personals zur Ausbildung in die Rhön schickte.
Während des Krieges wurde Schwarzerden weitestgehend von Luftangriffen verschont und konnte, auch durch ihre Zusammenarbeit mit dem nationalsozialistischen Staat, bis zuletzt Schülerinnen ausbilden. Nach der Befreiung 1945 lag die Schule in der US-amerikanischen Besatzungszone. Die amerikanische Verwaltung entzog sofort die Genehmigung zum Unterricht, aber im Frühjahr 1946 durfte der Betrieb wieder aufgenommen werden, nachdem die Lehrinhalte auf den Stand von vor 1933 zurückgesetzt und festgestellt wurden, dass die Schule politisch unbedenklich sei. Während Vogler erneut als Schulleiterin eingesetzt wurde, legte Buchhold ihre Ämter als Leiterin und Lehrerin in Schwarzerden nieder. Von den Behörden wurde sie in Gruppe II der „Belasteten“ eingestuft16, das Verfahren gegen sie wurde jedoch aufgrund der Weihnachtsamnestie von 1948 eingestellt17. Sie nahm nie wieder ihre Arbeit in Schwarzerden auf.
Ein Leben nach Schwarzerden
Buchhold lebte nun teilweise bei ihrer Schwester in München, teilweise in Schwarzerden, da sie dort nach wie vor ein Wohnrecht hatte und von der Schule eine Rente ausgezahlt bekam. Sie nahm dort am alltäglichen Leben teil und pflegte weiterhin Kontakte zu den Bewohnerinnen, aber in die eigentliche Verwaltung und Lehre war sie nicht mehr involviert. Sie widmete sich bis zuletzt der Schriftstellerei und korrespondierte mit ihren zahlreichen Bekannten, Verwandten und Freund:innen. Sie beschäftigte sich in ihren Werken und ihren Tagebüchern sowohl mit dem NS-Regime als auch ihrer eigenen Rolle in dieser Zeit und bedauerte, dass sie sich zu dessen Zwecken hatte einspannen lassen.
Buchhold hatte seit ihrer Jugend Kontakt zu Künstler:innenkreisen. So war sie beispielsweise bekannt mit Karl Wolfskehl18. Sie selbst verfasste ebenfalls ihr Leben lang Gedichte, Theaterstücke, Aufsätze und andere Schriften, von denen ein großer Teil im Nachlass der Schule erhalten geblieben ist. Sie führte auch regen Briefverkehr mit zahlreichen Personen. Es lassen sich viele Schreiben an sie im Nachlass finden – diese bieten einen Einblick in die umfangreichen Verbindungen der Schulgründerin und Schriftstellerin. Sie interessierte sich nicht nur für Kunst und Kultur, sondern beschäftigte sich auch mit den Weltreligionen sowie esoterischen Konzepten wie Zahlenmagie oder Astrologie. Buchhold legte, wie auch ihre Freundin Elisabeth Vogler, Wert auf die Einheit von Seele, Geist und Körper und richtete daraufhin ihre Unterrichtskonzepte aus.
1983, im hohen Alter von 93 Jahren, starb Marie Buchhold in Gersfeld.
Marie Buchhold und die Schule Schwarzerden im AddF
Der Nachlass der Schule Schwarzerden umfasst auch den Nachlass Marie Buchholds. Als Gründerin war sie auf das Engste in die Schule eingebunden, doch finden sich auch zahlreiche Dokumente aus ihrem privaten Leben. Buchholds Lebenslauf zeigt eine Frau aus der Generation der Jahrhundertwende, inspiriert durch Frauenbewegung und Lebensreform, die sich vom herkömmlichen bürgerlichen Leben abwandte und gemeinsam mit anderen Frauen, gewissermaßen aus dem Nichts, eine Schulgemeinschaft aufbaute, die über acht Jahrzehnte Bestand hatte.
Ihr Ansatz zur Lösung gesellschaftlicher Probleme lag in der Ausbildung von Frauen durch Frauen, hin zu sozialer Verantwortung und Eigenverantwortung. Ihr Werdegang zeigt jedoch auch, wie anschlussfähig diese Ideen und Bestrebungen an nationalsozialistische Ziele waren, wie schnell sie im Nationalsozialismus übernommen und verzerrt werden konnten, denn Buchhold übernahm prompt und bereitwillig öffentliche Aufgaben im System. Als Konsequenz gab sie nach 1945 ihre Posten an der Schule auf, die sie so maßgeblich geprägt hatte. In den folgenden Jahrzehnten setzte sie sich als Schriftstellerin unter anderem mit dem NS-Regime auseinander.
Der Bestand im AddF bietet nicht nur die Gelegenheit, ein Frauensiedlungs- und bildungsprojekt des frühen 20. Jahrhunderts und seine Entwicklung über die Jahrzehnte zu erforschen. Marie Buchholds Nachlass, der über sechzig Jahre ihrer Schriften umfasst, eröffnet außerdem Einblicke in Themen wie die Weltanschauung der Jugendbewegung und des Wandervogels, pädagogische Theorien, Münchener Schriftsteller:innenkreise und vieles mehr. Erhalten sind zahlreiche Aufsätze, Briefe, Tagebücher, Gedichte, Theaterstücke und andere Schriftstücke.
