Über Angelika Engelmann

Die Theologin Dr. Angelika Engelmann gründete den Arbeitskreis Feministische Theologie in der DDR und war Herausgeberin der Samisdat-Zeitung Das Netz. Damit hat sie maßgeblich feministische Auseinandersetzung in der DDR miterlebt und geprägt.

Aus dem bürgerlichen Milieu zur Theologin im Sozialismus

Angelika Engelmann wurde am 28. September 1950, fünf Jahre nach Kriegsende, in Dresden geboren.1  In dem bürgerlichen Milieu, in dem sie aufwuchs, wurde die DDR und deren politische und gesellschaftliche Entwicklung kritisch gesehen. Zugleich war ihre Familie sehr verwurzelt mit der Stadt Dresden. Dennoch spürte Angelika Engelmann bereits seit ihrer frühen Kindheit, dass die Frage, ob man bleiben oder das Land verlassen solle, stets im Raum stand. Ihre Familie war nicht im aktiven Widerstand, doch prägte die nicht-systemkonforme Haltung ihres Elternhauses ihre Jugend. Weder Mitglied bei den Pionieren noch in der FDJ blieb Angelika Engelmann der Zugang zur Oberschule verwehrt, sodass sie nach der 10. Klasse eine Ausbildung zur Facharbeiterin für Datenverarbeitung begann. Die Kirche wurde in ihrer Jugend ein Ort, an dem sie sich wohlfühlte. Sie nahm sie als einen Raum fernab des reglementierten FDJ-Rahmens wahr. Hier war es möglich, frei zu reden und frei zu denken.2  In der DDR war die Kirche als nicht-staatlicher Ort ein Sammelpunkt für viele systemkritische Menschen.3

Nachdem Angelika Engelmann das Abitur auf der Abendschule hatte nachholen können, begann sie 1971 das Studium der evangelischen Theologie in Greifswald und Leipzig. Dies geschah laut Engelmann weniger aus religiöser Berufung. Vielmehr erschien es ihr als das freieste Studienfach, das man in der DDR wählen konnte.4  Ein Theologiestudium in der DDR bedeutete, dass der Dienst in der Kirche mehr oder weniger vorgegeben war. Engelmann wurde von der sächsischen Landeskirche übernommen und arbeitete zunächst einige Jahre als Pfarrerin. Da sie sich in dieser Arbeit jedoch nicht gänzlich wiederfinden konnte, ging sie 1981 zurück an die Universität, um zu promovieren.5  Eine wissenschaftliche Karriere im akademischen Sinn strebte sie nicht an. Jedoch erkannte sie durch die Zeit an der Universität, dass im Vergleich zum oftmals monologischen Charakter des Pfarrberufes das Dialogische der Pädagogik ihr eher entsprach. So entschied sich Angelika Engelmann 1984, an die kirchliche Ausbildungsstätte für Religionslehrerinnen in Radebeul zu gehen. Hier wurden, als Relikt aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts, die männlichen und weiblichen Lehrkräfte an unterschiedlichen Lehrstätten ausgebildet, weshalb sie ausschließlich Frauen unterrichtete.6

Kirchenengagement und feministisches Erwachen

Engelmann beteiligte sich aktiv am konziliaren Prozess, dem sich die Kirche unter den Stichworten ‚Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung‘ in den 1980er-Jahren verschrieben hatte und an den oppositionelle Gruppen unter dem Dach der Kirche häufig anknüpften.7  Insbesondere in den Ökologie- und Friedensgruppen engagierte sie sich.8

1986 fuhr Angelika Engelmann mit einer kirchlichen Genehmigung als DDR-Theologin zur Gründungskonferenz der Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen (ESWTR) nach Magliaso in der Schweiz.9   Hier traf sie auf berühmte feministische Theologinnen. Fasziniert und beeindruckt von den Frauen und den Gesprächen mit ihnen kehrte sie mit einem neuen Blick und sensibilisiert für Frauenfragen in die DDR zurück. Engelmann begann, sehr viel zu feministischen Themen zu lesen und Kontakte in die Szene zu knüpfen. Sie war „feministisch erwacht“10 , wie sie es selbst ausdrückt. Es wurde ihr bewusst, dass die gesellschaftliche Stellung von Frauen und Fragen der Geschlechtergerechtigkeit innerhalb des konziliaren Prozesses nicht thematisiert und diskutiert wurden, wenngleich Gerechtigkeit einer der Leitbegriffe war. Auch hatte Angelika Engelmann nun einen anderen Blick auf ihre Arbeit in der Ausbildungsstätte für Religionslehrerinnen. Sie sah eine Chance, ihren Studierenden feministische Inhalte vermitteln zu können.11

