Klara Marie Faßbinder Geboren am in Trier Gestorben am in Berkum bei Bonn

Über Klara Marie Faßbinder

Klara Marie Faßbinder war eine aufmerksame Beobachterin ihrer Zeit, eine engagierte und kritische Weltbürgerin, eine selbstbewusste Frau, eine beharrliche Friedenskämpferin und – last but not least – eine glaubensstarke Katholikin.

Katholische Werte

Klara Marie Faßbinder kam 1890 in Trier zur Welt. Sie wuchs in einer gläubigen, katholischen und kaisertreuen Lehrerfamilie als fünftes von sieben Kindern auf. Wie sehr die Beschäftigung mit religiösen Themen sie geprägt hatte, verdeutlichen Erlebnisse aus ihrer Kindheit und Jugend; auch Heiligenlegenden begeisterten das Mädchen. 1896 zog die Familie nach Brühl, wo der Vater eine Stelle am Lehrerseminar antrat. Während einer Religionsstunde an der Höheren Töchterschule, erzählte Faßbinder rückblickend, habe sie ein Schlüsselerlebnis gehabt, das ihre Wertvorstellungen formte: Der von der Schülerin geschätzte Kaplan erzählte vom Heiligen Thomas von Aquin. Dieser fordere, der Mensch müsse der Stimme seines Gewissens folgen, möge sie ihn in Irrtum führen oder nicht. Selbst wenn man deshalb exkommuniziert würde. „Der Sinn des Wortes ‚Gewissen‘ ist mir damals unauslöschlich in die Seele gesenkt und ist eine Richtschnur für mein ganzes Leben geworden.“1

Von Wissensdurst und Bildungshunger

Als Kind mit schneller Auffassungsgabe eckte Faßbinder des Öfteren bei Mitschülerinnen und Lehrerinnen an. Sie fasste früh den Entschluss, Lehrerin zu werden, „damit meine Kinder einmal eine gerechte Lehrerin bekämen“.2 Sie folgte damit der Familientradition, denn neben ihrem Vater waren auch ihre Großväter Lehrer gewesen. Gleichzeitig ergriff sie damit eine der wenigen Möglichkeiten für Frauen in Preußen, akademische Bildung zu erlangen. Ab 1906 besuchte Faßbinder das Höhere Lehrerinnenseminar in Koblenz und schloss es 1909 mit dem Lehrerinnenexamen für mittlere und höhere Mädchenschulen ab. Anschließend arbeitete sie drei Jahre an Höheren Mädchenschulen in Darmstadt und Bonn. Während dieser Jahre verbesserten sich die Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen: 1908 wurden Frauen in Preußen zum Abitur und Studium zugelassen. Hierfür hatten Eltern, Lehrerinnen, Lehrer und Frauenverbände jahrelang gekämpft. Nun entschloss sich Faßbinder, gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Marie das geforderte einjährige Vorbereitungsjahr auf das Abitur zu absolvieren, um 1913 als Externe in Münster das Abitur ablegen zu können. Dann schrieb sie sich an den Universitäten in Bonn und München für Deutsch, Geschichte und Französisch ein. Sie studierte begeistert französische Sprachwissenschaften und ging während ihrer Münchener Zeit dreimal in der Woche ins Theater. In diese Herrlichkeit platzte der Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Die patriotische Pflicht

