Über Aktion 218

Die Selbstbezichtigungsaktion von 374 Frauen im Juni 1971 löste heftige Debatten aus. In großen Zahlen organisierten sich Frauen aus der ganzen Bundesrepublik zum Protest gegen den sogenannten Abtreibungsparagrafen (§218 StGB) als Aktion 218.
Stern-Cover 6. Juni 1971
Coverbild Stern 6. Juni 1971, Verlag Gruner + Jahr
Stern-Cover 6. Juni 1971

„Wir haben abgetrieben, und wir fordern das Recht auf freie Abtreibung für jede Frau!“1 exportierte die Journalistin Alice Schwarzer die Idee einer Selbstbezichtigungskampagne von Frankreich nach Deutschland. Sie konnte das Magazin Stern für eine Veröffentlichung der Selbstbezichtigung und ihres Artikels darüber gewinnen. Innerhalb weniger Wochen kamen im Frühling 1971 374 Unterschriften zusammen. Während die französische Kampagne im April 1971 zentral von der Pariser Frauenbewegung MLF getragen war, waren in Deutschland nur zwei dezentrale Frauengruppen involviert: die liberale Frauenaktion 70 in Frankfurt und der kommunistische Sozialistische Frauenbund Westberlin.2  Als der Stern am 6. Juni 1971 erschien, ging ein Ruck durch die Bundesrepublik. ‚Wir fordern die ersatzlose Streichung von §218!‘ war der Appell – und die Frauen mobilisierten sich in großer Zahl. 

Eine Bewegung formiert sich: Frauenproteste und Aktionen 1971

„Frauen erfahrt, Solidarität macht uns stark
Solidarisieren, mitmarschieren
Frauen erwacht, wir sind eine Macht“3

Tausende von Frauen stießen im Sommer 1971 zur (nun als solche benannten) Aktion 218, es wurden neue Gruppen in weiteren Städten gegründet, frau informierte, vernetzte sich – und wurde laut. In mehreren Städten wurden bei Frauen und Organisationen, die sich an der Selbstbezichtigungskampagne beteiligt hatten, Hausdurchsuchungen durchgeführt. Diese wirkten jedoch eher verstärkend als einschüchternd. Die Frauen informierten sich über ihren rechtlichen Spielraum und gaben ihr Wissen weiter.4

Im Juli 1971 hatten die Aktivistinnen bereits 86.000 Solidaritätsbekundungen und 2.345 weitere Selbstanzeigen von Frauen gesammelt und mit einem Protestschreiben an Bundesjustizminister Gerhard Jahn (SPD) geschickt. Darin erklären sie: „Die Aktion 218 und ihr weitreichender Erfolg sind der Beweis dafür, dass Frauen den vom Staat auferlegten Gebärzwang nicht länger als ihr individuelles Problem begreifen. Erstmals beanspruchen wir Frauen, nicht als Stimmvieh behandelt zu werden, sondern uns als aktive, politische Bürger zu artikulieren.“5 Zu Sommerende veröffentlichte Alice Schwarzer in der edition suhrkamp das Buch Frauen gegen den § 218. Darin enthalten: 18 Protokolle von sehr unterschiedlichen Frauen, die sagen, warum und wie sie abgetrieben haben, ein Essay von Alice Schwarzer über die Geschichte des §218 und die der Selbstbezichtigung im Stern sowie ein Kollektivtext der Münchner Sozialistischen Frauen.6

Im September 1971 kündigte Justizminister Jahn eine Reform des §218 an: Er lehnte jedoch die Fristenlösung (straffreier Abbruch bis zwölf Wochen nach der Empfängnis) ab und favorisierte stattdessen die sogenannte Indikationslösung: Ein Schwangerschaftsabbruch soll nur bei ‚medizinisch-sozialer‘, ‚ethischer‘ oder ‚eugenischer‘ Indikation möglich sein, sprich: bei Gefahr für das Leben der Mutter, nach Vergewaltigung oder bei Behinderung des Fötus. 

Frauen gegen den § 218 : 18 Protokolle, aufgezeichnet von Alice Schwarzer ; mit einem Bericht der Sozialistischen Arbeitsgruppe zur Befreiung der Frau, München, und einem Nachwort von Alice Schwarzer
Politisches Nachtgebet an Minister Jahn

Im Oktober und November 1971 demonstrierten dagegen Frauen in Berlin, Bonn, Frankfurt, Freiburg, Hamburg, Heidelberg, Köln, München, Nürnberg, Bremen, Dortmund, Düsseldorf und Stuttgart.7 In fast allen westlichen Ländern gingen Frauen auf die Straße – für das Recht auf Abtreibung und für die Selbstbestimmung der Frau. 

