Elisabeth Vogler Geboren am in Kassel Gestorben am in Gersfeld

Über Elisabeth Vogler

Elisabeth Vogler war neben Marie Buchhold eine der beiden Gründerinnen der Frauensiedlung und späteren Gymnastikschule Schwarzerden. Sie verstand Gymnastik nicht nur als reine Körperarbeit, sondern auch als Soziale Arbeit und konzipierte ab den 1920er-Jahren die sogenannte Schwarzerdener Methode.

Elisabeth Vogler wurde am 23. Februar 1892 in Kassel geboren1. Zusammen mit ihren Geschwistern wuchs sie in einem liberal-bürgerlichen Elternhaus auf; besonders mit ihrem Bruder Paul, der später Professor für Physiotherapie2 wurde, hielt sie engen Kontakt. Sie besuchte die höhere Mädchenschule in Koblenz, anschließend machte sie eine Ausbildung zur Turnlehrerin. In diesem Beruf arbeitete sie zwischen 1912 und 1919, zunächst in Offenbach, dann in Neuwied am Rhein. Vogler übernahm dort die örtliche Mädchengruppe, wodurch sie in Kontakt mit der naturverbundenen Jugendbewegung kam und sich innerhalb dieser immer stärker engagierte. So war sie auch in der Freideutschen Jugend aktiv und pflegte dorthin enge Kontakte3.

Elisabeth Vogler mit einer Verwandten in Wandervogelkluft, ca. 1915

 

Porträt von Elisabeth Vogler, ca. 1923

Die Eltern ihrer Schülerinnen sowie die Schulverwaltung fürchteten allerdings, dass Vogler radikale liberale Ideen der Jugendbewegung verbreiten könne. Daraufhin wurde Vogler als Lehrerin vom Dienst suspendiert und einem Disziplinarverfahren unterzogen. Obwohl dieses ergab, dass die Vorwürfe unhaltbar waren, quittierte Vogler 1919 den Schuldienst, um ihren eigenen, selbstgewählten Weg zu gehen. Dieser führte sie zunächst in die Gymnastikschule Loheland in der Rhön zur Fortbildung. Sie verbrachte dort ein Jahr, ohne die dortige Ausbildung abzuschließen. Daraufhin schloss sie sich der Jugendsiedlung Frankenfeld an. Dort lernte sie Marie Buchhold kennen, mit der sie eigene Siedlungsgedanken teilte4. Gemeinsam gingen die Freundinnen 1922 in die Rhön, um ihr eigenes Siedlungsprojekt aufzubauen, in das ausschließlich Frauen involviert sein sollten.

 

Gründung von Schwarzerden

Ohne größeres Vermögen mieteten Marie Buchhold und Elisabeth Vogler ein kleines Ferienhaus bei Gersfeld in der Rhön an. Dort bot Vogler zunächst Gymnastikkurse und Erholungskuren mit Luft- und Sonnenbad für Kinder aus der Umgebung an, später kamen durch Jugendämter vermittelte Kinder aus Großstädten hinzu. In dieser Zeit widmete sich Buchhold vor allem ihrer schriftstellerischen Tätigkeit in Form von Vorträgen und Aufsätzen. Darauf aufbauend konnten sie 1923, gemeinsam mit einigen weiteren Frauen, einen verlassenen Hof in der Nähe des Dörfchens Schwarzerden pachten und somit die gleichnamige Siedlung begründen.

Diese basierte zunächst auf Handwerk und Landwirtschaft, sollte aber in Zukunft auch eine Schule beinhalten5. Das Ziel war es, mit dem Schulprogramm Gymnastik und Soziale Arbeit zu verbinden und jungen Frauen somit eine Berufstätigkeit zu ermöglichen, die ihnen sowohl eine sinnvolle und eigenständige Tätigkeit bereitete als auch der Gesellschaft einen Nutzen brachte6. 1927 kam der erste Kurs an Seminaristinnen zur Ausbildung nach Schwarzerden. 1929 wurde die Schule als staatlich genehmigte Ausbildungsstätte anerkannt7 und bildete fortan ihre Schülerinnen zu Gymnastiklehrerinnen aus.

