Über Ingund Mewes
Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus
Ingund Mewes (geboren am 5. Mai 1934 in Hannover) wuchs in einer kulturell interessierten Familie auf. Ihr Vater Dr. Hermann Mewes war Architekt, die Mutter Anna Lintner Hausfrau. Zu Hause wurde musiziert, der Vater malte, mit der Mutter besuchte sie gern das Theater.1 Ihr Großvater, der vor 1933 die Sozialdemokratische Partei gewählt hatte und – obwohl von Beruf Lehrer– aus der Kirche ausgetreten war, beeinflusste sie stark, vermittelte ihr schon früh ein ökologisches Bewusstsein und war „der erste emanzipierte Mann, der mir über den Weg gelaufen ist“.2 Beide Eltern waren Gegner des Nazi-Regimes.3
Ingund Mewes besuchte unter anderem die Elisabeth-Granier-Mädchenschule mit mathematisch-naturwissenschaftlichem Zweig in Hannover, wo sie 1951 den Schulabschluss machte.4 Eine „katholische Nazilehrerin“ gab ihr die ersten Schläge, weil sie „zum Hitlergruß den Arm abgestützt hatte.“5 Die Verleugnung der TäterInnenschaft und das Schweigen der Nachkriegsgeneration empörten bereits die Jugendliche. „Ganz schlimm war es aber für mich nach Kriegsende, als ich dann sehr bewußt erlebte, wie angesichts der Amerikaner innerhalb von einer Minute die größten Nazis umkippten. […] Da habe ich richtige Angst gekriegt vor Menschen.“6 Ihre eigenen Kindheitserfahrungen im Bunker,7 Drohungen durch eine BDM-Führerin (Einschaltung der Ordnungs-Polizei wegen Fehlens beim BDM-Dienst) noch im März 1945 und die Erzählungen der Eltern und des Großvaters haben aus Ingund Mewes „eine chronische Pazifistin auf Lebenszeit“ gemacht8; Ingund Mewes wurde später, wie viele politisch Denkende ihrer Generation, dezidierte Antifaschistin.
Bühnenjahre
Mit 16 bewarb sich Mewes an der Staatlichen Akademie für Musik & Theater in Hannover,9 absolvierte bis 1954 die Ausbildung und erhielt gleich ein festes Engagement am Staatstheater Hannover. Von 1956 bis 1959 arbeitete sie am Stadttheater Hildesheim und bis 1962 an den Städtischen Bühnen Dortmund.10
Hier hatte sie unter anderem große Erfolge als ‚Heilige Johanna‘ von George Bernard Shaw. Ingund Mewes erhielt „Fernseh-Angebote, außerdem war ich beim Funk tätig, weil ich Plattdütsch snacken kann“.11
Berufstätige Mutter
Ingund Mewes hatte 1959 geheiratet und bekam kurz darauf die erste Tochter: Dorothea, genannt Dodo. Mit ihrem Mann führte sie berufsbedingt eine Wochenendehe. Das Dasein als weitgehend alleinerziehende Mutter bei wenig kinderfreundlichen Arbeitsbedingungen belasteten Ingund Mewes sehr.12
Während sie 1962 bis 1966 ein Engagement am Grenzlandtheater in Aachen hatte, bekam sie 1964 ihre zweite Tochter, Christine (Tine).13 1966 zog die Familie gemeinsam nach Porz (später zu Köln gehörig), unter anderem weil hier der Sitz des WDR lag. Ingund Mewes arbeitete sich bis zur ersten Sprecherin im Aktuellen Sprecherdienst des WDR hoch, wirkte in zahlreichen Hörspielen und Features mit und war die erste Frau, die im Fernseh-Magazin Monitor einen Kommentar sprechen durfte - zu einer Zeit, in der Frauen als Nachrichtensprecherinnen und Sprecherinnen von Sachtexten noch nicht etabliert waren.
Für mehrere Jahre engagierte sie sich als Vorsitzende der (Deutschen Kommunistischen Partei-nahen) Porzer Gesellschaft für Politik und Bildung, einer Position, in der sie Kabarett-KünstlerInnen und Schriftsteller nach Porz holte (zum Beispiel Carl-Heinz Schroth, Hanns Dieter Hüsch, Franz-Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüpp, Kabarett ‚Die Machtwächter‘, Köln und Günter Grass).14 Bei der Welturaufführung des Stückes ‚Ansichten eines Clowns‘ am Schauspiel Düsseldorf, deren Inszenierung Heinrich Böll persönlich betreute, ergab sich eine herzliche Bekanntschaft mit Annemarie und Heinrich Böll. 1968 wurde sie Teil des politischen Kabaretts ‚Die Snobtimisten‘ (Bensberg, bis 1974).15
Laut Ingund Mewes begann in Porz die schlechtere Zeit ihrer Ehe.16 Sie trennte sich von ihrem Mann und zog mit den Töchtern aus. 1975 ließ sie sich scheiden.