Aktion 218 Kundgebung am Marienplatz in München
 

Mehr als Protest gegen §218: Der erste Bundesfrauenkongress (1972)

Die Gruppen der Aktion 218 beriefen den ersten Bundesfrauenkongress ein, der im März 1972 in Frankfurt am Main stattfand, mit 450 Frauen aus allen Teilen der Bundesrepublik. Nun stand die Emanzipation der Frauen als Ganzes auf der Tagesordnung: Fehlende berufliche Ausbildung, ‚Leichtlohngruppen‘ und Vereinbarkeit, Gleichheit in der Familie und im Familienrecht, das Babyjahr für Mütter und Väter und die Aufhebung der geschlechtsspezifischen Erziehung in Kindergarten, Schule und Berufsbildung wurden heftig diskutiert und es wurden gemeinsame politische Forderungen dazu festgehalten.8

Am Ende des Kongresses wurde als erster Beschluss verkündet, dass Männer in Zukunft aus der kollektiven Arbeit in Frauengruppen ausgeschlossen würden. Sie bekannten sich damit, wie fast alle ausländischen Frauenbewegungen auch, zum Prinzip des Männerausschlusses in einer ersten Etappe, so die Feministin und Journalistin Alice Schwarzer später in einem Rundfunkbeitrag: „Die Gründe sind überall die gleichen. Einmal die praktische Erkenntnis, dass auch emanzipationsbestrebte Frauen in Gegenwart von Männern den Mund nur schwer aufmachen, und dass auch sympathisierende Männer innerhalb der Frauengruppen nur allzu leicht in die gewohnte Führungsrolle fallen. […] Mit dem Ausschluss der Männer wollen die Frauen sich zumindest in der Gruppenarbeit einen Freiraum schaffen, der ihnen die Analyse ihrer spezifischen, doppelten Unterdrückung erlaubt.“9 In den kämpferischen Reden auf dem Kongress hörte sich das so an: „Privilegierte haben ihre Rechte nie freiwillig preisgegeben. Deshalb fordern wir: Frauen müssen ein Machtfaktor werden innerhalb der ausstehenden Auseinandersetzung. […] Wir bekämpfen den Anspruch der Männer, den Schwerpunkt der politischen Arbeit weiterhin allein zu bestimmen.“10

Aktionen mit Strahlkraft (1972–1973)

Vom Frühjahr 1972 bis Frühjahr 1973 nahm die Intensität der Aktionen weiter zu – auch in ihrer Radikalität. Es blieb nicht bei Demonstrationen oder appellierenden Briefen an Bundestagsmitglieder. Zu einem Schau-Tribunal in Köln am 11. Juni 1972 kamen rund 1.200 TeilnehmerInnen: „Als Mitschuldige am Abtreibungselend werden angeklagt: die Ärzteschaft, Presse und Werbung, die Kirchen, die Parteien, die Justiz und die Pharma Industrie.“11

Die §218-Zeitung von 1973 dokumentiert ein Go-in im Frankfurter Dom: 100 Frauen der Aktion 218 stürmten dabei die Kirche, in der ein Hirtenbrief der katholischen Bischöfe zur Reform des Abtreibungsparagrafen verlesen werden sollte, und übertönten mit Sprechchören die Verlesung („Ungeborenes wird geschützt, Geborenes wird ausgenützt!“).12 Es ging um mehr als nur Protest, es ging um Aufklärung: Die Frauen gaben unter anderem Informationen weiter über die schonende Absaugmethode (Karman-Methode), die in Holland und Frankreich bereits erfolgreich angewandt wurde.13

Die Aktionen wurden drastischer, die Selbst-Organisation aber gleichzeitig nachhaltiger: In Berlin gründeten im Januar 1973 rund 120 Frauen das erste Frauenzentrum Deutschlands in der Kreuzberger Hornstraße 2. Es sollte nicht das letzte bleiben.14 Und: Frauen halfen anderen Frauen in Not, wie unter anderem ein Spendenaufruf für einen Abtreibungsfonds von 1973 dokumentiert.15  

Bündelung der Kräfte: Die Aktion letzter Versuch (1974)