Schwarzerdener Gymnastik

Durch ihren jüngeren Bruder Paul, der mit einer angeborenen Armfehlstellung lebte, wurde Vogler schon früh auf Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung aufmerksam und widmete sich in ihrer gymnastischen Arbeit besonders den pflegerischen und orthopädischen Aspekten8. Kinder mit Fehlstellungen und Haltungsschäden sollten durch gymnastische Übungen gestärkt und in ihrer Mobilität verbessert werden. Vogler sah die Gymnastik zudem als eine Möglichkeit, Frauen aus den „Fesseln der starren und unwahren Lebensform des ausgehenden 19. Jahrhunderts“9 zu befreien, damit zielte sie lediglich auf die körperliche Stärkung der Frau ab, während sie sich zu politischen und gesellschaftlichen Fragen der Frauenbewegung nicht äußerte. Diese Ansicht setzt sich in direkten Bezug zur Lebensreformbewegung. Während Buchhold oft für Vorträge durch das Land reiste, blieb Vogler meist in Schwarzerden und führte die dortigen Geschäfte, entwickelte die gymnastischen Unterrichtsinhalte, hielt Vorträge und schrieb Aufsätze über Gymnastik, Gesundheitserziehung und (Sozial-)Hygiene10.

Redeentwurf zur Gymnastrada 1955

Vogler wollte mit der sogenannten Schwarzerdener Methode einen neuen Ansatz in der Gymnastik erschaffen, der nicht nur auf bestimmte Körper und Fitness abzielte, sondern ganzheitlich arbeitete. Ihr Ziel war es, die „gymnastische Körperarbeit mit Gesundheitslehre und -pflege“ zu verknüpfen. Hierfür kombinierte sie bereits bestehende Gymnastiktechniken, wie etwa die rhythmische mit der funktionellen Gymnastik. Daraus entstand eine Lehre, die sowohl ein Gefühl für den eigenen Körper als auch dessen Befreiung vermitteln sollte. Sie band medizinische, gesundheitliche sowie prophylaktische Aspekte mit in ihr Konzept ein und nutzte Geräte wie Stäbe und Bälle. Ihre Methode verstand Vogler als Teil der fürsorgerischen Sozialen Arbeit und sie schuf somit den neuen Beruf der Sozialgymnastin.

Schwarzerdener Schülerinnen bei Gymnastikübungen im Freien, ca. 1934

 

Die Schule im Nationalsozialismus

Die Schule hatte Erfolg, immer mehr Schülerinnen und Mitarbeiterinnen kamen, die Siedlung wurde erweitert und neue Gebäude gebaut. Da die finanziellen Mittel immer knapp waren, waren die Gründerinnen Buchhold und Vogler stets bemüht, bei staatlichen Stellen Beihilfen zu erhalten. Als 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen, orientierten sich die beiden Frauen an den neuen Vorgaben für Schulen und signalisierten den Behörden ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit11. An den Schwarzerdener sozial-hygienischen Unterrichtsinhalten hatte das Regime Interesse und so wurde die Schule immer stärker in die nationalsozialistischen Einrichtungen – besonders die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) – eingebunden.12

Die Leiterinnen hofften, dass dies einerseits die Anerkennung der Lehrmethoden sowie die Sicherstellung der finanziellen Situation bedeuten würde. Allerdings wurden durch diese Schritte auch die Lehrpläne der nationalsozialistischen Ideologie angepasst13. Dies spiegelt sich unter anderem auch in der Umbenennung der Schwarzerdener Gymnastik in Deutsche Gymnastik und dem damit verbundenen, neuen Fokus auf sportliche Leistungen wider14.
Bereits im August 1933 traten die Mitarbeiterinnen der Schule, so auch Elisabeth Vogler, der NS-Frauenschaft bei. Wenige Jahre später, 1938, traten Vogler und ihre Kolleginnen auch in die NSDAP sowie NSV ein15.

Während des Krieges wurde Schwarzerden nur sehr wenig von Kampfhandlungen in Mitleidenschaft gezogen und bildete bis zuletzt Schülerinnen aus. Nach der Befreiung 1945 lag die Schule in der US-amerikanischen Besatzungszone. Die US-amerikanische Militärverwaltung entzog sofort die Genehmigung zum Unterricht. Nachdem festgestellt wurde, dass die Schule politisch unbedenklich sei, durfte im Frühjahr 1946 der Betrieb wieder aufgenommen werden. Vogler wurde von den Behörden in Gruppe IV der „Mitläufer“ eingestuft16 und zu einer Geldsühnezahlung aufgefordert – sie selbst äußerte sich nie über ihre politische Haltung. Danach nahm Vogler die Schulleitung allein wieder auf, ihre Freundin Buchhold legte ihre Ämter als Leiterin und Lehrerin nieder und verließ die Schule, um sich der Schriftstellerei zu widmen. Nichtsdestotrotz blieben die beiden weiterhin in engem Kontakt.