Feministische Aktionen
In den 1970er-Jahren brachte sich Ingund Mewes – unter anderem aufgrund verschiedener selbst erlebter Diskriminierungen und Gewalterfahrungen – in die noch junge feministische Bewegung in Köln ein und brillierte mit ihren rhetorischen Fähigkeiten. Sie kämpfte in der ‚Aktion 218 Köln‘ für die Streichung des § 218 aus dem Strafgesetzbuch. Zur Aktion 218 kam sie als Betroffene, weil sie sich selbst mehreren Abtreibungen unterzogen hatte – mehr als zwei Kinder konnte sich die Familie damals nicht leisten. Sie hatte die Aborte erlitten, wie sie später in einem Interview berichtete. „Ich selbst habe viermal abtreiben müssen, und das unter ganz schaurigen Umständen. So, daß ich einmal fast gestorben wäre.“17
Mitte Juli 1971 brachte sie gemeinsam mit 29 anderen Frauen die 86.000 Unterschriften gegen den § 218 nach Bonn zum Justizminister Gerhard Jahn.18
Ingund Mewes wurde wegen ihrer Fähigkeit zum Sprechen in einer großen Öffentlichkeit und ihres Charismas wiederholt gebeten, die Frauengruppe zu repräsentieren. So verfasste sie für die bundesweite Initiative Aktion 218 eine Rede, die sie am 18. September 1971 auf der Jahreshauptversammlung der niedergelassenen Ärzte Deutschlands in Köln (Gürzenich) halten wollte.19 Den Feministinnen wurde aber der Zugang zum Tagungsraum verwehrt, auch hatten sich die meisten ÄrztInnen bereits nach Hause begeben.
Im Oktober 1971 beteiligte sich die zweifache Mutter an einem der berühmten Politischen Nachtgebete zum Thema § 218, ‚JA zum Leben, nein zu § 218‘, und bereitete diese zwei Abende mit vor.20 Auf Vorhaltungen gegen die Parole ‚Mein Bauch gehört mir‘ entgegnete sie, die Frau werde ‚zur Leibeigenen der Männer‘ herabgewürdigt: „Mein Bauch gehört dem Staat, mein Bauch gehört der Kirche – das sind doch Ansichten, die den Frauen seit Jahrtausenden suggeriert werden“. 21
Am 20. November 1971 sprach sie auf der west-europaweit an verschiedenen Schauplätzen und so auch in Köln organisierten Kundgebung zur Abschaffung der Abtreibungsgesetze.22 Simone de Beauvoir sprach in Paris vor ca. 2.000 Frauen,23 in Köln hielt Ingund Mewes die zentrale Rede bei der Abschlusskundgebung auf dem Offenbachplatz vor der Oper.24 Sie war damit eine der herausragenden Persönlichkeiten dieser frühen Kämpfe um das Selbstbestimmungsrecht der Frau in Köln.
In den folgenden Jahren baute sich Ingund Mewes eine Existenz als feste Rundfunksprecherin beim WDR auf, arbeitete aber auch für andere ARD-Anstalten und die Deutsche Welle.25 Nach der Scheidung kümmerte sie sich zudem stärker um Lokalpolitik, die das Schulleben der Töchter betraf.26 Sie wurde Klassenpflegschaftsvorsitzende, trat lautstark gegen Formaldehyd in der Gesamtschule auf und initiierte den ersten längeren Schulstreik mit.27
Sie wirkte an Stücken an dem neu gegründeten Theater Comedia Colonia (heute Comedia Köln) im Bereich freies Kinder- und Jugendtheater mit, so 1983 bei ‚Das Tagebuch der Anne Frank‘.
1985 übernahmen Ingund Mewes und ihre Tochter Dorothea von einem Freund eine kleine Bühne im Hinterhof der Zülpicher Straße 28 und gründeten das Piccolo-Theater. Hier konnte sie ihr feministisch-pazifistisches Engagement mit ihrem Beruf zusammenbringen. Seit der Premiere am 22. Februar 1986 widmete sie dem Haus ihre ganze Kraft, nahm nur noch gelegentlich Sprecherinnenaufträge an anderen kleinen Bühnen an.
