- Gedenktafel für Marga Meusel am Haus Teltower Damm 4/8 in Berlin-Zehlendorf; Lizenzgeber*innen: OFTW, Berlin
- CC BY-SA 3.0
Über Margarete ,Marga‘ Meusel
Familie und Berufsbildung
Margarete (genannt Marga) Meusel wurde am 26. Mai 1897 in Falkenberg/Oberschlesien als ältestes von vier Kindern geboren. Ihre Eltern waren der Amtsgerichtssekretär Paul Meusel und seine Frau Margarete, geborene Lämmert. Marga Meusel besuchte zwischen 1903 und 1908 die Volksschule in Kattowitz/Oberschlesien und ab 1908 in Münsterberg/Schlesien die Seminar-Übungsschule des evangelischen Lehrerseminars, eine Vorstufe zur Ausbildung als Lehrerin. Ab 1911 war sie mehrere Jahre im Haushalt ihrer Eltern tätig, von 1916 bis 1918 arbeitete sie als Bürogehilfin am Amtsgericht Wohlau. Zum Kriegsende, als „die Beamten aus dem Felde zurückkehrten“1, wurde sie entlassen und war anschließend Bürogehilfin und Privatsekretärin bei einem blinden Rechtsanwalt in Wohlau. Im Winter 1919/20 arbeitete sie im Kinderheim Warteberg bei Obernigk/Schlesien. 1920 beendete Marga Meusel ihre Ausbildung am Lehrerseminar mit der schulwissenschaftlichen Ergänzungsprüfung in Breslau. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung zur Krankenpflegerin an der Krankenpflegeschule ‚Bethesda‘ in Wohlau, die sie 1921 in Breslau im Wenzel-Hanke-Krankenhaus mit dem Examen abschloss. Im gleichen Jahr übernahm sie die Leitung des Kinderheims Michelsdorf/ Riesengebirge, bis die Einrichtung 1922 wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten geschlossen wurde.
Sozialfürsorge und Wohlfahrtspflege
Der wechselhafte berufliche Weg von Marga Meusel setzte sich fort. Im Sommer 1922 ging Marga Meusel berufsbedingt nach Westfalen, sie vertrat die Kreisfürsorgerin in Soest.
Von Oktober 1922 bis April 1923 besuchte sie den Nachschulungskursus für Wohlfahrtspflegerinnen der Sozialen Frauenschule Breslau und arbeitete in der Säuglingsfürsorge im Kreiswohlfahrtshaus ‚Gotteshilfe‘ in Rotkretscham bei Breslau. Im April 1923 bestand sie das Staatsexamen als Wohlfahrtspflegerin mit dem Schwerpunkt Gesundheitsfürsorge, und im Frühjahr 1924 übernahm sie die Vertretung der Büro- und Kassenschwester im Kinderheim Warteberg. Von Juli 1924 bis Ende September 1927 arbeitete Marga Meusel als Kreisfürsorgerin für den Kreis Hirschberg im Riesengebirge. Diese Stelle musste sie jedoch aufgeben, da sie sich an der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit in Berlin weiter qualifizieren wollte.
Studium an der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit und Leitungsfunktionen
Von 1927 bis Ende 1928 studierte Marga Meusel an der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit in Berlin-Schöneberg im zweiten Jahreskurs für Wohlfahrtspflegerinnen unter der Leitung Alice Salomons. Hier, im offenen, liberalen und diskursorientierten Klima der Akademie, erhielt Marga Meusel wichtige Impulse für ihre weitere soziale und pädagogische Arbeit. Sie lernte neben Alice Salomon auch Hilde Lion, Marie Baum, Charlotte Dietrich und Charlotte Friedländer kennen.
Ihre Examensarbeit schrieb sie zum Thema Unter welchen Voraussetzungen ist ein Arbeiterinnenheim lebensfähig. (Eine Untersuchung an bestehenden und eingegangenen Anstalten). Der Studienabschluss bedeutete für Marga Meusel formal die Möglichkeit, sich auf leitende Positionen zu bewerben, dennoch verlief die Stellensuche, obwohl das Kollegium sie dabei unterstützte, schwierig. Von 1929 bis 1931 war sie als Kreisfürsorgerin in Soldin/Neumark tätig, hier setzte sie sich für die Schaffung von Landkindergärten ein, um „der Verwahrlosung […] unter schul- und vorschulpflichtigen Kindern“2 zu begegnen.