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Zitate von Marie Buchhold
Biografie von Marie Buchhold
Fußnoten
- 1 Vgl. Lebenslauf von Marie Buchhold, in: AddF, Kassel, Sign.: NL-K-27 ; 1-2.
- 2 Vgl. Dietlind Brehme: Marie Buchhold, in: Schwarzerden/Rhön e.V. (Hrsg.): Chronik der Schule Schwarzerden. 1927‒1987, S. 12.
- 3 Weiterführende Literatur vgl.: Marion E. P. de Ras: Körper, Eros und weibliche Kultur. Mädchen im Wandervogel und in der Bündischen Jugend 1900-1933. Pfaffenweiler 1988, S. 155f.
- 4 Vgl. Henriette M. Schmitz: Sozialgymnastik. Körperarbeit als soziale Arbeit, Centaurus Verlag, 2009, S. 186.
- 5 Vgl. u. a. AddF, Kassel, Sign.: NL-K-27 ; 100-6 und NL-K-27 ; 134-2.
- 6 Vgl. Henriette M. Schmitz: Sozialgymnastik. Körperarbeit als soziale Arbeit, Centaurus Verlag, 2009, S. 187f.
- 7 Vgl. AddF, Kassel, Sign.: NL-K-27 ; 20-5 und NL-K-27 ; 47-3.
- 8 Marie Buchhold: Über Siedlung, Gemeinschaft und Schule. Sieben programmatische Abschnitte, in: Kritische Rundschau, 2. Jg., Nr. 6, 1919, AddF, Kassel, Sign.: NL-K-27 ; 134-2.
- 9 Vgl. Vortragsmanuskript von Marie Buchhold: Über Wege und Ziele unserer ländlichen Frauenbildungsstätte, 27.01.1925, in: Addf, Kassel, Sign.: NL-K-27 ; 105-5 und Marie Buchhold: Die Idee des Weiblichen, in: Das Deutsche Wort, Jg. 11, 1935, Nr. 19, S. 4ff., AddF, Kassel, Sign.: NL-K-134-2.
- 10 Vgl. Arbeitsblatt der Spruchkammer Fulda-Land vom 10.03.1948, in: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Bestand 520/14, Nr. 70540; Tagebuch der Schule Schwarzerden 1923-1938, AddF NL-K-27 ; 99-1.
- 11 Zur Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt vgl.: Herwart Vorländer: Die NSV. Darstellung und Dokumentation einer nationalsozialistischen Organisation. Boppard am Rhein, 1988. Zur Gesundheits- und Bevölkerungspolitik der NSV bes. S. 62‒77.
- 12 Vgl. Tagebuch von Marie Buchhold 1981, AddF, NL-K-27 ; 106-6.
- 13 Brief von Elisabeth Vogler an das Deutsche Frauenwerk, Abteilung Reichsmütterdienst, 16.09.1936, in: NL-K-27 ; 47-3.
- 14 Vgl. Ortrud Wörner-Heil: Von der Utopie zur Sozialreform. Jugendsiedlung Frankenfeld im Hessischen Ried und Frauensiedlung Schwarze Erde in der Rhön 1915 bis 1933, 1996, S. 516. Vgl. auch Buchholds eigenen Bericht: Marie Buchhold: Das hat uns bisher aber noch kein‘s gesagt. Aus der Arbeit einer Kulturreferentin der NS-Frauenschaft in der Rhön, in: Frauenkultur im Deutschen Frauenwerk, Heft 8 August 1936, S. 7‒8.
- 15 Brief von Elisabeth Vogler an das Deutsche Frauenwerk, Abteilung Reichsmütterdienst, 16.09.1936, in: NL-K-27 ; 47-3.
- 16 Vgl. Arbeitsblatt der Spruchkammer Fulda-Land, ohne Datum, in: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Bestand 520/14, Nr. 70540.
- 17 Vgl. Mitteilung des Hessischen Staatsministeriums betr. Weihnachtsamnestie 1948, in: NL-K-27 ; 17-1.
- 18 Vgl. Henriette M. Schmitz: Sozialgymnastik. Körperarbeit als soziale Arbeit, Centaurus Verlag, 2009, S. 185f.
Ausgewählte Publikationen
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Ras, Marion E. P. de: Körper, Eros und weibliche Kultur: Mädchen im Wandervogel und in der Bündischen Jugend, 1900-1933, Pfaffenweiler 1988.
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Schmitz, Henriette M.: Sozialgymnastik: Körperarbeit als soziale Arbeit, Freiburg 2009.
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Wörner-Heil, Ortrud: Von der Utopie zur Sozialreform: Jugendsiedlung Frankenfeld im Hessischen Ried und Frauensiedlung Schwarze Erde in der Rhön, Darmstadt 1996.