Sie arbeitete anhaltend bis zu ihrer Pensionierung bei Hörspielproduktionen für den WDR mit.28 Noch im höheren Alter war Ingund Mewes als Rezitatorin gefragt, nahm unter anderem mit Renan Demirkan oder Christian Brückner Hörkassetten auf.29
2004 feierte Mewes ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum mit einem großen Fest. In die Existenzweise als Schauspielerin und Regisseurin legte „sie ihre ganze Energie und Leidenschaft“ und – wie es in einem Nachruf heißt – „dafür legte sie sich auch schon mal mit ihren Mitmenschen an“.30
Der Kampf um den Erhalt des Theaters wie auch ihre eigene prekäre Lebensweise, zudem der drohende Verlust der Wohnung, zermürbten und schwächten sie zunehmend, sie erkrankte an Krebs. Die agile Frau starb am 18. Februar 2005 im Alter von 70 Jahren. Klaus Jürgen Dilewsky vom Förderverein des Theaters in seinem Nachruf31: „Wir trauern um eine Humanistin, Feministin und Pazifistin als Schauspielerin, Kollegin und Freundin.“ Die geplante Feier zum 20-jährigen Bestehen des Theaters fand dennoch am 26. Februar 2005 statt.
Ihr Lebenswerk – gemeinsam mit den Töchtern gestartet – lebt in Produktionen fort, die die Töchter noch unter dem Namen Piccolo-Theater anbieten.
Ehrungen
Ingund Mewes war die zweite Preisträgerin des Inge-von-Bönninghausen-Preises ‚Sternschnuppe‘, der zwischen 1998 und 2010 zweijährlich vergeben wurde.32
Netzwerk von Ingund Mewes
Zitate von Ingund Mewes
Biografie von Ingund Mewes
Fußnoten
- 1 Linnhoff, Ursula / Stolzenburg, Marit: Rinderschmorbraten! Kann sie das überhaupt? Die Mutter – Ingund Mewes, Schauspielerin und Rundfunksprecherin, Mitbesitzerin und -gründerin des Kölner Piccolotheaters, in: Einig Frauenland? Mütter und Töchter in West und Ost, Berlin 1995, S. 187–204, hier S. 187; vgl. S. 188.
- 2 Ebenda, S. 188.
- 3 Ebenda, S. 189.
- 4 Ebenda, S. 190.
- 5 Ebenda, S. 189.
- 6 Ebenda, S. 190 f.
- 7 Interview des Kölner Frauengeschichtsvereins mit Ingund Mewes am 18.5.99, Minute 41:21 ff.
- 8 Mewes, Dodo: Biografie Ingund Mewes, Schauspielerin, Autorin, Rundfunksprecherin, Manuskript, o.O., o.D., Kopie im Kölner Frauengeschichtsverein (Personenordner).
- 9 Ebenda, S. 188.
- 10 Theißen, Ulla: Künstlerinnen in NRW, Frauenkulturbüro NRW (Hg.), Krefeld 1995, S. 33.
- 11 Linnhoff / Stolzenburg: S. 191.
- 12 Vgl. dies.: Wir Frauen müssen unsere Wurzeln finden. Die Tochter – Dodo Mewes, Schauspielerin, Mitbesitzerin und -gründerin des Kölner Piccolotheaters, in: Einig Frauenland?, S. 205.
- 13 Zu Tine Wolff vgl. die Homepage des Theaters, Zugriff am 28.11.2017 unter http://www.tinewolff.de/?page_id=9.
- 14 Mündliche Information von Dodo Mewes am 16.12.2017.
- 15 Ebenda.
- 16 Linnhoff / Stolzenburg: Rinderschmorbraten, S. 197.
- 17 Dies., S. 201.
- 18 Interview des Kölner Frauengeschichtsvereins mit Ingund Mewes am 18.5.1999, Minute 07:21–11:00; vgl. dazu Frauenmediaturm 2018: Chronik der Neuen Frauenbewegung, Zugriff am 07.03.2019 unter https://frauenmediaturm.de/neue-frauenbewegung/chronik-1971/ mit dem Abdruck des Bildes.
- 19 Bestand 1, Mappe 7: Aktion 218 Köln / Frauenbefreiungsaktion - Redemanuskripte, Flugblätter: Manuskript des Referats von Ingund Mewes gehalten im Namen der Aktion 218 auf der Jahreshauptversammlung der niedergelassenen Ärzte Deutschlands, 18.9.1971 (17.–19.9.1971 Jahreshauptversammlung der niedergelassenen Ärzte Deutschlands in Köln); vgl. auch Bestand 72, Mappe 3: Pressedokumentation zu den Themen Abtreibung, Aktion 218, Reform des § 218.