1930 erwarb sie an der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit eine Zusatzqualifikation, durch die sie die staatliche Anerkennung als Jugendpflegerin erhielt.3 Und sie beteiligte sich an dem an der Akademie angesiedelten Forschungsprogramm zu Bestand und Erschütterung der Familie in der Gegenwart, dem sie sich aus einer dezidiert weiblichen Perspektive der Erforschung und Weiterentwicklung von Kultur- und Sozialpolitik verschrieben hatte. 1933 erschien die von Marga Meusel durchgeführte Untersuchung Lebensverhältnisse lediger Mütter auf dem Lande4, für die mehr als hundert ledige Mütter von Meusel befragt wurden. Ausgehend vom Kindeswohl und einer engen Mutter-Kind-Beziehung forderte sie die Stärkung mütterlicher Selbstständigkeit und die Möglichkeit zur Erwerbstätigkeit. Meusel argumentierte hier, mit hoher Empathie für Benachteiligte, anhand von Praxiserfahrungen und verknüpfte ihr christliches Weltbild mit modernen sozialpolitischen Forderungen. Im Ergebnis entwickelte sie konkrete und lebensnahe Bewältigungsansätze für ledige Mütter auf dem Lande.5 1932 wurde Marga Meusel Leiterin des Evangelischen Bezirkswohlfahrtsamtes e.V. der Inneren Mission im Burckhardthaus in Berlin-Zehlendorf, das nach 1940 kurz ‚Bezirksstelle der Inneren Mission‘ hieß. Sie leitete das Amt bis 1953, also auch während des Zweiten Weltkriegs und im ersten Jahrzehnt des geteilten Berlins. In Marga Meusels Sprechstunden, etwa 1.800 pro Jahr, kamen vor allem Frauen in sozialen Notlagen, Schwangere und ledige Mütter, Suizidgefährdete, Straffällige, Arbeits- und Obdachlose und Alkoholiker und nach 1933 zunehmend eugenisch und rassisch Verfolgte.
Persönlicher Widerstand im Nationalsozialismus
Marga Meusel, im Protestantismus verankerte Christin, lehnte den Nationalsozialismus und seine Rassenideologie von Anfang an ab. Sie wurde beruflich in der Zehlendorfer Bezirksstelle früh mit den Problemen der jüdischen Bevölkerung nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten und der fehlenden Unterstützung der Kirche der sogenannten ‚nichtarischen‛ Christen konfrontiert. Eine persönliche Betroffenheit entstand durch die mit ihr befreundete Charlotte Friedenthal, Geschäftsführerin der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit, und ihre Lehrerinnen Alice Salomon und Hilde Lion. Bereits Anfang 1933 plante Marga Meusel mit Charlotte Friedenthal die Einrichtung einer zentralen Beratungsstelle für Christen jüdischer Herkunft. Im Mai 1935 erarbeitete sie die Denkschrift Über die Aufgaben der Bekennenden Kirche an den evangelischen Nichtariern, um gegen die Verfolgung von Menschen jüdischer Abstammung zu protestieren. Die Denkschrift fand wenig Beachtung. Die 1935/36 in der Bekennenden Kirche anonym verbreitete Denkschrift Zur Lage der deutschen Nichtarier, als deren Verfasserin Margarete Meusel lange galt, wird inzwischen der Widerstandskämpferin Elisabeth Schmitz zugerechnet.6
Nach weiteren vergeblichen Unterstützungsanfragen bei offiziellen Kirchenvertretern begann Marga Meusel im Stillen zu wirken. Jüdische Fürsorgerinnen, die nicht mehr im öffentlichen Dienst arbeiten durften, nahm sie zwischen 1933 und 1936 als Praktikantinnen oder ehrenamtliche Mitarbeiterinnen auf. Charlotte Friedenthal, 1933 als sogenannte ‚Nichtarierin‛ entlassen, wurde 1934 ihre unbezahlte Mitarbeiterin. An Pfarrer Martin Niemöller, ihren Vorgesetzten, schrieb sie im Juni 1937: „Wenn man uns mal an die Karre fährt: Ich erwarte nicht, dass Sie uns rauspauken. Ich stehe für das, was ich tue, grade.“7 Mit Beginn der Deportationen 1941 unterstützte sie Frauen, die von Deportationen und Vernichtungslagern bedroht waren, mit Lebensmitteln, Kleidung und anderen lebensnotwendigen Dingen und vermittelte gefälschte Identitäten in sichere Unterkünfte, wie Heime und Pfarrhäuser. Im März 1943 wurde Margarete Meusel aufgrund antinazistischer Äußerungen denunziert, doch die Denunziantin konnte zum Widerruf bewegt werden.