Der Krieg leerte die Hörsäle der Universitäten. Im Sommer 1916 entschloss sich Faßbinder schweren Herzens, ihr Studium vorzeitig zu beenden, um zur Verteidigung des Vaterlandes beizutragen. Ihre patriotische Haltung ließ keine andere Entscheidung zu. Sie bestand das Staatsexamen 1917 mit Auszeichnung und absolvierte ihr Referendariat an einer Kölner Mädchenschule. Dann trat sie am 1. Mai 1918 ihre Arbeit beim vaterländischen Hilfsdienst in der Abteilung für Fortbildung und Unterricht an. Ihr Einsatzort war das Hauptquartier der 3. Armee bei Sedan in den französischen Ardennen. Zur Stärkung des Kampfgeistes der Truppe hielt Faßbinder für Soldaten Vorträge über Geschichte und Nationalökonomie, organisierte Kirchenkonzerte und Diskussionsabende, stellte eine kleine Leihbücherei zusammen und schrieb Artikel für den Champagnerkameraden. Sie war trotz ihres Französischstudiums zutiefst von der moralischen Überlegenheit der Deutschen gegenüber dem Erbfeind überzeugt. „Meine französischen Studien hatten mich in keiner Weise für das Verständnis des Volkes und des Landes bereit gemacht. Das Land hat sich mir erst viel später in seinem schier unerschöpflichen Reichtum erschlossen. Das Volk in jenem Sommer 1918. Unverdientermaßen. Denn was mich dorthin führte, war eher Hochmut.“3

Ent-täuschungen

Nahe der Front erwachte Faßbinder jäh aus ihren patriotischen Träumen. Sie traf Soldaten, die nicht mehr an den Sieg glaubten. Von einer moralischen Überlegenheit der deutschen Armee konnte keine Rede sein. In zahlreichen Gesprächen beeindruckten sie einfache Soldaten mit ihren politischen Einsichten. In ihr regte sich Protest. Sie kam langsam zu der Überzeugung, dass Soldaten ihr Leben für einen nutzlosen und unmenschlichen Krieg einsetzten. Außerdem erhielt der sogenannte Erbfeind ein konkretes Gesicht: Französische Familien wandten sich häufig an Faßbinder mit der Bitte, zu übersetzen und zu vermitteln, wenn es Konflikte mit den Besatzern gab. So entstanden freundschaftliche Kontakte, die Faßbinders Haltung veränderten: „Eine warme Welle überflutete mein Herz. Wie in einem Blitzschlag kam mir mein Hochmut zu Bewußtsein, aus dem heraus ich bisher den Franzosen geholfen hatte. Das Wort vom ‚Erbfeind‘, das meine Kindheit und Jugend beherrscht hatte, war wie weggeblasen.“4 1919 lehnte sie die Annahme des Eisernen Kreuzes für Kriegsverdienste ab.5

Frauenemanzipation

Vor dem Ersten Weltkrieg hielt Faßbinder es mit Goethe: „Politisch Lied, ein garstig Lied“ und zog es vor, sich von der Politik fernzuhalten. Es kümmerte sie auch wenig, dass Frauen in Deutschland kein Wahlrecht besaßen. Nach dem Krieg hatte sich ihre Haltung dazu verändert.6 Sie engagierte sich in Frauenverbänden, dem Verein katholischer deutscher Lehrerinnen, dem Katholischen Deutschen Frauenbund (in beiden bereits 1909) und dem Deutschen Staatsbürgerinnenverband (1926).

