Anna Pappritz Geboren 09.05.1861 in Radach/Mark Brandenburg Gestorben am in Berlin

Über Anna Pappritz

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde in der Frauenbewegung heftig über die Prostitution gestritten. Doch diese Tatsache ist heute kaum präsent. Deshalb ist auch eine der wichtigsten Abolitionistinnen um 1900 – Anna Pappritz – eine große Unbekannte. Zu Unrecht, wie der folgende Essay zeigt.

Anna Pappritz – eine Rittergutstocher, die keine sein wollte

Geboren wurde Anna Pappritz1 am 9. Mai 1861 in Radach, einem Rittergut im heutigen Polen. Der Vater, Richard Pappritz, war Rittergutsbesitzer und bekleidete damit im Märkischen eine herausgehobene gesellschaftliche und politische Stellung.
Ihre Kindheit und Jugend hat Anna Pappritz in den dunkelsten Farben geschildert. Vor allem die isolierte Lage Radachs, 60 km östlich von Frankfurt an der Oder, mitten in der märkischen Landschaft gelegen, brachte für das Mädchen eine soziale – aber viel wichtiger und entscheidender noch – eine intellektuelle Isolierung mit sich. Durch den Tod ihres Vaters, der mit 55 Jahren an einer Lungenentzündung starb, änderte sich das Leben von Anna Pappritz grundlegend.

Der älteste Sohn, Curt Pappritz, übernahm 1884 das Rittergut und Pauline Pappritz, Mutter von Anna und Richard Pappritz, dem jüngeren Bruder von Anna, verließen daraufhin das Rittergut und zogen in die Hauptstadt Berlin. Hier nun fand Anna Pappritz endlich ein Leben, das ihr angemessen erschien. Sie versuchte sich zuerst als Schriftstellerin und lernte um 1900 dann die Frauenbewegung kennen, der sie sich begeistert anschloss.

Einstieg in die Frauenbewegung

In ihrer autobiografischen Schrift Wie ich zu meiner Arbeit kam, in der Pappritz 1908 ihren bis dahin zurückgelegten Lebensweg reflektierte, beschrieb sie ihren Einstieg in die Frauenbewegung als bewussten Akt. Zunächst verschaffte sie sich einen Überblick über die wichtigsten Protagonistinnen. Sie las alle Schriften von Helene Lange, besuchte das Viktoria Lyceum, in dem Vorträge für Frauen stattfanden, und sie lernte Minna Cauer kennen, die sie gleich für den Auf- und Ausbau der Bibliothek zur Frauenfrage begeisterte.2 Als sich Anna Pappritz der Frauenbewegung anschloss, begann in der bürgerlichen Gesellschaft ganz langsam eine (öffentliche) Debatte über das Geschäft der Prostitution. Vor allem die Frage nach der Verhinderung von damals noch nicht heilbaren Geschlechtskrankheiten wurde zunehmend öffentlich besprochen. Auch die verschiedenen Flügel der Frauenbewegung begannen, sich in die Debatte einzumischen, wobei die Bewegung zu Beginn keine einheitliche Position und keine feststehende Meinung zu diesem Thema hatte.

Handschriftliche Aufzeichnungen von Anna Pappritz: "Wie ich zu meiner Arbeit kam"

Die Meinungsbildung innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung erfolgte dabei meistens ohne einen direkten Kontakt zu Frauen, die von der Prostitution lebten. Nur indirekt, durch die Arbeit der sogenannten Polizeimatronen, die in einer Art ‚aufsuchender Sozialarbeit‘ im Prostitutionsmilieu arbeiteten, gelangten Informationen von der Straße in die Bewegung. Dieses ‚Sprechen über Prostitution‘ änderte sich erst in der Weimarer Republik, als sich zum ersten Mal Prostituierte selbst organisierten und es ganz langsam zu einem Sprechen mit den Prostituierten kam.

Wollen die Frauen-Vereine das gemeingefährliche Gewerbe der Prostitution vom gesetz erlaubt oder verboten wissen??? : Entgegnung auf die i. A. d. Kommission z. Hebung der Sittlichkeit verfassten "Grundfragen der Sittlichkeitsbewegung" (von Anna Pappritz) und auf Ausführungen von Frau K. Scheven im "Centralblatt des Bundes d. Fr.-V." vom 1. Sept. 1903

Bevor Anna Pappritz in der Frauenbewegung dafür warb, sich der internationalen abolitionistischen Bewegung anzuschließen, dominierte die Ansicht von Hanna Bieber-Böhm, die auf Repression und Strafen setzte. Pappritz hatte den Abolitionismus auf einer Reise nach England kennengelernt und 1899 den ersten abolitionistischen Zweigverein in Berlin gegründet – parallel zur Gründung eines abolitionistischen Zweigvereins durch Lida Gustava Heymann in Hamburg. Ab diesem Zeitpunkt arbeitete und publizierte Pappritz als anerkannte (internationale) deutsche Vertreterin des Abolitionismus und setzte sich erfolgreich dafür ein, dass in der bürgerlichen Frauenbewegung der Abolitionismus die anerkannte Theorie in der Prostitutionsbekämpfung wurde.