Über verschiedene Frauengruppen, wie Frauen für den Frieden, in denen ein gewisser Basisfeminismus vorherrschte, wurde Angelika Engelmann mit weiteren Fragen konfrontiert. In diesen Gruppen engagierte man sich gegen Militärspielzeuge in Kindergärten und hinterfragte das in den Schulbüchern der DDR vermittelte Frauenbild.12 Das Theoriegerüst für die feministische Auseinandersetzung stammte jedoch aus dem Westen. Viele kirchliche Leute hatten Kontakte in die BRD, sodass sie Literatur einschmuggeln konnten, die anschließend kopiert, verteilt und ausgetauscht wurde. Auf diesem Weg gelangte Angelika Engelmann an Werke der feministischen Theologie. Sie vertiefte sich in die Lektüre von Theologinnen wie Annemarie Schönherr, Luise Schottroff, Marie Theres Wacker und Hannelore Erhart und sie trat in Korrespondenz mit ihnen.13

Die Gründung des Arbeitskreises Feministische Theologie in der DDR

Da der DDR-Staat die Deutungsmacht über das Bild der Frau in der sozialistischen Gesellschaft für sich beanspruchte, war die Gründung einer nationalen Sektion der ESWTR in der DDR unter den politischen Bedingungen nicht möglich. Doch kann der von Angelika Engelmann nach ihrer Rückkehr aus der Schweiz gegründete Arbeitskreis Feministische Theologie in der DDR als eine solche betrachtet werden.14  Auf dem jährlichen Theologinnen-Konvent in Berlin suchte sie Kontakt zu Frauen, die Lust hatten, über theologische Fragestellungen nachzudenken. Als Ziel hatte sich der Arbeitskreis die Diskussion über und die Weiterentwicklung von feministischer Theologie im Kontext der DDR gesetzt. Gleichzeitig sollte ein Netzwerk unter feministisch-theologisch arbeitenden und interessierten Frauen aufgebaut werden.15  Im gesamten Gebiet der DDR waren zwischen 150 und 180 Frauen verschiedener Generationen im Arbeitskreis aktiv. Es waren vorrangig Pfarrerinnen, aber auch Gemeindepädagoginnen und andere feministisch-theologisch interessierte Frauen, die sich dem ökumenisch-offenen Arbeitskreis anschlossen.16  Dass sich ein feministischer Arbeitskreis gerade im Bereich der Kirche herausbildete, führt Engelmann auch auf die Rückschrittlichkeit der Kirche in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter zurück. Während der ostdeutsche Staat die Gleichberechtigung in seiner Verfassung festgeschrieben hatte, sodass Frauenprobleme, wenn auch existent, weniger sichtbar waren, spürten die Frauen in der Kirche größeren Druck, sich mit Feminismus auseinanderzusetzen. Hier existierte auch im Vergleich zum Staat auf vielen Ebenen ein sehr konservatives Bild von Frauen. Höhere Positionen innerhalb des hierarchischen Systems der Kirche waren fast ausschließlich durch Männer besetzt.17

Einladung und Programm zum Treffen des Arbeitskreises Feministische Theologie 27./28.4.1990

Herausgeberin Das Netz

Um die Mitglieder des Arbeitskreises noch weiter zu vernetzen und über aktuelle Entwicklungen zu informieren, wurde der Informationsbrief Das Netz gegründet.18  Engelmann als Herausgeberin konnte diesen über das Landeskirchenamt in einer Auflage von 500 Stück auf Wachsmatrizen vervielfältigen und fand einen Oberlandeskirchenrat, der durch den Stempel „Nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch“ ein Publizieren an der Staatsmacht vorbei ermöglichte.19  Zwischen Januar 1988 und Mai 1993 wurde Das Netz verschickt.20   Den Namen wählte man, um die Vernetzung zwischen den Mitgliedern des Arbeitskreises zu verdeutlichen.21  Das Netz enthielt Lyrik, Berichte und sollte einen Überblick darüber geben, was alles gedacht und diskutiert wurde zum Thema feministische Theologie.22

Das Netz - Informationsbrief des Arbeitskreises Feministische Theologie in der DDR

Nach der friedlichen Revolution

1992 wurde die Ausbildungsstätte in Radebeul geschlossen. Angelika Engelmann war daraufhin als theologische Leiterin im Haus der Kirche in Dresden tätig und wechselte 1995 an die neu gegründete Evangelische Hochschule für soziale Arbeit in Dresden, an der sie auch einige Zeit Rektorin war. Die letzten zehn Jahre vor ihrer Rente arbeitete sie an einem Gymnasium in Dresden als Religionslehrerin. 