Im Saargebiet zur Völkerbundzeit

Nach dem Bankrott der Zivilisation im Ersten Weltkrieg suchte Klara Marie Faßbinder ihre moralische Regeneration in der Lektüre christlicher AutorInnen, wie Elisabeth Langgässer, Gerdrud von Le Fort, Romano Guardini, Romain Rolland und Paul Claudel. 1919 nahm sie in Bonn ihr geliebtes Studium wieder auf. Sie promovierte über den Dichter Rimbaut de Vaqueiras und erhielt dafür ein summa cum laude. Anschließend absolvierte sie die Assessorprüfung, um eine höhere Beamtenlaufbahn antreten zu können. 1920 ging Faßbinder nach Saarbrücken, also wieder in die Nähe Frankreichs und in die ihrer Eltern, denn 1914 war ihr Vater nach St. Wendel versetzt worden. In Saarbrücken kehrte sie in ihren Beruf als Lehrerin zurück. 1921 ergriff sie die Gelegenheit, an einem neuen Platz zu wirken. Sie wurde Landessekretärin des neu gegründeten Landesverbands des Bühnenvolksbunds (BVB), einer „Vereinigung zur Theaterpflege in christlich deutschem Volksgeist“. Dieser sah Theater als Orte der Volksbildung an und versuchte, die Arbeiterschaft über verbilligte Eintrittskarten in die Theater zu locken. Damit versuchten die Kirchen, aktiv in die Gesellschaft hineinzuwirken.7 Faßbinder setzte ganz bewusst deutsche Stücke auf den Spielplan. Vor jeder Aufführung hielt sie eine Einführung und genoss, wie sie sagte, den Kontakt mit dem „Proletariat“.8 Privat verfolgte sie ihr Ziel ebenfalls sehr offen und eigenwillig: Alle vierzehn Tage lud Faßbinder einen Kreis Deutscher und Angehöriger der Völkerbundregierung zu einem guten Essen ein. So lernten diese sich kennen und konnten, in angenehmer Atmosphäre, auch über die Zukunft des Saargebiets sprechen. Hier zeigte sich bereits Faßbinders Talent, zwischen Konfliktparteien zu vermitteln, das sie nach dem Zweiten Weltkrieg charakterisieren und auszeichnen sollte.9 Neben ihrer Arbeit für den BVB engagierte sich Klara Marie Faßbinder auf zahlreichen nationalen wie internationalen Frauenfriedenstagungen. 1932 wurde sie zur Vize-Reichsvorsitzenden des Friedensbunds Deutscher Katholiken gewählt. Der Austausch mit französischen Katholiken und Schriftstellern war ihr besonders wichtig. Sie übersetzte Paul Claudel, schrieb Bücher über das literarische Leben in Frankreich und trug so zur Annäherung von Deutschen und Franzosen bei. 

1935 und die Folgen

Diese Annäherung passte den neuen Machthabern nicht. Faßbinder war sich dessen bewusst und stimmte 1935 dennoch für den Anschluss des Saargebiets an Deutschland, dessen nationalsozialistische Regierung sie entschieden ablehnte. Die deutsch-patriotischen Gefühle der Saar-Bevölkerung waren für den Ausgang der Volksabstimmung entscheidend. Nach dem Anschluss an NS-Deutschland wurde Faßbinder fristlos entlassen, der BVB fiel der Gleichschaltung zum Opfer und als Lehrerin erhielt sie Berufsverbot an öffentlichen Schulen. Zunächst hielt sich Faßbinder mit Übersetzungen Claudels über Wasser. Ab 1939 leitete sie eine kleine katholische Mädchenrealschule in Horrem bei Köln und 1945 übernahm eine Professur für Geschichte an der Pädagogischen Akademie in Bonn.

Kalte Zeiten

Als Adenauer 1950 mit der Wiederbewaffnung Deutschlands begann, weckte er Faßbinders Kampfgeist. Sie arbeitete fortan in der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung, deren „Mitbegründerin, Herz und Motor“ sie laut ihrer Mitstreiterin Elly Steinmann war.10 1952 war sie Mitbegründerin der Gesamtdeutschen Volkspartei und warb beharrlich für die Verständigung zwischen Ost und West. Sie demonstrierte gegen die atomare Bewaffnung und den Vietnamkrieg. Zu diesem Zweck führte sie Gespräche mit dem Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl, dem sowjetischen Botschafter Wladimir Semjonow, dem Moskauer Metropoliten Nikolai, dem Patriarchen von Venedig, Roncalli, Vertretern der UNO und vielen anderen. Sie suchte das Gespräch, wo es zwischen offiziellen Stellen schwierig geworden war. Aber die Fronten waren verhärtet und die bundesdeutsche Regierung traute Faßbinder nicht: „Unter Kommunisten tritt sie als fromme Katholikin auf, und bei den Katholiken ist sie eine stramme Kommunistin. Das ist nicht zu überbietenden (sic!) Falschheit“, gab Bundespräsident Lübke gegenüber Journalisten zum Besten.11 1953 wurde sie erneut ihres Amtes enthoben und ohne Rechtsgrundlage in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. 1966 verhinderte Bundespräsident Lübke die Verleihung des Ordens „Les Palmes académiques“ durch den französischen Präsidenten de Gaulle. 1969 stimmte Bundespräsident Heinemann schließlich zu. Für viele Zeitgenossen war Faßbinder mit ihrer Beharrlichkeit und Tapferkeit ein großes Vorbild. Hiervon legt nicht zuletzt die Festschrift zu ihrem 80. Geburtstag Zeugnis ab, zu dem zahlreiche prominente Weggefährten aus Religion, Politik und Literatur Beiträge schrieben.12