Für den Juni 1974 war die Verabschiedung der §218-Reform angekündigt. Frauengruppen aus ganz Deutschland organisierten vom 8. bis zum 16. März 1974 die Aktion letzter Versuch. Die Aktionswoche sollte Druck auf die Parteien aufbauen und sie dazu bringen, der Verabschiedung der Fristenlösung zuzustimmen. Die Gruppe Brot und Rosen organisierte in Berlin ein Teach-In zum §218, das von 2.000 Menschen besucht wurde.16 Für den 11. März 1974 war die Ausstrahlung eines Beitrags von Alice Schwarzer in der NDR-Sendung Panorama angekündigt, der eine Abtreibung nach der schonenden Absaugmethode zeigen sollte. Eine Stunde vor Sendebeginn wurde der Beitrag abgesetzt. Die zentrale Begründung war ein Strafantrag von Kardinal Döpfner, dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Aus Protest zogen alle Panorama-Autoren ihre Beiträge zurück, Sendungschef Peter Merseburger sendete 45 Minuten lang ein leeres Studio. Die Aktion Letzter Versuch endete mit einem Nationalen Protesttag am 16. März 1974, bei dem tausende Frauen auf die Straßen gingen.

Einen Schritt vor und zwei zurück: Fristenlösung und Indikationslösung (1974–1976)

Am 26. April 1974 verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen von SPD und FDP die Fristenlösung. In der Technischen Universität Berlin feierten rund 2.000 Frauen am 11. Mai 1974 das ‚ROCKFEST im Rock‘. „Überall gab es Quatschgruppen, in denen Frauen in seltener Offenheit über Sexualität und ihre Folgen sprachen“, berichtete Spiegel-Mitarbeiterin Sophie von Behr.17 Viel mehr Frauen als erwartet kamen und feierten bis in die Morgenstunden – ganz ohne Männer. Alice Schwarzer erinnerte sich an „das erste wirkliche Frauenfest“ als wichtigen Moment der Selbstvergewisserung und Frauensolidarität: „Spaß und Agitation, Übermut und Politik trafen an diesem Abend glücklich zusammen. Bücherstände neben Schminktischen, der verbotene Panorama-Film und Klamottentausch, Würstchen und Luftballons und die alles übertönende allererste deutsche feministische Frauenband, die Berliner Frauenrockband.“18


Doch der Erfolg währte nur kurz: Die CDU/CSU-Fraktion legte im Juli 1974 Verfassungsbeschwerde gegen die Fristenlösung ein. Das Gesetz trat nicht in Kraft. Im Februar 1975 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Fristenlösung für verfassungswidrig. Frauen der Aktion 218 hatten im Vorfeld zum Protest aufgerufen19, am Tag vor der Entscheidung demonstrierten rund 12.000 Frauen für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts.20

Im Februar 1976 verabschiedete der Bundestag mit den Stimmen von SPD und FDP die Indikationslösung. Ein Schwangerschaftsabbruch war ab jetzt nur dann nicht strafbar, wenn eine ‚medizinische‘, ‚kriminologische‘, ‚embryopathische‘ oder eine ‚soziale‘ Indikation vorlag. Die Empörung der Frauen, die jahrelang für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gekämpft hatten, war groß. Fraueninitiativen und -zentren organisierten in den folgenden Monaten weitere Protestaktionen, zum Beispiel demonstrativ provokative Busfahrten nach Holland, wo Abtreibungen erlaubt waren. Der Kampf um die Abschaffung des §218 stand von nun an zwar nicht mehr im Mittelpunkt der Frauenbewegung, blieb aber – auch aufgrund seiner hohen Symbolkraft – eines ihrer Kernthemen.21 Die Frauen der Aktion 218 engagierten sich in anderen Themenfeldern, waren jedoch auch in den kommenden Jahren immer wieder an Protesten gegen den §218 beteiligt und kämpften weiter für das uneingeschränkte Recht auf Abtreibung.