- 20 Bestand 1, Mappe 7: Aktion 218 Köln / Frauenbefreiungsaktion - Redemanuskripte, Flugblätter: Flugblatt mit Ankündigung des Politischen Nachtgebets ,Ja zum Leben, nein zu § 218‘ am 5. und 6.10.1971; Ablaufplan des Politischen Nachtgebets am 5.10.1971; maschinenschriftl. Manuskript des Referats ,Emanzipation‘ von Ingund Mewes (2 Exemplare) beim Politischen Nachtgebet am 5.10.1971. Das Textheft Politisches Nachtgebet, § 218, befindet sich im Bestand 80 Mappe 140 Maria Mies - Politisches Nachtgebet.
- 21 Bestand 80 Mappe 140: Textheft Politisches Nachtgebet, § 218, S. 9.
- 22 Bestand 1, Mappe 7: Aktion 218 Köln / Frauenbefreiungsaktion - Redemanuskripte, Flugblätter: Ansprache „Weg mit dem § 218“ von Ingund Wolff-Mewes bei der Demonstration gegen den § 218 auf dem Offenbachplatz am 20.11.1971 (Kopie); Flugblatt und Demoaufruf „Weg mit dem § 218 Frauen befreit euch - § 218 muss weg“ hieß es auf dem Kölner Flugblatt.
- 23 Vgl. dazu Frauenmediaturm 2018: Chronik der Neuen Frauenbewegung, Foto von Simone de Beauvoir, Zugriff am 7.2.2018 unter http://www.frauenmediaturm.de/index.php?eID=tx_cms_showpic&file=139&md5=50a9f4a612e2c6aa186cc7036bdacef106f5b626¶meters%5B0%5D=YTo0OntzOjU6IndpZHRoIjtzOjM6IjgwMCI7czo2OiJoZWlnaHQiO3M6NDoiNjAw¶meters%5B1%5D=bSI7czo3OiJib2R5VGFnIjtzOjQxOiI8Ym9keSBzdHlsZT0ibWFyZ2luOjA7IGJh¶meters%5B2%5D=Y2tncm91bmQ6I2ZmZjsiPiI7czo0OiJ3cmFwIjtzOjM3OiI8YSBocmVmPSJqYXZh¶meters%5B3%5D=c2NyaXB0OmNsb3NlKCk7Ij4gfCA8L2E%2BIjt9
- 24 Bestand 1, Mappe 7: Aktion 218 Köln / Frauenbefreiungsaktion - Redemanuskripte, Flugblätter: vgl. Auszug aus dem Strafgesetzbuch, 1871; vgl. die Informationsbroschüren § 218, Demokratische Frauenaktion; Erzbistum Köln, 2 Interviews mit Kardinal Höffner zum § 218, 1972; Hirtenschreiben der deutschen Bischöfe zum Schutz des ungeborenen Lebens, 25.4.1973 u.a.m.
- 25 Häuser, Raphaela: „Unser größter Feind ist die Kirche“. Seit 18 Jahre gibt es das Piccolo-Theater. Die feministische Bühne im Kwartier Latäng wird von Ingund Mewes und ihrer Tochter Dorothea Mewes geleitet. Demnächst Vorstellung im Philosophikum, in: philtrat, April/Mai 2003, H. 52, online Zugriff am 16.10.2017 unter https://www.philtrat.de/articles/435; vgl. Interview des Kölner Frauengeschichtsvereins mit Ingund Mewes am 18.5.1999, Minute 18:10.
- 26 Interview des Kölner Frauengeschichtsvereins mit Ingund Mewes am 18.5.99, Minute 20:33.
- 27 Interview des Kölner Frauengeschichtsvereins mit Ingund Mewes am 18.5.99, Minute 17:30; vgl. Häusler; vgl. Linnhoff / Stolzenburg: Rinderschmorbraten, S. 193.
- 28 Hörspieldatenbank https://hspdat.to/pages/Datenbank/?p8=Ingund+Mewes; In der Hörspieldatenbank der Rundfunkanstalten werden Produktionen mit Ingund Mewes aus den Jahren 1954 bis 1996 angeführt (online seit 11.1.2015, Scriptversion 9.2.0 vom 3.8.2017), 12.10.2017; vgl. auch Hörspieldatenbank online Zugriff am 07.03.2019 unter http://hoerspiele.dra.de/index.php.
- 29 z.B. Der Meereszar und andere Märchen, Herder Verlag GmbH, Februar 1999.
- 30 Kreitz, Susanne: Ingund Mewes ist tot, in: KStA vom 21.2.2005, Zugriff am 07.03.2019 unter http://www.ksta.de/14003780.
- 31 Zit. bei Kreitz: http://www.ksta.de/14003780.
- 32 Mahr, Frauke: Lobby für Mädchen: Mewes, Ingund. Zweite Preisträgerin des Inge-von-Bönninghausen-Preises (2001), in: Kevelaerer Enzyklopädie, Zugriff am 16.10.2017 unter https://www.blattus.de/kaz/texte/m_kaz/mewes-ingund.html.