Lebensmodell und Lebenspartnerschaft

Anna Pappritz führte bald das aktive Leben einer Berliner Frauenrechtlerin. Diese (neue) Lebenskultur, die die Frauen aus der Bewegung miteinander teilten, entstand als klares Gegenmodell zur klassischen Rolle der ledigen (bürgerlichen) Frau, die – wenn sie älter wurde und immer noch nicht verheiratet war – als ‚alte Jungfer‘ diffamiert wurde. Viele der Frauenrechtlerinnen um 1900 lebten daher zusammen. So Helene Lange mit Gertrud Bäumer, Anita Augspurg mit Lida Gustava Heymann und Käthe Schirmacher mit Klara Schleker. Neben diese bekannten Frauenpaare, die in der Bewegung in der ersten Reihe standen, traten aber auch andere: so zum Beispiel Franziska Tiburtius und Emilie Lehmus, die sich in der Schweiz kennengelernt hatten und sich gemeinsam als erste Ärztinnen in Berlin niederließen. Oder Elsbeth Krukenberg und Lina Hilger, die gemeinsam zwischen 1903 und 1933 in Bad Kreuznach lebten, wo Hilger eine Mädchenschule leitete. Das Modell der lebenslangen Frauenfreundschaft wurde in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts aktiv gelebt und propagiert. Auch die nächste Generation von Frauen setzte diese Tradition selbstbewusst und selbstverständlich fort. Beispiele hierfür sind das Frauenpaar Hilde Lion und Emmy Wolff, die nach der Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland in England eine Schule leiteten, oder Helene König und Frau Schneege, die in Gotha und in Halle lebten.3 Es ist ein Verdienst der Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts, dass diese Lebensform als bewusste Alternative zu einem Leben als Ehefrau oder ‚alte Jungfer‘ für bürgerliche Frauen entstehen konnte. Gleichzeitig trug dieses Zusammenleben auch die Zusammenarbeit in der Bewegung, denn viele der bekannten Aktivistinnen der verschiedenen Richtungen der Frauenbewegung teilten ihr Leben und ihr politisches Arbeiten mit einer anderen Frau. Diese Verwobenheit zwischen ‚privaten‘ Aspekten und ‚öffentlichen‘ Belangen zeichnet sowohl die Phase der Frauenbewegung im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert aus als auch die ab den 1968er-Jahren. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass es gerade die Beziehungen zwischen Frauen waren, die diese politische Bewegung ermöglichten, denn nur in Frauenzusammenhängen konnte ein Raum entstehen, in dem gemeinsame Interessen entdeckt werden konnten. So sind Frauenfreundschaften und -beziehungen die Grundlage für die politische Frauenbewegung geworden.4 

Auch Anna Pappritz lebte so, auch wenn sie mit ihrer lebenslangen Freundin Margarethe Friedenthal erst zu Beginn der 1930er-Jahre zusammenzog. Sie hatte Margarethe Friedenthal im Jahr 1900 in Berlin kennengelernt. Auch Friedenthal war in der Frauenbewegung aktiv, sie war die Vorsitzende des ständigen Ausschusses zur Förderung der Arbeiterinneninteressen und engagierte sich in der Frauenbildung. Margarethe Marianne Friedenthal war eines von sechs überlebenden Kindern des Ehepaares Paul Emil August Gaspard Friedenthal (1832–1904) und Margarethe Marianne Antoinette Friedenthal geb. Rosenberg (1844–1902). Die Friedenthals waren eine assimilierte jüdische Familie, die dem Kulturleben und dem sozialen Engagement sehr zugewandt war. Nach den Erinnerungen der Großnichte Martha Friedenthal-Haase erhielten die Mädchen wie die Jungen eine sehr sorgfältige Ausbildung.

Aufgrund ihres ‚Berufes‘ als politische Aktivistin lernte Pappritz sehr viele der ebenfalls sich mit der Frage der Prostitution beschäftigenden Ärzte und Sozialreformer*innen kennen; ihre ideologische Heimat blieb aber auch in dieser Zeit die Frauenbewegung. In die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg fielen einige größere Konflikte, die Pappritz mit befreundeten Frauenrechtlerinnen austrug, so der Streit um die Neue Ethik mit Helene Stöcker oder auch der Konflikt mit der BDF-Vorsitzenden Marie Stritt. 