Veröffentlicht: 06. März 2019
Verfasst von
Julia Hitz, M.A.

geb. 1982, Studium Geschichte, Völkerrecht und Politikwissenschaften, freie Journalistin und Redakteurin

Empfohlene Zitierweise
Julia Hitz, M.A. (2024): Aktion 218, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/aktion-218
Zuletzt besucht am: 02.12.2024

Netzwerk von Aktion 218

Biografie von Aktion 218

1971

Selbstbezichtigungsaktion „Wir haben abgetrieben, und wir fordern das recht auf freie Abtreibung für jede Frau!“ im Stern

1971

Gründung von zahlreichen Gruppen der Aktion 218 in der Bundesrepublik

März 1972

1. Bundesfrauenkongress in Frankfurt am Main mit 450 Frauen

Frauengruppen organisieren die Aktion letzter Versuch

Bundestag verabschiedet mit den Stimmen von SPD und FDP die Fristenlösung

Juli 1974

CDU/CSU-Fraktion legte Verfassungsbeschwerde gegen die Fristenlösung ein

Februar 1976

Bundestag verabschiedete mit den Stimmen von SPD und FDP die Indikationslösung

Fußnoten

  1. 1 FrauenMediaTurm (im Folgenden FMT), SE.11-a, „374 deutsche Frauen halten den § 218 für überholt und erklären öffentlich: ‚Wir haben gegen ihn verstoßen‘“, in: Stern, 24/1971. 1971
  2. 2 Schwarzer, Alice: So fing es an. Zehn Jahre Frauenbewegung, Köln 1981, S. 23.
  3. 3 FMT, AK.218.018, Akte zur Aktion 218, Parolen für die Demonstration, 6.11.1971.
  4. 4 FMT, AK.218.014, Akte zur Aktion 218, Protokoll vom 4.8.1971.
  5. 5 FMT, FB.07.124, Protestschreiben an Bundesjustizminister Gerhard Jahn, Juli 1971.
  6. 6 FMT, SE.11.158, Schwarzer, Alice: Frauen gegen den § 218: 18 Protokolle, aufgezeichnet von Alice Schwarzer; mit einem Bericht der Sozialistischen Arbeitsgruppe zur Befreiung der Frau, München/Frankfurt a.M. 1971 (1. Aufl.).
  7. 7 FMT, AK.218.018, Akte zur Aktion 218, An alle Gruppen der Aktion 218, 04.11.1971.
  8. 8 Mehr zu den Inhalten des Bundesfrauenkongresses hier: FMT, D.063 „Protokoll zum Plenum des Bundesfrauenkongresses am 12. März 1972 in Frankfurt/M“.
  9. 9 FMT, SM.01.058, „Manuskript WDR-Feature ‚Ich lass mir nichts mehr gefallen‘ Aktion 218 und Frauenkongress – ist das ein Aufbruch der deutschen Frauen?“, 8.5.1972.
  10. 10 FMT, SM.01.058, O-Ton vom Bundesfrauenkongress am 12./13.3.1972, in: „Manuskript WDR-Feature ‚Ich lass mir nichts mehr gefallen‘ Aktion 218 und Frauenkongress – ist das ein Aufbruch der deutschen Frauen?“, 8.5.1972.
  11. 11 FMT, AK.218.022, Akte zur Aktion 218, Presse-Information zum Frauentribunal gegen §218, 1971.
  12. 12 FMT, Z189, §-218-Zeitung, 1973.
  13. 13 FMT, FB.07.002, „Aufruf der Aktion 218 an Krankenschwestern, Hebammen, Ärzte“, 1973.
  14. 14 FMT, 6.3.2018: Frauenprojekte, Zugriff am 06.03.2019 unter https://frauenmediaturm.de/neue-frauenbewegung/frauenzentren-emma-courage/.
  15. 15 FMT, FB.05.035, „Frauenzentrum Frankfurt: Spendenaufruf für Abtreibungsfond“, 1973.
  16. 16 FMT, FB.07.079, Brot und Rosen: Einladung, 7.1.1974.
  17. 17 FMT, PD-FE.03.01, Pressedokumentation zu Chronik der Neuen Frauenbewegung, „Das große Weiche dominierte“, in: Der Spiegel, 27.5.1974.
  18. 18 Schwarzer, Alice: So fing es an, S. 57.
  19. 19 FMT, AK.218.019, Akte zur Aktion 218, „Zur Geschichte des Kampfes gegen §218“, 14.2.1975.
  20. 20 FMT, AK.218.025, Akte zur Aktion 218, Zeitschrift: Frauenkampf gegen §218 – Aktionen zum BVG-Urteil 1975, 1975.
  21. 21 FMT, 6.3.2018: Abtreibung: Gegen §218, Zugriff am 14.5.218 unter https://frauenmediaturm.de/neue-frauenbewegung/abtreibung-gegen-218/.