Nachkriegszeit und Tod von Elisabeth Vogler

Ab den 1950er-Jahren wurde das Schulgelände stetig ausgebaut. Es wurde unter anderem ein eigenes Kinderheim auf dem Gelände erbaut, in dem Kinder – wie bereits vor dem Zweiten Weltkrieg – während eines Erholungsurlaubs betreut wurden. Die Seminarausbildung wurde fortgeführt und jedes Jahr zwei Ausbildungsklassen an Schülerinnen aufgenommen. Vogler arbeitete sowohl in der Schulverwaltung, unterstützt von Marta Neumayer, die schon seit 1923 mit in Schwarzerden engagiert war, als auch an der Konzeption der Lehrinhalte, Betreuung der Schülerinnen und der Abnahme der Examensprüfungen.

Außerdem war sie die Hauptverantwortliche für den Rundbrief der Schule, den Mitteilungen des Bundes der Schülerinnen und Freunde Schwarzerden e.V.. Sie widmete sich diesen Aufgaben über Jahrzehnte voll und ganz. Im Jahr 1967 wurde ihr für ihre Verdienste und ihren persönlichen Einsatz in der Gymnastikschule das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Erst 1970, nachdem ihre Gesundheit deutlich nachgelassen hatte, gab sie ihre Position als Schulleiterin auf. Elisabeth Vogler starb am 3. März 1975 in Gersfeld im Alter von 83 Jahren.

Deckblatt der Bundesmitteilungen 1967
Vorwort der Bundesmitteilungen August 1955

Der Bestand im AddF

Der Nachlass der Schule Schwarzerden umfasst auch Fragmente des Nachlasses von Elisabeth Vogler. Als Gründerin und jahrzehntelange Leiterin finden sich ihre Spuren in zahlreichen Dokumenten der Schulverwaltung. Ihr privater Nachlass ist dagegen weniger umfangreich und besteht vorwiegend aus Briefen und Aufsätzen. Vogler gehörte zur Generation der Jahrhundertwende. Sie wurde geprägt durch Frauenbewegung und Lebensreform und suchte nach einer alternativen weiblichen Lebensform. Gemeinsam mit weiteren Frauen baute sie diese Alternative in Form der Schule Schwarzerden auf und schuf damit eine Einrichtung, die über achtzig Jahre fortbestehen sollte.

Voglers Ansatz zur Lösung gesellschaftlicher Probleme lag in der Ausbildung von Frauen durch Frauen, hin zu sozialer Verantwortung und Eigenverantwortung. Ihr Werdegang zeigt jedoch auch, wie anschlussfähig diese Ideen und Bestrebungen an nationalsozialistische Ziele waren, wie schnell sie im Nationalsozialismus übernommen und verzerrt werden konnten. Vogler gelang es, ihr Schulprojekt nach 1945 modernisiert fortzuführen, und in ihrer Funktion als Direktorin, die sie bis 1971 innehielt, Schwarzerden als Ausbildungsstätte für Sportlehrerinnen und Physiotherapie zu etablieren, wofür sie sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde.
Voglers Nachlass zeigt unterschiedliche Themen, wie etwa Soziale Arbeit und Reformpädagogik oder auch Gymnastikgeschichte, die bislang in der Forschung wenig beachtet wurden.

 

Veröffentlicht: 13. August 2024
Lizenz (Text)
Verfasst von
Dr. Barbara Krautwald

Historikerin, Mitarbeiterin im Projekt Erschließung und Digitalisierung von Sammlungsgut im AddF – Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel

Michaela Wilhelm

B.A., Politikwissenschaftlerin, Mitarbeiterin im Projekt Erschließung und Digitalisierung von Sammlungsgut im AddF – Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel

Empfohlene Zitierweise
Krautwald, Barbara/Wilhelm, Michaela (2024): Elisabeth Vogler, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/elisabeth-vogler
Zuletzt besucht am: 02.12.2024
Lizenz: CC BY-SA 4.0
Rechteangabe
  • Krautwald, Barbara
  • Wilhelm, Michaela
  • Digitales Deutsches Frauenarchiv
  • CC BY-SA 4.0

