
Über Gisela Schneider
Gisela Schneider wurde 1943 in einem Dorf im Westerwald geboren. Die Mutter, die als Köchin in der Gastronomie und in Privathaushalten arbeitete, bestärkte ihre beiden Töchter darin, „etwas zu lernen“1. Der Vater arbeitet vor dem Krieg im Erzbergbau und als Schäfer. Er kehrte spät aus russischer Kriegsgefangenschaft heim und war ein duldsamer und zurückhaltender Mensch, der „nicht den wilden Mann markiert“2 und damit einverstanden war, dass Gisela die Mittlere Reife machte.
„Warum schickt ihr das Mädchen auf die Schule?“
Die Tochter erlebte allerdings immer wieder, dass „die Leute mich oder meine Mutter ansprachen und sagten: ‚Was schickt ihr die denn auf die Schule? (…) Die heiratet doch eh, das lohnt sich nicht!‘ Und da habe ich dann mitgekriegt: Nur weil ich ein Mädchen bin, soll ich keine weiterführende Schule besuchen. Das fand ich schon ziemlich krass.“3
In der örtlichen Akademie der evangelischen Kirche, für die Gisela Schneider nach ihrem Schulabschluss arbeitete, knüpfte sie Kontakte mit den Referenten und ging 1965 nach Köln, um dort als Sekretärin beim WDR zu arbeiten. Neben dieser Arbeit war sie als Assistentin für Günter Wallraff tätig. „Und der drückte mir eines Tages einen Brief von Alice [Schwarzer, Anm. d. Autorin] aus Paris in die Hand. Die Französinnen hatten ja mit dem Nouvel Observateur eine Selbstbezichtigungs-Kampagne gemacht und Alice schrieb, dass sie diese Kampagne auch in Deutschland machen wollte.“4
Die Schwangerschaft – ein Damoklesschwert
Gisela Schneider war sofort klar, dass sie die Kampagne, die bald darauf in die Stern-Titelgeschichte Wir haben abgetrieben! mündete, unterstützen wollte. „Ich selbst hatte nie abgetrieben, aber ich habe die Katastrophe meiner Schwester miterlebt. Sie wurde mit 18 ungewollt schwanger und hat sich mir anvertraut. Und wir wussten einfach nicht, was wir tun sollten. Wir wohnten auf dem Land, und eine Schwangerschaft oder gar ein uneheliches Kind war ein unheimliches Stigma, wirklich eine soziale Katastrophe. Meine Schwester musste diesen Mann dann heiraten. (...) Und ich habe gedacht: Es kann nicht sein, dass Frauen so im Stich gelassen werden!“5 Schneider war klar, dass dieses Problem auch sie selbst und Millionen andere Frauen bedroht. „Das Damoklesschwert einer ungewollten Schwangerschaft schwebte immer über einem. Deshalb war es für mich gar keine Frage, diese Selbstbezichtigung zu unterschreiben.“6
§ 218: „Es war ein Ansturm von allen Seiten“
Gisela Schneider wollte aber nicht nur ihre Unterschrift unter die Selbstbezichtigung setzen, sondern weitere sammeln und sich im Kampf gegen den § 218 engagieren. Am Samstag nach Erscheinen der Titelgeschichte im Stern stellte sie, gemeinsam mit einer studentischen WDR-Hilfskraft, mit der sie befreundet war, einen Tapeziertisch in die Kölner Fußgängerzone. „Und dann sind wir überrannt worden. Es war ein Ansturm von allen Seiten. Die Leute haben mit uns und miteinander wild diskutiert. Es gab viel Zustimmung, aber auch heftige Attacken. Viele Frauen fragten auch, ob wir nicht ein Treffen organisieren könnten. Das haben wir gemacht – und so die ‚Aktion 218’ gestartet.“7
Die Aktion 218 stürmte den Ärztekongress
Die stetig wachsende Aktion 218 organisierte Demonstrationen, stürmte im September 1971 einen Ärztekongress in Köln und belagerte das Bundesjustizministerium in Bonn. Und die Frauen knüpften Kontakte zu in der Abtreibungsfrage engagierten Parteipolitikerinnen. „Die Frauen aus den Parteien waren sehr froh, dass wir ihnen von der Straße aus den Rücken gestärkt haben.“8
Aus Aktion 218 wird die Frauenbefreiungsaktion
Neben dem Kampf um den § 218 tauchten bald weitere Themen auf, mit denen sich die Frauen beschäftigen wollten. „Wir haben uns in Köln dann umbenannt, von ‚Aktion 218’ in ‚Frauenbefreiungsaktion’. (...) Wir haben dann auch verschiedene Arbeitsgruppen gegründet.“9 Darin ging es um Selbsterfahrung, Frauenbildung, Gewalt gegen Frauen etc. Die Frauenbefreiungsaktion arbeitete mit anderen Initiativen zusammen, die sich im Zuge der Frauenbewegung gegründet hatten, so zum Beispiel mit einer Studentinnengruppe, die dabei war, das erste Kölner Frauenhaus zu initiieren.
Ihr Engagement in und ihre Erfahrungen mit der Frauenbewegung ermutigten Gisela Schneider schließlich zu einem neuen Lebensschritt. „Mir selbst hat das Ganze auch persönlich zu einem Aufbruch verholfen. Ich habe dann die Abendschule besucht, mein Abitur nachgemacht und bin Lehrerin geworden.“10