Nach Kriegsende
Nach dem Krieg schwieg Margarete Meusel zunächst über die NS-Zeit. Über den restaurativen kirchlichen Kurs nach Kriegsende zeigte sie sich tief enttäuscht. Bereits im Mai 1945 setzte sie ihre Arbeit in Berlin fort, die Nachfrage nach Unterstützung war groß. Doch Margarete Meusel war in Folge der NS-Zeit und aufgrund ihrer Tätigkeit physisch und psychisch erschöpft. Sie versuchte, eine andere Berufstätigkeit zu finden oder ihrer Arbeit im Sinne einer christlichen Sozialarbeit andere Impulse zu geben, allerdings vergeblich. Margarete Meusel starb am 16. Mai 1953 in Berlin. Nach ihrem frühen Tod geriet sie zunächst weitgehend in Vergessenheit.
Bedeutung und Ehrungen
Margarete Meusels vielfältiger, praktisch wie theoretisch und engagiert ausgefüllter beruflicher Weg steht beispielhaft für Biografien von Frauen, die in den Anfangsjahren der Sozialen Arbeit um ihre Professionalität und gesellschaftliche Anerkennung kämpften. Ihr Einsatz für verfolgte Frauen im Nationalsozialismus ist ein eindrucksvolles Beispiel für individuellen Widerstand. Die Gedenkstätte Yad Vashem in Israel würdigte Marga Meusel 2006 als Gerechte unter den Völkern und verewigte ihren Namen auf der Ehrenwand im Garten der Gerechten.
Das Land Berlin ehrte Margarete Meusel mit einer Gedenktafel an ihrer ehemaligen Arbeitsstätte am Gemeindehaus der Evangelischen Paulusgemeinde Berlin-Zehlendorf.
Die Grabstätte auf dem Zehlendorfer Friedhof erhielt 1992 den Status einer Berliner Ehrengrabstätte. Und am 30. August 2011 wurde eine bis dahin namenlose Grünanlage in Berlin-Zehlendorf in Marga-Meusel-Platz benannt. In Datteln führt die Marga-Meusel-Straße ihren Namen. Ebenso wurde das Gemeindehaus der evangelischen Kirchengemeinde in Weiterstadt bei Darmstadt nach ihr benannt.
Netzwerk von Margarete ,Marga‘ Meusel
Zitate von Margarete ,Marga‘ Meusel
Biografie von Margarete ,Marga‘ Meusel
Fußnoten
- 1 Alice Salomon Archiv, Bestand D2.08, VI-X, Lebenslauf Margarete Meusel.
- 2 Meusel, Margarete: Der Landkindergarten, in: Die christliche Kinderpflege, 40. Jg.,1932, H. 3, S. 65‒74.
- 3 Bookhagen, Rainer: Die evangelische Kinderpflege und die Innere Mission in der Zeit des Nationalsozialismus, Mobilmachung der Gemeinden, Bd. 1: 1933 bis 1937, Göttingen 1998, S. 584.
- 4 Meusel, Marga: Lebensverhältnisse lediger Mütter auf dem Lande, Eberswalde 1933.
- 5 Buss, Hansjörg: Couragierter Einsatz für die Christen jüdischer Herkunft: Margarete Meusel, in: Gailus, Manfred / Vollnhals, Clemens (Hg.): Mit Herz und Verstand: Protestantische Frauen im Widerstand gegen die NS-Rassenpolitik, Göttingen 2013, S. 129–146, hier S. 131.