Netzwerk von Elisabeth Vogler

Zitate von Elisabeth Vogler

Biografie von Elisabeth Vogler

Geburt in Kassel

1922

Umzug in die Rhön

1927

Gründung der „Ausbildungsstätte für soziale angewandte Gymnastik und Körperpflege“

1928

Kauf des Bodenhofes

1935

Die NS-Richtlinien des Reichsverbandes Deutscher Turn-,Sport- und Gymnastiklehrer treten in Kraft

1946

Die Schule darf, nach der Schließung durch US-amerikanische Militärregierung, wieder öffnen

1950 - 1970

Bestehen des „Rhön-Kinderheims“

1967

Verleihung Bundesverdienstkreuz

Tod in Gersfeld

Fußnoten

  1. 1 Vgl. Lebenslauf von Elisabeth Vogler, in: AddF, Kassel, Sign.: NL-K-27 ; 135-2.
  2. 2

    Nachruf Prof. Dr. Paul Vogler, Zugriff am 12.12.2023 unter https://www.aerzteblatt.de/archiv/215681/Professor-Paul-Vogler, 12.12.2023. Paul Voglers Nachlass liegt in zwei Teilnachlässen im Bauhaus-Archiv in Berlin und im Universitätsarchiv der Humboldt-Universität Berlin.

  3. 3 Weiterführendes hierzu findet sich u. a. in: Sigrid Bias-Engels: Autonome Frauengruppen in der Jugendbewegung. Der Deutsche Mädchen-Wanderbund und die Gymnastikschulen Loheland und Schwarzerden, in: Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung. 15-71984-85, 109‒122 und Marion E. P. de Ras: Körper, Eros und weibliche Kultur. Mädchen im Wandervogel und in der Bündischen Jugend 1900‒1933, Pfaffenweiler 1988.
  4. 4 Vgl. Henriette M. Schmitz: Sozialgymnastik. Körperarbeit als soziale Arbeit, Centaurus Verlag, 2009, S. 183‒185.
  5. 5 Vgl. Henriette M. Schmitz: Sozialgymnastik. Körperarbeit als soziale Arbeit, Centaurus Verlag, 2009, S. 187f.
  6. 6 Vgl. Ortrud Wörner-Heil: Von der Utopie zur Sozialreform. Jugendsiedlung Frankenfeld im Hessischen Ried und Frauensiedlung Schwarze Erde in der Rhön 1915 bis 1933, Selbstverlag der Hessischen Historischen Kommission Darmstadt und der Historischen Kommission für Hessen, 1996, S. 491.
  7. 7 Vgl. Waltraut Maaß: 75 Jahre Schwarzerden. Festschrift, 2002, S. 16.
  8. 8 Vgl. Henriette M. Schmitz: Sozialgymnastik. Körperarbeit als soziale Arbeit, Centaurus Verlag, 2009, S. 195.
  9. 9 Vgl. Redeentwurf von Vogler, 10.04.1963, in: NL-K-27 ; 46-3.
  10. 10 Vgl. Gesammelte Reden von Elisabeth Vogler in: NL-K-27 ; 8-2.
  11. 11 Vgl. Entwurf eines Briefes von Elisabeth Vogler an das Deutsche Frauenwerk, Abteilung Reichsmütterdienst, vom 16.09.1936, in AddF, Kassel, Sign.: NL-K-27 ; 47-3.
  12. 12 Vgl. Bericht von Marie Buchhold: Aus der Geschichte der Schule Schwarzerden, 1942, in: AddF, Kassel, Sign.: NL-K-27 ; 13-11.
  13. 13 Vgl. Schreiben des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen an die Schule Schwarzerden, 22.02.1938, in: AddF, Kassel, Sign.:NL-K-27 ; 47-3.
  14. 14 Vgl. Bericht 1933‒1945, S.6, in: AddF, Kassel, Sign.: NL-K-27 ; 2-3.
  15. 15 Vgl. Meldebogen von Elisabeth Vogler auf Grund des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 28.04.1946, in: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Bestand 520/14, Nr. 7445.
  16. 16 Klageschrift des Staatsministeriums gegen Elisabeth Vogler, 06.12.1946, in: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Bestand 520/14, Nr. 7445.

Ausgewählte Publikationen