Briefe von Anna Pappritz an Marie Stritt

Weimarer Republik und Lebensende

Erklärungen, Berichte, Petitionen, Gesetztesentwürfe, Eingaben u.a. des Bund Deutscher Frauenvereine 1914-1920

Aufgrund einer nie genau diagnostizierten Krankheit erlebte Pappritz den Ersten Weltkrieg vom Sofa aus, erst 1917 verbesserte sich ihr Zustand spürbar. Sie verlor, wie ihre Partnerin Friedenthal auch, ihr kleines Vermögen durch die Inflation und war gezwungen, zum ersten Mal in ihrem Leben, mit über 60 Jahren einer bezahlten Berufstätigkeit als Aufseherin in einer Druckerei nachzugehen. Politisch setzte sie sich weiterhin für die Abschaffung der Reglementierung der Prostitution ein; allerdings nicht mehr auf der Straße oder in großen Versammlungen. Die Arbeit verlagerte sich immer stärker in den Reichstag und in die entsprechenden Ausschüsse, denn in der Weimarer Republik sollte endlich die Gesetzesgrundlage, die die Prostitution regelte, reformiert werden. Anna Pappritz setzte sich vehement für eine neue juristische Regelung ein und 1927 trat schließlich das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in Kraft, mit dem die Reglementierung der Prostitution in Deutschland offiziell beendet wurde.

1931 beging Anna Pappritz ihren 70. Geburtstag. Sie wurde geehrt und gefeiert, und das nicht nur von ihren Freundinnen und Arbeitskolleginnen und -kollegen. Auch Vertreterinnen und Vertreter staatlicher Stellen waren bei der Feier zugegen und würdigten ihr jahrzehntelanges Engagement. Die neuen nationalsozialistischen Machthaber beendeten 1933 jedoch sofort die abolitionistischen Ideen. Durch die Gleichschaltung verloren die abolitionistischen Ortsgruppen und auch der Bundesverband alle jüdischen Mitglieder, was die Organisation fast zum Erliegen brachte. Trotz großer Bemühungen gelang der angestrebte Neuanfang nicht. Anna Pappritz, die zuvor schon um ihre Entlassung gebeten hatte, legte 1935 endgültig ihre Arbeit nieder. Sie starb mit 78 Jahren am 8. Juli 1939 auf dem Familiensitz in Radach, wo sie auch beigesetzt wurde. Ihr Nachlass findet sich im Helene Lange Archiv, der im Rahmen des DDF digitalisiert wurde.

Glückwunschbriefe und -karten, Zeitungsartikel und Zeitschriftenaufsätze zum 70. Geburtstag von Anna Pappritz am 9. Mai 1931

 

Veröffentlicht: 22. November 2019
Verfasst von
Dr. Kerstin Wolff

Historikerin und Forschungsleiterin im Archiv der deutschen Frauenbewegung (AddF) in Kassel. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts sowie die Frage nach einer politischen Repräsentation von Frauen auf kommunaler und Bundesebene im 19. und 20. Jahrhundert.

Empfohlene Zitierweise
Dr. Kerstin Wolff (2024): Anna Pappritz, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/anna-pappritz
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Netzwerk von Anna Pappritz

Zitate von Anna Pappritz

Biografie von Anna Pappritz

09.05.1861

Geburt in Radach/Mark Brandenburg

1884

Umzug von Radach nach Berlin

1885

Englandreise – Kennenlernen des Abolitionismus

1899

Gründung der ersten abolitionistischen Zweigvereine in Berlin und Hamburg

1900

Beginn der Lebensgemeinschaft mit Margarete Friedenthal

1900 - 1914

(internationale) Vortragsreisen für den Abolitionismus

1902

Wahl als einzige Frau in den Vorstand der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten

1904

Gründung des deutschen Zweiges der Internationalen Abolitionisten Föderation

1913 - 1914

Indienreise mit Katharina Scheven

1919 - 1927

Kampf für ein abolitionistisches Prostitutionsgesetz, welches am 1.10.1927 in Kraft trat

70. Geburtstag mit zahlreichen Ehrungen

1934

Niederlegung sämtlicher Ämter

Tod in Berlin

Fußnoten

  1. 1 Dieses Dossier fußt auf meiner Monografie zu Anna Pappritz: Wolff, Kerstin: Anna Pappritz (1861-1939). Die Rittergutstochter und die Prostitution, Sulzbach/Taunus 2017.
  2. 2 Vgl. Jank, Dagmar: „Ein gemeinsames Werk“. Frauenbibliotheken der „alten“ Frauenbewegung in Berlin, in: Ariadne. Almanach des Archivs der deutschen Frauenbewegung, 1998, H. 34, S. 8‒12.
  3. 3 Alle Beispiele aus: Göttert, Margit: Macht und Eros. Frauenbeziehungen und weibliche Kultur um 1900 – eine neue Perspektive auf Helene Lange und Gertrud Bäumer, Königstein i. Ts. 2000.
  4. 4 Siehe dazu auch: Gerhard, Ute / Klausmann, Christina / Wischermann, Ulla: Frauenfreundschaften – ihre Bedeutung für Politik und Kultur der alten Frauenbewegung, in: Feministische Studien, 11. Jg., 1993, H. 1, S. 21‒37.

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