- 6 Leichsenring, Jana: Frauen und Widerstand, Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e. V., Münster 2003, S. 62.
- 7 Marga Meusel in einem Brief vom 3. Juni 1937 an Pfarrer Martin Niemöller. Zitiert in: Ludwig, Hartmut: Eine „Gerechte unter den Völkern“. Margarete Meusel (1897–1953), in: Junge Kirche, o. Jg., 2007, H. 3, S. 61.
Ausgewählte Publikationen
-
Meusel, Margarete: Turnkursus im Jugendhof Hassitz, in: Soziale Berufsarbeit 1929/H. 5/&, S. 48–49.
-
Meusel, Margarete: Die Wahrung der Familiengemeinschaft von Mutter und Kind als Aufgabe der Unehelichenfürsorge, in: Die Innere Mission im Evangelischen Deutschland, 6 (1930), S. 173-180.
-
Meusel, Margarete: Die Beratungsstelle für Vormünder als Aufgabe der konfessionellen Wohlfahrtspflege, in: Evangelische Jugendfürsorge, 7/9 (1931), S. 84-88.
-
Meusel, Margarete: Der Landkindergarten, in: Die christliche Kinderpflege, 40. Jg. 3(März)/1932, S. 65-74.
-
Meusel, Margarete: Lebensverhältnisse lediger Mütter auf dem Lande, Eberswalde 1933.
-
Meusel, Margarete: Menschen, mit denen wir leben. Aus der Sprechstunde eines Ev. Bezirkswohlfahrtsamtes, in: Die Rundschau. Mitteilungsblatt der IM, 4 (1935), S. 49-51.
-
Meusel, Margarete: Georg Müller. Ein Vater der Waisen, in: Christliche Kinderpflege 1936/H. 9, S. 252–258.
-
Meusel, Margarete: Vom seligen Sterben, Gütersloh 1948.
-
Bookhagen, Rainer: Die evangelische Kinderpflege und die Innere Mission in der Zeit des Nationalsozialismus. Mobilmachung der Gemeinden; Band 1: 1933 bis 1937;, Göttingen 1998.
-
Breuer, Julietta: Marga Meusel. Verweigerte Hilfe in der Bekennenden Kirche. Quelle: In: Geschichte lernen, 7 (1994) 40, S. 32–36.
-
Buss, Hansjörg: Couragierter Einsatz für die Christen jüdischer Herkunft: Margarete Meusel, in: Gailus, Manfred / Vollnhals, Clemens (Hg.): Mit Herz und Verstand: Protestantische Frauen im Widerstand gegen die NS-Rassenpolitik, Göttingen 2013, S. 129–146.
-
Greschat, Martin: „Gegen den Gott der Deutschen“. Marga Meusels Kampf für die Rettung der Juden. In: Büttner, Ursula/ Greschat, Martin (Hg.): Die verlassenen Kinder der Kirche: Der Umgang mit Christen jüdischer Herkunft im »Dritten Reich«, Göttingen 1998, S. 70–85.
-
Köhler, Heike: Meusel, Marga. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL), Band 5, Herzberg 1993, Sp. 1407–1409.
-
Leichsenring, Jana: Frauen und Widerstand, Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e. V., Münster 2003.
-
Ludwig, Hartmut: Eine „Gerechte unter den Völkern“ Margarete Meusel (1897–1953), in: Junge Kirche 3. 2007, S. 61.
-
Margarete (Marga) Meusel, in: Widerstand!? Evangelische Christinnen und Christen im Nationalsozialismus. (Quellen und Texte zu Marga Meusel).
-
Reinicke, Peter: Margarete Meusel, in: Maier, Hugo (Hg.): Who is who der Sozialen Arbeit, Freiburg 1998, S. 394-395.
-
Reinicke, Peter: Margarete Meusel (1897-1953), in: Deutsches Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI): Soziale Arbeit. Zeitschrift für soziale und sozialverwandte Gebiete, 61. Jahrgang/ 12/2012, S. 476-477.