Stand: 27. Februar 2020
Verfasst von
Karin Maaß

studierte Kunstgeschichte und Französische Philologie an der Universität Trier. Sie arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Trier, dem Staatlichen Konservatoramt des Saarlandes, dem Saarbrücker Frauenbüro, der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz und freiberuflich als Museumspädagogin. Seit 2007 ist sie Lehrerin für Bildende Kunst und Französisch.

Empfohlene Zitierweise
Karin Maaß (2020): Klara Marie Faßbinder, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/klara-marie-fassbinder
Zuletzt besucht am: 18.04.2024

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Zitate von Klara Marie Faßbinder

Biografie von Klara Marie Faßbinder

Geburt in Trier

1906 - 1909

Höheres Lehrerinnenseminar Koblenz

1909 - 1913

Lehrtätigkeit in Darmstadt

1913

Abitur in Münster

1913 - 1919

Studium: Französisch, Deutsch und Geschichte an den Universitäten München und Bonn, Staatsexamen „für das Lehrfach an höheren Schulen“ Bonn
Studienreferendarjahr Köln, Promotion in der Romanistik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn

Mai 1918

Frontbesuch über den Vaterländischen Hilfsdienst: Fassbinder wird zu einer überzeugten Pazifistin und gelangt zu der Auffassung, dass Frauen aktiv politisch tätig werden müssen

1920 - 1935

Lehrerin an der Cecilienschule, später Lyzeum II, ab 1921 Leiterin des Bühnenvolksbundes, der Vereinigung zur Theaterpflege in christlich deutschem Volksgeist

1939 - 1974

Leitung einer kleinen katholischen Höheren Privatschule für Mädchen

1945 - 1953

Professorin für Geschichte an der Pädagogischen Akademie Bonn bis zum Berufsverbot; 1955 Beurlaubung bis zur Verrentung

Tod in Berkum bei Bonn

Fußnoten

  • 1Faßbinder, Klara Marie: Begegnungen     und Entscheidungen. Blätter aus einem Lesebuch, Darmstadt 1961, S. 9.
  • 2Ebenda, S. 19.
  • 3Ebenda, S. 46.
  • 4Ebenda, S. 59.
  • 5Hervé, Florence, in: Junge Welt, 13. Februar 2015, S. 15.
  • 6Faßbinder: Begegnungen, S. 91.
  • 7Faßbinder, Klara Marie: Die Bestrebungen zur Reform des Theaters und der christliche Volksteil Deutschlands, in: Pädagogische Post, 1922, H. 41, S. 635 ff, hier S. 636, Zugriff am 11.6.2017 unter http://www.digizeitschriften.de/dms/img/?PID=1003137911_01|LOG_0678&ph ysid=PHYS_0639.
  • 8Faßbinder, Erinnerungen, S. 82.
  • 9Ebenda, S. 99.
  • 10Steinmann, Elly: Die Lehrmeisterin ein Porträt der Klara Marie Fassbinder, in: Hervé, Florence (Hg.): Brot und Rosen. Geschichte und Perspektive der demokratischen Frauenbewegung, Frankfurt a. M. 1979, S.181–183, hier S. S. 181.
  • 11Posser, Diether: Anwalt im Kalten Krieg. Deutsche Geschichte in politischen Prozessen 1951-1968, Bonn 2000, S. 75.
  • 12Baur, Hannecläre / Fölsing, Günter: Das politische Engagement der Christen heute. Zum 80. Geburtstag von Klara Marie Fassbinder, Bonn 1970.