Der Arbeitskreis Feministische Theologie in der DDR hatte sich bereits Anfang der 1990er-Jahre aufgelöst. Die ostdeutschen Frauen hatten viele neue Kontakte zu westdeutschen feministischen Kreisen geknüpft und verspürten nicht das Bedürfnis, unter sich bleiben zu müssen, wenngleich eine gewisse Verbundenheit bestehen blieb.23

Auch heute lebt Angelika Engelmann noch in Sachsen. Mit Beunruhigung sieht sie, wie demokratiefeindliche Bewegungen erstarken und dabei ein veraltetes Frauenbild zeichnen. Das Interesse an feministischen Auseinandersetzungen ist ihr geblieben, sodass sie weiterhin auf Veranstaltungen zu diesem Themenfeld anzutreffen ist.24

Stand: 02. April 2020
Verfasst von
Antonia Gradnitzer

geb. 1988, studierte im Master Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie war als Archivmitarbeiterin bei der Robert-Havemann-Gesellschaft e. V. tätig und arbeitet derzeit als freiberufliche Kulturwissenschaftlerin.

Empfohlene Zitierweise
Antonia Gradnitzer (2020): Angelika Engelmann, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/angelika-engelmann
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Netzwerk von Angelika Engelmann

Biografie von Angelika Engelmann

1950

Geburt in Dresden

1971 - 1976

Studium der evangelischen Theologie in Greifswald und Leipzig

1976 - 1981

Übernahme in den kirchlichen Dienst in Dresden

1981 - 1984

Promotion an der Universität Greifswald

1984 - 1992

Dozentin an der Ausbildungsstätte für Religionslehrerinnen in Radebeul

Juni 1986

Teilnahme an der Gründungskonferenz der Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen (ESWTR) in Magliaso/Schweiz

1992 - 1995

Theologische Leiterin des Haus der Kirche in Dresden

1995 - 2005

Professorin, später Rektorin an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden

2006 - 2015

Religionslehrerin an einem Gymnasium in Dresden

seit 2015

In Rente

Fußnoten

  • 1Dieser Text basiert zu großen Teilen auf einem Interview mit Angelika Engelmann; vgl.: Hernandez-Garcia, Rebecca: Interview mit Angelika Engelmann, Dresden 7.6.2019.
  • 2Ebenda.
  • 3Miethe, Ingrid: Frauen in der DDR-Opposition. Lebens- und kollektivgeschichtliche Verläufe in einer Frauenfriedensgruppe, Opladen 1999, S. 78.
  • 4Hernandez-Garcia: Interview mit Angelika Engelmann.
  • 5Engelmann, Angelika: telefonische Mitteilung zu biografischen Daten, 22.7.2019.
  • 6Hernandez-Garcia: Interview mit Angelika Engelmann.
  • 7Rühle, Ray: Entstehung von politischer Öffentlichkeit in der DDR in den 1980er Jahren am Beispiel von Leipzig, Münster 2003, S. 81.
  • 8Hernandez-Garcia: Interview mit Angelika Engelmann.
  • 9Röckemann, Antje: Arbeitskreis Feministische Theologie in der DDR, in: Matthiae, Gisela / Jost, Renate et al. (Hg.): Feministische Theologie. Initiativen, Kirchen. Universitäten – eine Erfolgsgeschichte, Gütersloh 2008, S. 47–50, S. 47.
  • 10Hernandez-Garcia: Interview mit Angelika Engelmann.
  • 11Ebenda.
  • 12Ebenda.
  • 13Engelmann, Angelika: telefonische Mitteilung, 22.7.2019.
  • 14Röckemann: Arbeitskreis Feministische Theologie in der DDR, S. 47.
  • 15Ebenda, S. 48.
  • 16Ebenda.
  • 17Hernandez-Garcia: Interview mit Angelika Engelmann.
  • 18Röckemann: Arbeitskreis Feministische Theologie in der DDR, S. 48.
  • 19Hernandez-Garcia: Interview mit Angelika Engelmann.
  • 20GrauZone, Dokumentationsstelle zur nichtstaatlichen Frauenbewegung in der DDR - c/o Robert-Havemann-Gesellschaft, GZ-S01, „Samsidat (1)“, "Das Netz - Informationsbrief des Arbeitskreises Feministische Theologie in der DDR", Nr. 1, 02/1988; Nr. 2, 02/1989; Nr. 3, 02/1990; Nr. 4, 01/1991; Nr. 5, 03/1993.
  • 21Hernandez-Garcia: Interview mit Angelika Engelmann.
  • 22Ebenda.
  • 23Engelmann, Angelika: telefonische Mitteilung, 22.7.2019.
  • 24Hernandez-Garcia: Interview mit Angelika Engelmann.

Ausgewählte Publikationen